„Was keiner geglaubt haben wird, was keiner gewusst haben konnte, was keiner geahnt haben durfte, das wird dann wieder das gewesen sein was keiner gewollt haben wollte.“ (Erich Fried)
Aktuelles & Termine
Auf dieser Seite veröffentlichen wir 'Aktuelles' rund um das Projekt Stolpersteine in Gelsenkirchen.
Online-Redaktion | 12. Oktober 2024 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Stolpersteinerfinder Gunter Demnig wurde jetzt für sein Engagement mit dem Arnold-Bode-Kunstpreis der Stadt Kassel ausgezeichnet. Demnig hat seit 1992 bis auf wenige Ausnahmen über 100.000 Stolpersteine in über 30 Ländern selbst verlegt. Der mit 10.000 Euro dotierte Preis ist nach dem documenta-Gründer Arnold Bode benannt.
Prof. Heiner Georgsdorf, Vorsitzender des Kuratoriums der Arnold-Bode-Stiftung bekräftigte: „Ausschlaggebend für die Entscheidung des Kuratoriums war, dass Gunter Demnig auf eine einmalige und höchst beeindruckende und überzeugende Weise künstlerische Aktion und gesellschaftspolitisches Engagement verbindet.“ Kassels Oberbürgermeister Schoeller hob das besondere Engagement des Künstlers hervor: „Seit den frühen 1990er Jahren hält Gunter Demnig mit dieser künstlerischen Aktion unermüdlich die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus wach, indem er sichtbar macht, dass sie einmal mitten unter uns gelebt haben. Seine Gedenkarbeit ist einzigartig, sie rüttelt auf und lässt uns immer wieder über die dunkelste deutsche Geschichte stolpern.“
Gelsenkirchen: Stolperstein mutwillig zerstört
Online-Redaktion | 9. Oktober 2024 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Drei Stolpersteine erinnerten seit 2020 an der Bergmannstraße 37 in Gelsenkirchen-Ückendorf an die während der NS-Zeit verfolgte → Familie Hermann Springer. Nun haben bisher Unbekannte einen der Stolpersteine mutwillig zerstört. Wir haben Strafantrag gestellt, die Polizei ermittelt.
Beauftragte des Städtischen Bauhofes sicherten die drei Stolpersteine am Montagnachmittag, die Verlegestelle wurde temporär mit einfachen Pflastersteinen aufgefüllt. Die Projektgruppe Stolpersteine Gelsenkirchen hat die kleinen Denkmale bis zu deren Neuverlegung in Verwahrung genommen.
Eingehende Spenden werden in Abstimmung mit dem Verein Gelsenzentrum e.V. und dessen Projektgruppe Stolpersteine Gelsenkirchen genutzt, um den Stolperstein alsbald zu ersetzen. Nicht benötigte Spenden werden der Projektgruppe Stolpersteine Gelsenkirchen Verfügung gestellt, um die Erinnerungsarbeit im Rahmen des Stolpersteinprojektes in Gelsenkirchen zu unterstützen.
Rheine: Stolperstein für Lehrer Abraham Weinstock verlegt
Andreas Jordan | 22. August 2024 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Lehrer Abraham Weinstock kam nach seiner Vetreibung durch die Nazis aus Rheine über Zwischenstationen Anfang 1934 nach Gelsenkirchen. Er lehrte an der jüdischen Schule in Gelsenkirchen, bis diese von den Nazis geschlossen wurde. Mit seiner Frau Martha und Sohn Heinz lebte Abraham Weinstock zunächst in der Heinrichstraße 57 (Heute Auf dem Graskamp), im Mai 1937 zog die Familie in die Hindenburgstraße 38 (Heutige Husemannstraße). Zuletzt musste die Familie von der Wanner Straße 24 in die Von-der-Recke-Straße 9 (Ghettohaus) umziehen. Die Familie wurde im Januar 1942 von Gelsenkirchen aus in das Ghetto Riga deportiert, einzig Familienoberhaupt Abraham erlebte 1945 seine Befreiung. Gestern wurde in Rheine ein Stolperstein im Gedenken an Abraham Weinstock verlegt.
Wir trauern um Juri Zemski
Andreas Jordan | 16. Juli 2024 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Der jüdische Kantor Juri Zemski ist im Alter von 63 Jahren am Freitag (12. Juli 2024) in seiner Wahlheimat Gelsenkirchen verstorben.
Der am 11. Dezember 1961 in Odessa geborene Tenor mit ukrainischen Wurzeln und freischaffende jüdische Vorbeter war uns und dem Projekt Stolpersteine in Gelsenkirchen seit vielen Jahren freundschaftlich verbunden. Seine liebenswerte Art, seine große Hilfsbereitschaft und sein Sinn für Humor werden uns sehr fehlen. Als Kantor nahm Juri Zemski seit 15 Jahren aktiv an den Stolpersteinverlegungen in Gelsenkirchen teil, vielen Menschen wird auch seine unvergleichliche Stimme in Erinnerung bleiben. Wir werden ihm für alle Zeit ein ehrendes Andenken bewahren. Unser tiefes Mitgefühl gilt seiner Familie und allen Angehörigen; möge das Gedenken an ihn ein Segen für uns alle sein. Baruch Dayan Ha‘Emet.
Kunst und Erinnerung: 15 Jahre Stolpersteine in Gelsenkirchen
Online-Redaktion | 5. Juli 2024 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Seit 15 Jahren gibt es sie auch in Gelsenkirchen: Gunter Demnigs Kunstprojekt für Europa - die Stolpersteine, dass größte dezentrale Mahnmal der Welt. Es ist nicht sein einzigstes Werk, jedoch das bekannteste. Bildhauer Demnig hat die Idee der Stolpersteine Anfang der 1990er Jahre ersonnen, gemeinsam mit seinem Team und lokalen Initiativen hat er mittlerweile rund 106.000 Stolpersteine zu Ehren der von den Nazis in Deutschland und Europa verfolgten, verschleppten, in den Suizid getriebenen und ermordeten Menschen verlegt. Menschen, denen eine rechtzeitige Flucht aus Nazi-Deutschland gelungen ist, werden dabei ebenso wenig ausgeschlossen wie verfolgte Menschen, die den NS-Terror überleben konnten.
Die Stolpersteine für → Simon und Frieda Neudorf an der Markenstraße 19 wurden am 13. Juli 2009 mit Zustimmung des Sohnes → Herman Neudorf sel. A. verlegt - es waren die ersten in Gelsenkirchen verlegten Stolpersteine. Die Stolpersteine finden sich heute überall im Stadtgebiet Gelsenkirchens, zumeist genau dort, wo Menschen wohnten, die in der NS-Zeit verfolgt und in der Vielzahl ermordet wurden.
In unserer Stadt erinnern mittlerweile → 350 der kleinen Denkmale sowie eine Stolperschwelle an NS-Opfer. Während Stolpersteine personenbezogene Erinnerungsorte sind und in der Regel an den letzten freiwilligen Wohnorten der verfolgten Personen verlegt werden, sind Stolperschwellen gruppenbezogene Erinnerungsorte für Opfer der Nazi-Zeit. In Gelsenkirchen wird die Verlegung von Stolpersteinen seit mehr als 15 Jahren von dem als gemeinnützig anerkannten Verein Gelsenzentrum e.V. geplant und koordiniert, um die Archiv-Recherche und Erstellung lebensgeschichtlicher Dokumentation kümmert sich die unter dem Dach des Vereins agierende Projektgruppe Stolpersteine Gelsenkirchen. "Bei den Patinnen und Paten der einzelnen Stolpersteine möchten wir uns herzlich dafür bedanken, dass sie mit ihren Spenden einen mutigen Beitrag zur Sichtbarmachung des düstersten Kapitel unserer Stadtgeschichte geleistet haben" sagt Projektleiter Andreas Jordan.
"Die Bereitschaft, mit Spenden die Patenschaft für die Stolpersteine zu übernehmen, verdient Respekt und Anerkennung. Je mehr Menschen dieses Projekt unterstützen, umso mehr Stolpersteine können verlegt werden".
Die Projektgruppe Stolpersteine in Gelsenkirchen ist kein städtisches Projekt, sondern wird von zivilgesellschaftlichen Engagement getragen. Die Finanzierung der Stolpersteine sowie die der Arbeit der Projektgruppe erfolgt nicht über Steuergelder, sondern ausschließlich durch Spenden. Wenn ihnen das Projekt Stolpersteine am Herzen liegt, freuen wir uns über ihre Unterstützung: Wer künftige Stolperstein-Verlegungen finanziell unterstützen möchte, kann an das Konto „Stolpersteine Gelsenkirchen“ bei der Sparkasse Gelsenkirchen mit der IBAN DE79 4205 0001 0132 0159 27 spenden, Verwendungszweck „Spende Stolpersteine“. Auf Wunsch stellen wir eine Spendenquittung aus.
Erinnerungskultur: Stolpersteine bringen Namen und Lebensgeschichten zurück
Andreas Jordan | 19. Juni 2024 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Im Rahmen einer Gemeinschaftsverlegung verlegte die Projektgruppe Stolpersteine Gelsenkirchen gestern fünf neue Stolpersteine im Stadtgebiet Gelsenkirchens. Damit hat die diesjährige Verlegeaktion der kleinen Denkmale ihren Abschluss gefunden, 350 Stolpersteine sowie eine Stolperschwelle gibt es jetzt in Gelsenkirchen. Fortgesetzt wird Gunter Demnigs Stolpersteinprojekt in unserer Stadt mit neuen Verlegungen im Sommer 2025.
Am ersten Verlegeort an diesem Tag an der Horster Str. 40 hatte sich bereits eine 9. Klasse des Ricarda-Huch-Gymnasiums nebst Lehrerinnen eingefunden. Hier erinnert jetzt ein Stolperstein an den von den Nazis ermordeten Felix Fröhling. Die Jugendlichen hatten sich zuvor intensiv mit dem Thema Verfolgung im NS beschäftigt und waren gut vorbereitet. Ein Schüler hielt eine ergreifende Ansprache, eine Schülerin trug ein Gedicht vor. Der geplante Musikbeitrag der Jugendlichen scheiterte jedoch letztlich am schlechten WLAN Empfang, was jedoch dem würdigen Rahmen der kleinen Zeremonie keinen Abbruch tat. Eine entsprechende Nachbereitung soll zeitnah im Schulunterricht stattfinden.
Karl Schönebergs Name ist auf die Schalker Meile zurückgekehrt
Anlässlich der Stolpersteinverlegung berichtete eine anwesende Zeitzeugin an der Kurt-Schumacher-Str./Berliner Brücke:
"Genau so war das, auch die Bonbons lagen auf der Straße vor dem Geschäft. Mutter Schöneberg stand mit ihren Kindern fassungslos in ihren Grundfesten erschüttert inmitten der verstreuten Waren und der Ladeneinrichtung. Die Nazischergen waren in ihrer Zersstörungswut sogar mit ihren Stiefeln bzw. Schuhen im Laden in die Butter- und Margarinefässer gestiegen um so deren Inhalt zu verderben. Der Panzerschrank wurde aufgebrochen, die darin verwahrten Dokumente und Ordner einfach mitgenommen. Für den begeisterten Anhänger des Schalke 04 Karl Schöneberg war es besonders schmerzvoll, dass ihn als und bekannter, fest verwurzelter Einwohner des Stadtteils Schalke niemand seiner alten Kunden und "Freunde" aus gemeinsamen Fußballtagen nach der Pogromwoche mehr grüßte - erst recht nicht mit ihm sprachen." Die Nazis wollten die Menschen vernichten und selbst die Erinnerung an sie auslöschen, der Stolperstein kehrt diesen Prozess um und holt den Namen zurück nach Schalke - dorthin, wo Karl Schöneberg einst seinen Lebensmittelpunkt hatte.
Unterstrichen wurde die Zeremonie abschließend mit dem jüdischen Erinnerungsgebet El male rachamim, in dem auch verschiedene der grausamen Vernichtungslager der Nazis namentlich erwähnt werden. Mit großem Einfühlungsvermögen von Alfred Brechner gesungen - seine Stimme klang warm und innig über die Schalker Meile, es herrschte eine feierlich - besinnliche Atmosphäre, welche die Anwesenden berührte und zum Nachdenken anregte.
An der Kesselstraße 29 wurde auf Wunsch der Enkelin von David Rabinowitsch ein Stolperstein nachverlegt. Bereits 2020 hatten wir dort für Mitglieder der Familie David Rabinowitsch Stolpersteine verlegt. Der 'Datenschutz' hatte jedoch die Suche nach weiteren Nachfahren verhindert, die Enkelin hatte im Internet mehr zufällig von der bereits erfolgten Stolpersteinverlegung erfahren. Sie nahm mit uns Kontakt auf, regte die Verlegung eines weiteren Stolpersteins für ihren Vater Berthold Rabinowitsch (Sohn von David Rabinowitsch aus erster Ehe) an und hat auch die Patenschaft für diesen Stolperstein übernommen. Leider konnte sie zum eigenen Bedauern aus gesundheitlichen Gründen nicht an der gestrigen Verlegung teilnehmen. Ein Treffen vor Ort zu einem späteren Zeitpunkt ist bereits in Planung.
Letzte Station an diesem Tag war die Fischerstr. 173 - hier erinnern nun zwei Stolpersteine an das kinderlose Ehepaar Selma und Norbert Homberg. Beide überlebten den Nazi-Terror nicht, Norbert wurde von Gelsenkirchen in das Ghetto Riga deportiert und im KZ-Kaiserwald (Riga) ermordet, seine Frau Selma starb gedemütigt und entrechtet 1939 in Gelsenkichen. Sichtlich berührt hörten auch hier die engagierten Schülerinnen und Schüler des Ricarda-Huch-Gymnasiums den vorgetragenen biografischen Skizzen zu den Lebens- und Leidenswegen des Ehepaars Homberg aufmerksam zu. In der Vergangenheit hatten die Jugendlichen bereits Stolpersteine im Umfeld ihrer Schule poliert, diese Aktion soll schon bald ihre Wiederholung finden.
Mit der Verlegung in Horst für das Ehepaar Homberg haben wir die diesjährige Verlegeaktion von 31 neuen Stolpersteinen in Gelsenkirchen abgeschlossen. Damit ist aber keinesfalls das Ende der Stolperstein-Aktion in unserer Stadt erreicht, wir haben bereits mit den Vorbereitungen der Verlegungen der Stolpersteine für 2025 begonnen.
Weitere 18 Stolpersteine in Gelsenkirchen verlegt - Gäste auch aus Israel, USA und England
Andreas Jordan | 12. Juni 2024 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Bildhauer Gunter Demnig, geistiger Vater der Stolpersteine, traf am Donnerstagmittag (6.6.) pünktlich zum verabredeten Zeitpunkt in Gelsenkirchen ein. Auf seiner To-Do-Liste für den Nachmittag stand die Verlegung von 18 neuen Stolpersteinen an fünf Orten im Stadtgebiet.
Familientreffen an der Hauptstraße
An der Hauptstraße kamen 20 Angehörige der Familie Issler zusammen - eigens tausende Kilometer zur Stolpersteinverlegung angereist aus Israel, USA und England. Zwei Stolpersteine - von der Familie initiiert und finanziert - erinnern an der Hauptstraße nun an ihre Vorfahren Josef und Lea Issler, geborene Franzblau. Das jüdische Ehepaar fiel dem NS-Massenmord zum Opfer, Josef Issler wurde in der Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein, seine Frau Lea im Lager Riga-Jungfernhof ermordet.
Weinen, lachen, tanzen, singen, beten - Freude und Trauer wechselten einander ab. "Vom ersten Moment an war es eine Achterbahn der Gefühle" so beschrieb David Issler die Verlegezeremonie an der Hauptstraße. Tieftraurig und erhebend zugleich klang abschließend das von ihm intonierte Kaddisch durch die Hauptstraße. Als sich seine Stimme in der hallenden Akustik des Ortes zu einem gesungenen, eindringlichen Gebet erhob, ergriff auch andere Anwesende die emotionale Kraft dieses Moments. Am nächsten Tag besuchte Familie Issler das KZ Buchenwald und die Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein.
Zuvor hatte Bildhauer Demnig im Beisein der Paten Philipp, Melanie und Jonas Siebert, die in historischen Uniformen der US Army an der Verlegung teilnahmen, bereits hinter dem MIR an der Königstraße 30, Einmündung Rolandstr. (Das Haus mit der Nummer 30 ist nicht erhalten) drei Stolpersteine für Arthur, Johanna Dessauer und deren Tochter Mathel verlegt, alle drei wurden in Auschwitz ermordet.
Gleich sieben Stolpersteine wurden der Familie Sacher Häusler an der Ringstraße gewidmet. Deren Sohn Chaim Baruch überlebte als Einziger seiner Familie den Holocaust. Auch hier nahmen die Stolpersteinpaten - Asli Beyer und Thomas Risse - an der Verlegung teil und zeigten sich ob der entsetzlichen Familiengeschichte tief berührt.
An der Augustastraße erinnern nun weitere Stolpersteine an Menschen, die bereits weit vor dem Zeitpunkt, zu dem das Haus Augustastraße 7 zu einem der Gelsenkirchener Ghettohäuser deklariert wurde, dort wohnten. Auch hier waren es Angehörige, die für die Finanzierung der kleinen Denkmale gesorgt haben. Henriete Breuer, Elfried Prüfke, Luise und Kurt Todtenkopf sowie Margot Spielmann - Jeder dieser Menschen erhielt einen eigenen Stolperstein. Ein Anliegen von Gunter Demnig war und ist, Familien, die durch NS-Verfolgung getrennt wurden, im Gedenken symbolisch wieder zu vereinen. Das Haus in der Augustastraße 7 wurde zum 21. November 1974 als vollständig abgebrochen vermerkt. Heute befindet sich auf dem Grundstück ein Parkplatz. Stolpersteine erinnern an diesem Unrechtsort bereits seit 2010 an die Schwestern Margit und Annemie Zorek.
An August Engler, Sozialdemokrat im Widerstand, erinnert nun ein Stolperstein am letzten, selbstgewählten Wohnort, der Wilhelminenstr. 77. August Engler, 1937 in Gelsenkirchen verhaftet, überlebte das KZ Buchenwald nicht. Die Patenschaft für diesen Stolperstein hatte die Schalker Fan-Ini übernommen.
Bochum: Bundesweit erste Stolperschwelle für verfolgte Homosexuelle
Andreas Jordan | 22. Mai 2024 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Am Freitag, den 7. Juni 2024 um 9 Uhr wird in Bochum, Viktoriastraße 8-10 / Husemannplatz erstmals in Deutschland eine Stolperschwelle für verfolgte Homosexuelle verlegt. Bildhauer Gunter Demnig wird die Schwelle selbst verlegen.
Ort der Verlegung: Neubau des Husemannkarree (vor dem Eingang Woolworth), hier stand während der NS-Zeit der Gebäudekomplex aus Amts- und Landgericht und Staatsanwaltschaft. Weitere Informationen → hier.
Online-Redaktion | 16. April 2024 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Bisher Unbekannte haben in der Gelsenkirchener Von-Der-Recke-Straße vier Stolpersteine zum Andenken an im Nationalsozialismus verfolgte Gelsenkirchener Juden offenbar gezielt geschändet. Empörte Anwohner entdeckten die Tat und informierten die hiesige Stolperstein-Initiative. Vor Ort angekommen war dann festzustellen, dass die Stolpersteine massiv mit Farbe beschmiert und auf diese Weise die Namen und Daten auf den Stolpersteinen unkenntlich gemacht worden sind.
Die hinzugerufene Polizei und der Staatsschutz dokumentierten die Schändung und nahmen eine Strafanzeige auf. Unmittelbar danach begannen Mitglieder der Projektgruppe Stolpersteine mit der Reinigung der Mahnmale. "Eine unbegreifliche, abscheuliche Tat, weil die Namen der Holocaustopfer erneut ausgelöscht worden sind" sagt Andreas Jordan, Projektleiter der Stolperstein-Initiative in Gelsenkirchen. Die Stolpersteine konnten nur mit erheblichem Aufwand gereinigt werden und so ein würdiges Erscheinungsbild wiederhergestellt werden.
Die vier Stolpersteine erinnern vor dem Haus Von-Der-Recke-Straße 10 seit Oktober 2012 an Selig Uscher Krämer, seine Frau Perla sowie deren Kinder Max und Charlotte. Seit nunmehr 15 Jahren verlegt die Projektgruppe Stolpersteine Gelsenkirchen zumeist gemeinsam mit Bildhauer Gunter Demnig - dem Erfinder der Stolpersteine - die kleinen Denkmale in Gelsenkirchen. Es war das erste Mal, dass in Gelsenkirchen Stolpersteine gezielt geschändet wurden.
+ + + Update 17. Mai 2024: Die Polizei sucht nun Zeugen und bittet um Hinweise unter den Telefonnummern 0209 365 8501 oder 0209 365 8240.
Geschichtsorte: Acht neue Stolpersteine in Gelsenkirchen würdigen NS-Opfer
Andreas Jordan | 8. Mai 2024 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Abb: Stolpersteinverlegung für Familie Ignaz Wieselmann in Gelsenkirchen mit der Gesamtschule Buer-Mitte
Die Klänge aus dem Saxophon - Luca spielte ein Musikstück aus dem Film 'Schindlers Liste' - schlossen die gestrige (7.5.) Stolpersteinverlegung in Buer atmosphärisch ab, es flossen bei einigen der Teilnehmenden Tränen.
Gemeinsam mit den Schüler*innen der AG Spurensucher und einem Geschichtskurs - beide von der Gesamtschule Buer-Mitte - und Gästen aus dem nachbarschaftlichen Umfeld verlegten wir heute vor dem Haus Luggendelle 26 fünf Stolpersteine für die Familie Wieselmann. Unter dem NS-Gewaltregime wurden Ignaz Wieselmann und seine Frau Adele im KZ Majdanek, Tochter Hildegard im deutsch besetzten Polen ermordet. Diese drei Familienmitglieder waren zuvor nach Polen abgeschoben worden. Den Töchtern Elfriede und Helene gelang die frühzeitige Flucht nach Palästina.
Lehrer Julian Berendes hatte mit seinem Geschichtskurs Lebens- und Leidenswege der Familie Wieselmann recherchiert und gemeinsam mit den Schülern auch eine Sammelaktion mit verschiedenen Aktivitäten gestartet - so konnten vier der Stolpersteine finanziert werden, eine Patenschaft war bereits zuvor anderweitig vergeben worden.
Abb: Stolpersteinverlegung für Familie Alfred Heymann
Todesurteil wegen 'Diebstahl einer Kartoffel'
Im Beisein der eigens angereisten US-Amerikanerin Ellen Marcus und den Stolpersteinpaten Irene Mihalic (MdB), Markus Töns (MdB) und Cristoph Klug, der den terminlich in Berlin gebundenen Bundesjustizminister Marco Buschmann vertrat, verlegten wir heute im Rahmen einer Gemeinschaftsverlegung Stolpersteine für Familie Alfred Heymann vor dem Haus Liboriusstr. 100 in Gelsenkirchen. Familie Heymann wurde am 27. Januar 1942 von Gelsenkirchen nach Riga deportiert. Alfred Heymann wurde in der Folge im Ghetto Riga ermordet, Tochter Hannelore wurde wegen dem 'Diebstahl einer Kartoffel' im Zentralgefängnis Riga ermordet, ihre Mutter Grete, geb. Marcus, starb einen gewaltsamen Tod im KZ Stutthof.
Stolpersteinverlegungen in Gelsenkirchen: Ausblick 2024
Andreas Jordan | 5. Januar 2024 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Gunter Demnig hat die Stolpersteine erdacht, das größte dezentrale Mahnmal der Welt. Es ist nicht sein einzigstes Werk, jedoch das bekannteste. Seit mehr als 30 Jahren verlegt der Bildhauer die von ihm ersonnenen Stolpersteine zu Ehren der von den Nazis in Europa verfolgten, verschleppten, in den Suizid getriebenen und ermordeten Menschen - zumeist vor deren ehemaligen Wohnhäusern. Menschen, denen eine rechtzeitige Flucht aus Nazi-Deutschland gelungen ist, werden dabei ebenso wenig ausgeschlossen wie verfolgte Menschen, die den NS-Terror überleben konnten.
Geschichtsorte in der Nachbarschaft
Die Stolpersteinverlegungen 2024 in Gelsenkirchen finden zweimal als Gemeinschaftsverlegung statt, zu einer weiteren Verlegeaktion kommt Bildhauer Gunter Demnig persönlich nach Gelsenkirchen. 2024 werden wir in Summe 31 neue Stolpersteine in unserer Stadt verlegen.
Donnerstag 6. Juni 2024: Stolperstein-Verlegung gemeinsam mit Bildhauer Demnig
( Änderungen vorbehalten. Wir bitten Teilnehmende, ein Zeitfenster von +/- 15 Minuten zu allen o. g. Uhrzeiten einzuplanen.)
FC Schalke übernimmt Patenschaften im Rahmen des Projekts Stolpersteine Gelsenkirchen
Online-Redaktion | 15. April 2024 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Abb: Seit April 2013 erinnert ein Stolperstein an Juda Rosenberg
Bisher erinnert in Gelsenkirchen an der Ringstraße 48 ein Stolperstein an Juda Rosenberg, nun können drei weitere Stolpersteine für dessen Eltern Feibisch und Chana sowie Bruder Josef an gleicher Stelle verlegt werden.
Die Patenschaft und die damit einhergehende Finanzierung für diese drei Stolpersteine hat der FC Schalke 04 übernommen. Die Recherchen zu den Lebens- und Leidenswegen hat der FC Schalke 04 durchgeführt und bereits abgeschlossen, im nächsten Jahr sollen die Stolpersteine in Gelsenkirchen an der Ringstraße 48 verlegt werden.
81. Jahrestag: Deportation der Gelsenkirchener Sinti und Lovara nach Auschwitz-Birkenau
Andreas Jordan | 1. März 2024 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Abb: Deportation von Sinti in Asperg, Mai 1940 (Symbolbild)
Am 9. März 1943 wurden die in Gelsenkirchen in einem kommunalen Internierungslager an der damaligen Reginenstraße (Ückendorf) zwangsweise lebenden deutschen Sinti und Lovara zusammengetrieben. Mit dem Ziel ihrer Ermordung wurden die Menschen über Bochum (Nordbahnhof) in das so genannte "Zigeunerlager" Auschwitz-Birkenau deportiert. In den so genannten "Hauptbüchern" des "Zigeunerlagers" ist die Ankunft der aus Gelsenkirchen verschleppten Angehörigen der Minderheit am 13. März 1943 festgehalten. Die Lebenswege von 164 Kindern, Frauen und Männern endeten mit der Ermordung in Auschwitz-Birkenau und 48 mit unbekanntem Schicksal im Lagerkomplex Auschwitz. Bei 31 als „Zigeuner“ verfolgten Menschen mit Lebensmittelpunkt in Gelsenkirchen konnte eine Deportation nach Polen im Mai 1940 nachgewiesen werden, fünf weitere Menschen, ebenfalls Angehörige der Minderheit, wurden in anderen Lagern des so genannten "Dritten Reiches" ermordet. → Digitales Gedenkbuch Gelsenzentrum, Teil II
Wo wirst du sein, wenn sie sie holen?
Online-Redaktion | 16. Januar 2024 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Wo wirst Du sein, wenn die Deportationen beginnen? Der nachfolgende Text von Sabine Asgodom „Wo wirst du sein, wenn sie sie holen?“ lässt uns fragend zurück:
Wo wirst du sein, wenn sie sie holen?
Wirst du die Liste der Kinder in deiner Klasse schreiben, die abtransportiert werden sollen? Und beflissentlich die Namen abhaken, damit sie wirklich alle erwischen? Oder wirst du selbst den Bus fahren, der sie wegbringt?
Wo wirst du sein, wenn sich deine Nachbarn still vergiften, weil eine Deportation mehr Angst macht als der Tod? Wirst du deine Freunde anrufen, dass eine schöne Wohnung freigeworden ist, voll möbliert?
Wo wirst du sein, wenn sie deine Patienten holen, die endlich die Betten auf deiner Station freimachen müssen? Und wenn die Pflegekräfte mit den fremden Namen gleich mitgehen? Wirst du die Maschinen ausstellen für solche, für die sich ein Transport gar nicht mehr lohnt?
Wo wirst du sein, wenn weinende Mütter und Kinder aus den Flüchtlingsunterkünften getrieben werden? Wirst du heimlich das kleine Stoffkaninchen aufheben?
Wo wirst du sein, wenn deine Erntehelfer nicht kommen? Wer pflückt deine Gurken? Wirst du sie selbst unterpflügen?
Wo wirst du sein, wenn die dunkelhäutigen Kinder aus deiner Kita verschwunden sind? Wirst du ihre kleinen Hausschuhe in Mülltüten stecken, und die bunten Trinkflaschen und ihre Matschhosen? Und dann gründlich durchwischen?
Wo wirst du sein, wenn deine Kollegen mit Migrationshintergrund ihren Arbeitsplatz räumen müssen? Wirst du ihnen noch alles Gute wünschen? Und ihre Arbeit dann mitmachen? Oder die Sozialschmarotzer, die man dir zuweist, einarbeiten?
Wo wirst du sein, wenn alle Dönerbuden geschlossen sind, und alle Sushi-Roller deportiert? Freust du dich auf die deutschen Kneipen mit Bratwurst und Sauerkraut?
Wirst du nur die Schüsse hören, die den sich wehrenden jungen Männern aus den Containern gelten, oder wirst du sie selbst abgeben? Weil man sich ja den Anweisungen nicht widersetzen kann, weißt du, wir konnten als Einzelne ja nichts tun?
Wo wirst du sein, wenn dein Name auf einer Liste erscheint von Menschen, die diese Flüchtlinge einst auch noch unterstützt haben? Die sich in Migranten verliebt haben, ja, sie in ihre deutschen Familien aufgenommen haben? Wirst du deine nicht-arischen Enkelkinder mal in Nordafrika besuchen?
Was wird aus dir werden?
Keiner von uns wird ungeschoren davonkommen.
Gelsenkirchen: Internationaler Holocaust-Gedenktag und Jahrestag der Deportation nach Riga
Online-Redaktion | 16. Januar 2024 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Der 27. Januar ist in Gelsenkirchen ein besonderer Gedenktag. Am 27. Januar 1945 befreiten sowjetische Soldaten die letzten noch im Vernichtungslager Auschwitz verbliebenen Überlebenden. Bereits am 27. Januar 1942 fand die erste Deportation jüdischer Männer, Frauen und Kinder aus Gelsenkirchen und weiteren umliegenden Städten in das Ghetto Riga statt. Zu diesem Zweck hatten die Nazis in der damaligen Ausstellungshalle am Wildenbruchplatz eigens ein temporäres 'Judensammellager' eingerichtet. In Deutschland wird seit 1996 am 27. Januar an die Opfer der NS-Gewaltherrschaft erinnert. 2005 erklärten die Vereinten Nationen diesen Tag zum Internationalen Holocaust-Gedenktag.
Auschwitz ist das Synonym für den Massenmord der Nazis an Juden, Sinti und Roma und anderen Verfolgten. Auschwitz ist Ausdruck des Rassenwahns und das Kainsmal der deutschen Geschichte. Der 27. Januar, der Tag der Befreiung von Auschwitz, ist daher kein Feiertag im üblichen Sinn. Er ist ein "DenkTag": Gedenken und Nachdenken über die Vergangenheit schaffen Orientierung für die Zukunft. Die beste Versicherung gegen Völkerhass, Totalitarismus, Faschismus und Nationalsozialismus ist und bleibt die Erinnerung an und die aktive Auseinandersetzung mit der Geschichte. In Gelsenkirchen wird am 27. Januar der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz 1945 gedacht, zudem der Deportation jüdischer Menschen von Gelsenkirchen nach Riga, die drei Jahre zuvor am 27. Januar 1942 vom NS-Terrorregime nicht zuletzt mit Hilfe der örtlichen Stadtverwaltung durchgeführt wurde.
Stolpersteinverlegungen in Gelsenkirchen: Ausblick 2024
Andreas Jordan | 4. Januar 2024 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Gunter Demnig hat die Stolpersteine erdacht, das größte dezentrale Mahnmal der Welt. Es ist nicht sein einzigstes Werk, jedoch das bekannteste. Seit mehr als 30 Jahren verlegt der Bildhauer die von ihm ersonnenen Stolpersteine zu Ehren der von den Nazis in Europa verfolgten, verschleppten, in den Suizid getriebenen und ermordeten Menschen - zumeist vor deren ehemaligen Wohnhäusern. Menschen, denen eine rechtzeitige Flucht aus Nazi-Deutschland gelungen ist, werden dabei ebenso wenig ausgeschlossen wie verfolgte Menschen, die den NS-Terror überleben konnten.
Geschichtsorte in der Nachbarschaft
Die Stolpersteinverlegungen 2024 in Gelsenkirchen finden zweimal als Gemeinschaftsverlegung statt, zu einer weiteren Verlegeaktion kommt Bildhauer Gunter Demnig persönlich nach Gelsenkirchen. 2024 werden wir in Summe 31 neue Stolpersteine in unserer Stadt verlegen.
Andreas Jordan | 27. Oktober 2023 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Seit über 30 Jahren widmet sich der in Berlin geborene Bildhauer Gunter Demnig der Erinnerung an jene, die einmal einfach Nachbar*innen waren und eines Tages verschwanden – vertrieben, verschleppt, ermordet von den Nazis.
Am 16. Dezember 1992 legte Demnig in Köln seinen ersten "Stolperstein". Inzwischen liegen in Deutschland und vielen anderen Ländern rund 104.000 dieser kleinen, mit Metall beschlagenen Quader vor Häusern, wo die Opfer einst wohnten. Heute hat Bildhauer Gunter Demnig Geburtstag. Wir gratulieren herzlich!
Gedenkveranstaltung im Herzen der Stadt: Kinder waren die wehrlosesten Opfer
Online-Redaktion | 26. September 2023 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Am Samstag (23.9.) fand auf dem Rosa-Böhmer-Platz in Gelsenkirchen eine städtische Gedenkveranstaltung anlässlich des 80. Jahrestages der Deportation Gelsenkirchener Sinti in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau statt. Der Rosa-Böhmer-Platz im Herzen der Stadt Gelsenkirchen wurde auf eine Anregung aus der Bürgerschaft 2020 nach dem Sinti-Mädchen Rosa Böhmer benannt und erinnert damit stellvertretend an die Verfolgung und Ermordung von Sinti und Roma in der Nazi-Zeit.
Der Musiker Karl Böhmer und seine Frau Anna, in Gelsenkirchen ansässige deutsche Sinti, lebten seit 1930 in einer Wohnung an der Bergmannstraße in Ückendorf. 1930 wurde Sonia Böhmer, 1931 ihre Schwester Elisabeth geboren. Am 21. November 1931 heirateten Karl und Anna in Gelsenkirchen. Anna Böhmer brachte sieben weitere Kinder zur Welt, 1933 werden Rosa, 1935 Willy, 1937 Karl, 1938 Marie, 1939 Sophie, 1940 Albert und 1942 Werner geboren. Niemand aus der Familie Böhmer hat in der Folge Rassenwahn und Vernichtungswille der Nazis überlebt.
Seit 2014 erinnern am letzten, selbstgewählten Wohnort der Familie Böhmer elf von Gelsenkirchener:Innen gespendete Stolpersteine an Familie Böhmer - so wird in Gelsenkirchen vor dem Haus Bergmannstr. 34 die Verfolgung und Ermordung deutscher Sinti sichtbar.
Bürgerantrag: Tafel soll exemplarisch an Ghettohaus Augustastr. 7 erinnern
Online-Redaktion | 16. August 2023 | Stolpersteine Gelsenkirchen
In den Ghettohäusern, so genannte ‚Judenhäuser‘ mussten Jüdinnen*Juden auf engstem Raum mit anderen Menschen zusammenleben. Sie wurden entweder gezwungen, von ihrem eigenen Haus aus in ein ‚Judenhaus‘ umzuziehen, oder sie mussten in ihrem eigenen Haus andere jüdische Familien aufnehmen. Ihr Haus wurde somit zu einem ‚Judenhaus‘ umfunktioniert. Am damaligen Standort eines der Gelsenkirchener Ghettohäuser an der Augustastr. 7 soll exemplarisch eine Erinnerungstafel errichtet werden. Eine dahingehende Anregung (§ 24 GO NRW) haben wir heute der Gelsenkirchener Oberbürgermeisterin übermittelt:
Sehr geehrte Frau Welge,
im Rahmen eines Bürgerantrags rege ich an, in Höhe der Kreuzung Weber-/Augustastr. eine Erinnerungstafel
„Ghettohäuser Gelsenkirchen 1939-1945“ zu errichten.
Begründung:
Auch Gelsenkirchen war unter der Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus ab dem Jahr 1939 von einem Netz von innerstädtischen Ghettohäusern - so genannter 'Judenhäuser' - überzogen. Auf dem heute als „Parkplatz WEKA-Karee“ genutzen Grundstück stand das Haus Augustastrasse 7, von der damaligen NS-Stadtverwaltung zu einem der Gelsenkirchener Ghettohäuser erklärt.
In das Haus Augustastrasse 7 wurden seit 1939 mehr und mehr Menschen zwangseingewiesen, die unter stetig steigenden antisemitsichen Verfolgungsdruck ihre Wohnungen haben verlassen müssen. Ihres früheren sozialen Umfeldes beraubt, mussten die Jüdinnen und Juden einen Großteil ihrer Habe und ihres Mobiliars veräußern und fortan auf sehr beengtem Raum leben, teilweise mit mehreren Familien in einer Wohnung. Die Konzentrierung der Jüdinnen und Juden in diesen Zwangsunterkünften wurde von der Gestapo angeordnet, in enger Kooperation mit der städtischen Verwaltung, die sich auch um die Neuvermietung der frei gewordenen Wohnungen an nichtjüdische Deutsche kümmerte.
Als eines der Gelsenkirchener Ghettohäuser wurde es zu ihrem völlig überbelegten, letzten Wohnort vor den Deportationen von
Gelsenkirchen nach Riga, Warschau, Theresienstadt und in das Zwangsarbeitslager Elben bei Kassel – von den aus diesem Haus deportierten Menschen hat kaum jemand den unbedingten Vernichtungswillen des NS-Terrorregimes überlebt.
Mit der Erinnerungstafel soll exemplarisch am damaligen Unrechtsort Augustastr. 7 für alle Bürger*Innen zugänglich an geschehenes Unrecht und die Schicksale der dort im NS aus rassistischen Gründen zwangsweise untergebrachten Menschen erinnert werden. Dies kann nur in der Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart geschehen, indem wir nachfolgenden Generationen vor Augen führen, welch
wertvolles und unersetzliches Gut ein freies und selbstbestimmtes Leben ist.
+ + + UPDATE 9/2023: Zwischenzeitlich hat die Stadtverwaltung Gelsenkirchen den Eingang der Anregung bestätigt und zuständigkeitshalber an das hiesige Institut für Stadtgeschichte zur weiteren Bearbeitung weitergeleitet.
+ + + UPDATE 4/2024: Der Anregung wurde von Seiten der politischen Gremien nicht gefolgt. Eine (exemplarische) Erinnerungsortetafel „Ghettohäuser in Gelsenkirchen 1939-1945“ an der Augustastraße 7 wird als nicht notwendig errachtet.
Neue Wanderausstellung: „Rosa Winkel. Als homosexuell verfolgte Häftlinge in den Konzentrationslagern Buchenwald und Mittelbau-Dora“
Andreas Jordan | 30. Juli 2023 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Die Ausstellung „Rosa Winkel. Als homosexuell verfolgte Häftlinge in den Konzentrationslagern Buchenwald und Mittelbau-Dora“ erzählt erstmalig, unter welchen Bedingungen queere Menschen im Konzentrationslager litten und welche Erfahrungen der Diskriminierung und Kriminalisierung sie auch nach der Befreiung machten. Im Mittelpunkt der Präsentation stehen die Lebens- und Arbeitsbedingungen der als homosexuell verfolgten Häftlinge in den Konzentrationslagern Buchenwald und Mittelbau-Dora. Die Ausstellung zeigt, dass die mit einem rosa Winkel gekennzeichneten Häftlinge zeitweise auf der niedrigsten Stufe der sozialrassistisch bedingten Häftlingshierarchie standen und daher unter einem hohen Vernichtungsdruck litten. Erarbeitet wurde die Ausstellung 2022 durch Studierende der Friedrich-Schiller-Universität Jena in Kooperation mit der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora.
Im Focus der Ausstellung steht auch der der Gelsenkirchener Ernst Papies
Der homosexuelle Ernst Papies wurde in der NS-Zeit mehrfach nach § 175 verurteilt und eingesperrt, überlebte die Konzentrationslager Buchenwald, Mauthausen und Auschwitz und brachte danach noch die Kraft auf, in der jungen Bundesrepublik Anträge auf Wiedergutmachung und Entschädigung zu stellen - jedoch vergeblich. Die Streichung des Paragraphen 175 im Jahr 1994 hat Ernst Papies noch erlebt, doch das im Sommer 2017 verabschiedete Gesetz zur Rehabilitierung der nach § 175 verurteilten homosexuellen Männer kam für Ernst Papies zu spät - da war er bereits seit zehn Jahren tot.
"Ernst Papies war ein Verfolgter, kein Opfer"
Nach Papies soll eine Straße in Gelsenkirchen benannt werden - das hiesige Institut für Stadtgeschichte (ISG) hat ein Geschichtsbild zu Ernst Paies erstellt und kam zu dem Ergebnis, das "es bedenkenswert ist, stellvertretend für andere oder auch eingebunden in die Geschichte anderer verfolgter homosexueller Bürger der Stadt angemessen an Ernst Papies zu erinnern." Vorausgegangen war die Anregung nach § 24 GO NRW, eine Straße in Gelsenkirchen nach Ernst Papies zu benennen, die der Bochumer Dipl.-Psychologe Jürgen Wenke und Andreas Jordan (Gelsenzentrum e.V.) gemeinsam an die Stadt gerichtet hatten. Jürgen Wenke hatte zuvor umfassende Forschungen zu den Lebens- und Leidenswegen von Ernst Papies durchgeführt: Dokumentation Ernst Papies.. Wie die Stadtverwaltung bereits 2022 mitteilte, steht aktuell in Gelsenkirchen keine Straße für eine Neubenennung zur Verfügung, sobald jedoch eine Straße zur Benennung ansteht, wird die Verwaltung eine Bennung nach Ernst Papies vorschlagen und den entsprechenden Gremien zur Beschlussfassung vorlegen. Bundesweit erste Kommune, die eine Straße nach einem im NS verfolgten Homosexuellen benannte, war 2016 Dortmund mit der Otto-Meinecke-Straße, es folgte 2019 Bochum mit der Hermann-Hussmann-Straße. Wird Gelsenkirchen die dritte Stadt in Deutschland, die mit einer Straßenbenennung an einen NS-verfolgten schwulen Mann erinnert?
Gelsenkirchen: Fortsetzung der Putzaktion - Viele Stolpersteine glänzen wieder
Online-Redaktion | 29. Juni 2023 | Stolpersteine Gelsenkirchen
In den letzten Tagen hat das Team von Liberating Gelsenkirchen (Digitales Museum) in Gelsenkirchen weitere der in unserer Stadt verlegten Stolpersteine auf Hochglanz poliert. Dieses Mal waren es Stolpersteine vor diesen Häusern: Grillostr. 57; Schalker Straße 160, 174, 184; Gewerkenstr. 2, 68; Bismarckstr.152 / 205 / 227; Hohenzollernstr.272; Wittekindstr. 21; Zeppelinallee 55; Feldmarkstr. 119; Kurfürstenstr. 8; Kurt-Schumacher-Str. 10; Schalker Str. 75; Küppersbuschstraße 25; Florastraße MIR/ÖVP-Haltestelle Höhe Kennedyplatz und Liebfrauenstraße 38. Wer eigeninitiatv Stolpersteine pflegen und polieren möchte, findet auf unserer Webseite entsprechende Informationen. Gerne beantworten wir Fragen per Email.
Gelsenkirchen: Die vergessenen Kinder von Zwangsarbeiterinnen
Andreas Jordan | 21. Juni 2023 | Stolpersteine Gelsenkirchen
„Die Würde kommt mit dem Namen des Menschen zurück. Ich finde, wir haben also die Verantwortung, dass wir die Namen den Menschen zurückgeben. Diese Kinder, die wirklich gelitten haben, bis sie zu Tode kamen, dass sie ihren Namen zurückbekommen und ihre Würde damit. (Margot Löhr)
Abb.: Stolpersteine erinnern in Hamburg an ermordete Kinder von Zwangsarbeiterinnen. (Foto: Gesche-M. Cordes)
Unter den Millionen Zwangsarbeitern, die im Zweiten Weltkrieg ins Deutsche Reich verschleppt wurden, waren auch viele junge Frauen. Für die Nazis waren sie Menschenmaterial: Verschleppte Frauen aus Polen und der Sowjetunion, die in deutschen Privathaushalten, Firmen und Fabriken zwangsarbeiten mussten. Manche von ihnen waren schon bei der Verschleppung schwanger, andere wurden es in Deutschland. Aus deutscher Sicht zählte nur die Arbeitskraft der Frauen; Kinder waren weder vorgesehen noch erwünscht.
Abb.: Lili starb einige Tage vor ihrem ersten Geburtstag. (Sterbeurkunde Lili Beresa, Arolsen Archives)
Also wurden solche "Fälle" systematisch geregelt. In speziellen Lagern wie beispielsweise das Entbindungs- und Abtreibungslager Waltrop-Holthausen (Westfalen) wurden die Frauen zur Abtreibung gezwungen oder mussten unter primitivsten Bedingungen ihre Kinder zur Welt bringen. Die Bedingungen für die dort geborenen Kinder wurden so gestaltet, dass ein großer Teil der Säuglinge vor Vollendung des ersten Lebensjahres starb. Andere wurden anhand "rassischer" Kriterien überprüft und dann entsprechend ihrer Qualifizierung als "gut-" oder "schlechtrassisch" eingeteilt und ihren Müttern weggenommen - die "gutrassigen" sollten in besonderen Heimen als Deutsche erzogen werden.
Die meisten der in Waltrop-Holthausen geborenen Kinder erlitten ein anderes Schicksal, sie starben schon bald nach der Geburt an
Krankheiten oder an bewusst herbeigeführter Unterernährung. Auch in Gelsenkirchener Lagern wurden Kinder geboren, exemplarisch sei hier die Zememtfabrik Ostermann genannt.
Die lästigen Schwangeren und ihre "schlechtrassischen" Säuglinge
Auf kaum einem Gebiet zeigte sich die rassischtische Perversität der Nationalsozialisten und ihrer zahlreichen Helfershelfer derart, wie in der Behandlung der schwangeren Zwangsarbeiterinnen und ihrer Säuglinge. Die Schwächung der "biologischen Volkskraft der slawischen Völker im Osten" war ein wesentliches Ziel Hitlers und seiner SS-Schergen, dokumentiert in Reden und Programmen. "Das, was in den Völkern an gutem Blut unserer Art vorhanden ist, werden wir uns holen, indem wir ihnen, wenn notwendig, die Kinder rauben und sie bei uns großziehen",- hatte Himmler am 4.10.1943 verkündet, begleitet von zahlreichen Erlassen zur Behandlung schwangerer Polinnen und Ostarbeiterinnen und ihrer Kinder. Unfd als beim vormarsch in die Sowjetunion nicht alles so lief, wie Hitler sich das in seinem wahn gedacht hatte, ließ er über Bormann wissen; das er sofort Maßnahmen wünschte:
"1: um zu verhüten, daß von deutschen Militär- und Zivilangehörigen mit fremdvölkischen Frauen Kinder gezeugt werden.
2. um weiteren Verbreitung der Geschlechtskrankheiten zu begegnen und
3. um die Kinderzahl der einheimischen Bevölkerung selbst herabzudrücken."
Da der Gummimangel eine großzügige Verteilung von Kondomen verhinderte, blieb alles, wie es war.
Keine Deutsche und kein Deutscher konnte vor dem Elend der Zwangsarbeiter die Augen verschließen, doch nach 1945 wollte auch davon niemand "etwas gewusst" haben. Umso wichtiger ist heute, diese lange verschwiegenen Schicksale wieder zu vergegenwärtigen. Rund dreißig dieser vergessenen Kinder lassen sich derzeit in Gelsenkirchen nachweisen, die Recherchen sind jedoch noch nicht abgeschlossen. Wir wollen schon bald mit Stolpersteinen an diese Opfer in unserer Stadt erinnern. Es werden noch weitere Stolpersteinpat*Innen gesucht.
Grimme Online Award 2023: Stolpersteine NRW
Online-Redaktion | 16. Juni 2023 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Herzlichen Glückwunsch, liebes Team von „Stolpersteine NRW – Gegen das Vergessen”! Das multimediale WDR-Projekt gewinnt in der Kategorie „Wissen und Bildung“ den Grimme Online Award. Der Preis wurde verliehen für Konzept und Realisierung der App Stolpersteine NRW.
Begründung der Jury: Das Projekt "Stolpersteine NRW" verzeichnet auf einer interaktiven Karte alle rund 16.000 Stolpersteine in Nordrhein-Westfalen und beleuchtet die Hintergründe zu den Steinen. Das Angebot macht die Lebensgeschichten der Opfer in verschiedenen Formaten verfügbar. Während automatisierte Foto-Text-Strecken die Biografien in den historischen Kontext einbetten, visualisieren Infografiken verstörende Fakten und Zahlen zum Holocaust. Trotz der sachlichen Tonlage vermögen die Beiträge zu berühren. Die Inhalte sind hervorragend recherchiert und geben einen umfassenden Einblick in das Leben und Schicksal der Deportierten. Die Navigation in jeweils komplementär wirkender App und Website ermöglicht eine unkomplizierte Nutzung, ob zu Hause am Laptop oder vor Ort auf einer der vorgeschlagenen Routen mit dem Smartphone.
Dabei hilft besonders die Möglichkeit, Stolpersteine nach Kriterien wie Geburtsjahr, Opfergruppen, Deportationsort oder Art der inhaltlichen Aufbereitung zu filtern. Lehrer*innen finden auf der Website gut aufbereitete Unterrichtsmaterialien – und Schüler*innen die Option, weitere Informationen einzupflegen. Das Projekt zeichnet sich insgesamt durch eine hohe gestalterische Qualität, gutes Storytelling und eine einwandfreie technische Umsetzung aus. Mit rund 230 Graphic Storys, rund 80 Audio Storys und über 1.000 Text Storys, die für das Projekt neu produziert wurden, ist es ein herausragendes digitales Angebot, das einen wichtigen Beitrag zur Erinnerungskultur leistet und das Potenzial hat, auf andere Regionen ausgedehnt zu werden.
Beschreibung: Mit „Stolpersteinen“ erinnert der Künstler Gunter Demnig an Menschen, die während des Nationalsozialismus verfolgt wurden. In der App und auf der Website „Stolpersteine NRW“ des WDR sind sie erfasst. Die Lebensgeschichten vieler Opfer sind als Graphic-Storys, Text, Audio und in einer AR-Umgebung verfügbar, in der sich virtuelle Kerzen platzieren lassen. In Zusammenarbeit mit Initiativen vor Ort macht die Anwendung Geschichte vor der Haustür erlebbar und arbeitet gegen das Vergessen an. Ein Vorbild auch für andere Regionen.(Quelle Begründung u. Beschreibung: Grimme-Institut)
Bauarbeiten: Stolpersteine gesichert und eingelagert
Online-Redaktion | 15. Juni 2023 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Vor dem Haus Poststraße 20 in Gelsenkirchen-Horst erinnerten Stolpersteine an Josef Günsberg und seine Kinder Fanny und Lothar. Die Familie wurde im Holocaust von den Nazis ermordet. Ihnen war zuvor noch die Flucht nach Holland gelungen, doch dort wurden sie vom Mordapparat der Nazis eingeholt. Über das Durchgangslager Westerbork wurde Josef Günsberg nach Auschitz, die Kinder in das Vernichtungslager Sobibor verschleppt und ermordet. Die genaue Lage und Anordnung der Steine wurden vor Beginn dort aktuell stattfindender Erdarbeiten fotografiert, die kleinen Denkmale ausgebaut und eingelagert. Wie die bauausführende Firma heute versicherte, werden die Stolpersteine nach Abschluss der Arbeiten wieder an Ort und Stelle in den Gehweg eingelassen.
Gelsenkirchen: Viele Stolpersteine glänzen wieder
Online-Redaktion | 12. Juni 2023 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Am vergangenen Wochende hat das Team von Liberating Gelsenkirchen (Digitales Museum) in Gelsenkirchen in einer zweitägigen Putzaktion viele der in unserer Stadt verlegten Stolpersteine auf Hochglanz poliert. Am ersten Tag der Putzaktion nahm sich das Team alle Stolpersteine südlich des Hauptbahnhofes vor, an Tag zwei setzten Melanie, Philipp und Jonas die Putzaktion im Gelsenkirchener Norden fort. Stolpersteine an folgenden Lern- und Erinnerungsorten glänzen wieder: Steinfurthstr. 26
Karl-Meyer-Str. 2,10 und 29; Schwanenstr. 6; Josefstr. 32; Neustadtplatz 6; Bochumer Str. 45 und 92; Knappschaftshof 1; Bergmannstr. 34,37 und 43; Dessauerstr. 72 sowie Im Quartiermeister 18; Freiheit 5; Buer-Gladbecker-Str. 12; Königgrätzerstr. 20; Urbanusstr. 1; Horster Str. 17;
Breddestr. 21; Rathausplatz 4; Cranger Str. 265,398; Mittelstr. 36. Wer eigeninitiatv Stolpersteine pflegen und polieren möchte, findet auf unserer Webseite entsprechende Informationen. Gerne beantworten wir Fragen per Email.
Der 100.000ste Stolperstein
Online-Redaktion | 22. Mai 2023 | Stolpersteine Gelsenkirchen
100.000 mal einem Menschen gedacht
– eine Biografie erforscht
– eine Inschrift in Messing geschlagen
– einen Gehweg geöffnet
– einen Namen zurück in unsere Straßen geholt
– ein Schicksal öffentlich sichtbar gemacht
– einen Ort für Gedenken und Trauer geschaffen
– die Verbrechen angeklagt
– Menschen zusammengebracht
– die Vergangenheit mit dem Heute verbunden
– uns zum Nachdenken animiert
– und uns in die Verantwortung gezogen.
Als Gunter Demnig 1992 das KunstDenkmal STOLPERSTEINE entwickelte, ging es ihm um individuelles Gedenken. Die Nationalsozialisten wollten die verfolgten Menschen zu Nummern machen und ihre Identität auslöschen. Mit den STOLPERSTEINE wollte er diesen Prozess rückgängig machen und ihre Namen wieder in die Straßen und Städte zurückholen. In diesem Sinne ist es wichtig zu betonen, dass der 100.000ste Stein am 26. Mai 2023 für Johann Wild, der aktiv im sozialistischen Widerstand tätig war, verlegt wird. Johann Wild, der am 24. Mai 1892 in Nürnberg geboren wurde, war gelernter Mechaniker und arbeitete nach dem Ersten Weltkrieg bei der Nürnberger Feuerwehr. Er wohnte zusammen mit seiner Frau Emma und der gemeinsamen Tochter Elvira in der Bartholomäusstraße 29a.
Der Stolperstein wird in Nürnberg verlegt. Einer Stadt, in welchen die Verbrechen gegen die Menschheit erstmalig geahndet wurden. In einer Stadt also, die bis heute für die Achtung und Wahrung der Menschenrechte steht. Der 100.000ste Stolperstein soll uns daher daran erinnern,
– dass hinter jedem Stein ein Menschenleben steht.
– dass es 100.000 Steine von nötigen 12 Millionen sind.
– dass wir auch heute – im Zweifel auch gegen Widerstand – für Menschenrechte eintreten müssen.
Ellen Marcus besucht letzten selbstgewählten Wohnort von Angehörigen in Gelsenkirchen
Andreas Jordan | 11. Mai 2023 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Aus Texas angereist nahm Ellen Marcus gestern in Bochum an der Stolpersteinverlegung für ihren Vater Hans-Werner und seine beiden Schwestern in Bochum teil. Heute stand dann u.a. ihr Besuch in Gelsenkirchen auf dem Pogramm. Wir trafen uns mit Ellen Marcus am letzten, selbstgewählten Wohnort der Familie Alfred Heyman an der Gelsenkirchener Liboriusstr. 100, dort werden wir im nächsten Jahr im Rahmen einer Gemeinschaftsverlegung Stolpersteine im Gedenken an Alfred, seine Frau Grete, geborene Marcus und deren Tochter Hannelore Heymann verlegen. Gemeinsam besprachen wir auch den Verlegeort im Gehwegpflaster. Die Stolperstein-Patenschaften und damit die Finanzierung der kleinen Denkmale für Familie Heymann haben Bundesjustizminister Marco Buschmann und die Bundestagsabgordneten Marcus Töns und Irene Mihalic übernommen.
8. Mai: Der Tod kam am Tag der Befreiung
Online-Redaktion | 8. Mai 2023 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Robert Mäusert erlebte die Befreiung des KZ Ravensbrück und machte sich am 6. Mai 1945 auf den Heimweg nach Gelsenkirchen. Wie überlebende Zeugen Jehovas später Frieda Mäusert berichteten, war ihr Mann zu diesem Zeitpunkt völlig erschöpft, so dass er mit einer Transportkarre befördert werden musste. Doch seine Kräfte reichen nicht aus, auf dem Weg über die Elbe in Richtung Westen verstarb Robert Mäusert am 8. Mai 1945 im Alter von 53 Jahren. Seine Glaubensbrüder beerdigten ihn in Wittenberge an der Elbe auf dem Ehrenfriedhof. Am letzten, selbstgewählten Wohnort in Gelsenkirchen, Im Bahnwinkel 10 erinnert ein Stolperstein an Robert Mäusert
Enkelin stellt Dokumente aus der Familie zur Verfügung
Andreas Jordan | 4. Mai 2023 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Im April 2023 stellte uns eine Enkelin von David Rabinowitsch eine Auswahl von Dokumenten und Fotos aus der Familie zur Verfügung.
In die bereits vorliegende Dokumentation zu Lebens- und Leidenswegen der Familie David Rabinowitsch konnten wir nun die teilweise bisher nicht bekannten Details des Lebens- und Verfolgungsweges von Berthold Ranbinowitsch in unsere Online-Dokumentation eingepflegen.
Verlegt am 8. Mai 2020 - 75. Jahrestag der Befreiung und dem Ende des zweiten Weltkrieges in Europa: Stolpersteine für David und Johanna Rabinowitsch sowie Johannas Sohn aus erster Ehe, Arthur Lewin.
2024 soll nun auf Wunsch seiner Tochter an gleicher Stelle im Zuge einer symbolischen Familienzusammenführung ein Stolperstein für Berthold Rabinowitsch verlegt werden.
Historischer Rückblick: Die Bahnhofstraße in Gelsenkirchen
Andreas Jordan | 2. Mai 2023 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Zu den Gewerbebetrieben an der Gelsenkirchener Bahnhofstraße in den 1930er Jahren (im Volksmund seinerzeit auch abschätzig "Jerusalemer Straße" genannt) zählten die nachfolgend genannten Geschäfte und Praxen, deren Inhaber Juden waren. Zumeist waren diese Geschäftsleute auch Eigentümer der jeweiligen Immobilien. Das weckte nicht zuletzt bei den konkurierenden "arischen" Gewerbetreibenden oftmals Begehrlichkeiten, nicht wenige Angehörige der NS-Beutegemeinschaft konnten im Zuge des staatlich legitimierten Raubes - von den Nazis "Arisierungen" genannt - "günstig" Geschäfte und Immobilien jüdischer Alteigentümer zu Spottpreisen "übernehmen" - neben Parteigenossen auch Stadtverwaltung und Geldinstitute wie die Sparkasse. Die vormaligen jüdischen Inhaber nebst ihrer Familien wurden zur Flucht gedrängt bzw. gezwungen. Nicht allen gelang es jedoch, Nazi-Deutschland rechtzeitig zu verlassen, diese Menschen wurden deportiert und zumeist in Ghettos oder Konzentrationslagern ermordet.
Jüdische Inhaber - Geschäfte an der Gelsenkirchener Bahnhofstraße:
Moritz Groß, Schuhe. Bahnhofstrasse Nr. 13
Erich Neuwald, Konfitüren. Bahnhofstrasse Nr. 14
Markus Cohen, Konfektion. Bahnhofstrasse Nr. 19
Salomon Großmann, Hüte. Bahnhofstrasse Nr. 20
Gompertz GmbH, Pelz u. Mode. Bahnhofstrasse Nr. 22
B. Windmüller, Feinkost. Bahnhofstrasse Nr. 23
Ella Wimpfheimer, Textilwaren. Bahnhofstrasse Nr. 33
Theodor Löwenstein & Co, Putz u. Modewaren. Bahnhofstrasse Nr. 33
Bamberger, Manufakturwaren- und Konfektionshandlung. Bahnhofstrasse Nr. 35
Isidor Wollenberg, Konfektion. Bahnhofstrasse Nr. 36
Josef Stamm, Putz u. Modewaren. Bahnhofstrasse Nr. 38
Hugo Broch, Möbel. Bahnhofstrasse Nr. 40a
Eisig Halpern, Wäsche. Bahnhofstrasse Nr. 42
Dr. Hugo Alexander, Hautarzt. Bahnhofstrasse Nr. 42
Gustav Carsch & Co GmbH, Damen u. Herren Konfektion. Bahnhofstrasse Nr. 48-52
Appelrath & Cüpper GmbH, Damenkonfektion. Bahnhofstrasse Nr. 49
Friedrich Winter, Weißware. Bahnhofstrasse Nr. 54
Gebr. Alsberg, Kaufhaus. Bahnhofstrasse Nr. 55-65
Gebrüder Goldblum, Herren Konfektion. Bahnhofstrasse Nr. 62
Fritz Goldschmidt, Tabakwaren. Bahnhofstrasse Nr. 71
Hermann Oppenheimer, Konfektion. Bahnhofstrasse Nr. 76
Otto Samson, Schuhhaus. Bahnhofstrasse Nr. 78
Leopold Mosbach, Manufakturwaren. Bahnhofstrasse Nr. 80
Leo Toppermann, Schneider. Bahnhofstrasse Nr. 80
Jenny Boley, Herrenartikel. Bahnhofstrasse Nr. 85
Eintrag in der Gelsenkirchener Stadtchronik, 18. Oktober 1936: [... Wie die National-Zeitung mitteilt, sind in letzter Zeit wieder zwei grosse jüdische Geschäfte an der Bahnhofstrasse in arischen Besitz übergegangen. Die National-Zeitung schreibt: "Die repräsentativen Geschäftsräume des Schuhjuden Gross hat das Porzellanhaus Kettgen übernommen, während der Möbeljude Broch in der Glaspassage dem arischen Möbelhändler Heiland gewichen ist. Damit ist ein weiterer erfolgreicher Schritt zur "Entjudung" der Bahnhofstrasse getan worden, der um so mehr zu bergrüßen ist, als diese größte Geschäftsstraße unserer Vaterstadt nicht zu Unrecht als ihr Aushängeschild angesehen werden kann". ...]
Zum Tod von Herman D. Neudorf
Andreas Jordan | 1. Mai 2023 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Im Alter von 97 Jahren verstarb Herman D. Neudorf am 26. April 2023 in seiner Wahlheimat Hallandale Beach (Florida).
Herman Neudorf wurde 1925 in Gelsenkirchen (Horst-Emscher) geboren. Seine Eltern Simon und Frieda wurden im Holocaust von den Nazis ermordet, er überlebte eine siebenjährige Odysee durch Unrechtsorte und Lager der Nazis. Im April 1945 gelang ihm auf einem Todesmarsch aus dem KZ Buchenwald die Flucht.
Vorrübergehend kehrte er dann in sein Geburtstadt Gelsenkirchen zurück. Nach einem folgenden zweijährigen Aufenthalt in Bolivien emigrierte er in die USA und fand dort eine neue Heimat. Er heiratete Bella Neudorf (Verstorben 2005) und hatte mit ihr drei Söhne, Dr. Steven, Dr. Howard und Leslie Neudorf. Die letzten rund dreißig Jahre lebte Herman in Hallandale Beach, Florida. Er stand unserem Verein Gelsenzentrum e.V. viele Jahre beratend und unterstützend zur Seite. Persönlich verband uns eine langjährige Freundschaft. Herman wird einen festen Platz in unseren Herzen haben. Spurensuche in Gelsenkirchen-Horst: Lebensstationen: Anfang und Ende einer Odysee
NS-Zeit: Deportation der in "Mischehe" lebenden Gelsenkirchener Bürgerinnen und Bürger
Andreas Jordan | 13. April 2023 | Stolpersteine Gelsenkirchen
In "Mischehen" zwischen Juden und "Ariern" galt in der NS-Zeit für jüdische Ehepartner und Kinder längere Zeit ein spezieller "Schutz". Aufgrund ihrer Verbindung zur "Volksgemeinschaft" nahm das NS-Regime sie bis Herbst 1944 von zentralen Verfolgungsmaßnahmen, Deportation und Vernichtung aus. Im Sprachgebrauch der Nationalsozialisten galten sie daher als "privilegiert". Dennoch war die sogenannte Mischehe keine Garantie für ein Überleben.
Besonders auf "arische" Frauen aus "Mischehen" wurde sehr großer Druck ausgeübt sich scheiden zu lassen.Vor allem lokale Behörden gingen immer radikaler gegen diese Verbindungen vor. Viele Betroffene - wie auch deren ebenfalls ausgegrenzte und kriminalisierte Kinder - verloren dadurch nicht nur ihre Existenzgrundlage, sondern auch ihre Freiheit. Da die Regelungen zu den "Mischehefamilien" jedoch als "Geheime Reichssache" eingestuft waren, konnten deren Mitglieder nie wissen, durch welche Faktoren ihr Leben tatsächlich geschützt wurde. Weil die meisten Menschen dieser Verfolgtengruppe ihrer Ermordung im Holocaust entkamen, wurden sie viele Jahrzehnte nicht als rassisch Verfolgte wahrgenommen. Sie haben überlebt, waren jedoch traumatisiert.
Unser digitales Gedenkbuch Teil VII verzeichnet nun auch die Namen der Menschen, die im September 1944 nach Zeitz (Sammellager), Oberloquitz (Arbeitslager) bzw. Elben (Zwangsarbeitslager) u. andere Orte deportiert wurden - weil sie in sogenannter 'Mischehe' lebten.
Abb.: Der in "nichtprivilegierter Mischehe" lebende Moses Kuschner wurde am 19. September 1944 in Gelsenkirchen verhaftet und in das Arbeitslager Oberloquitz deportiert, am 2. Februar 1945 wird er weiter nach Theresienstadt verschleppt. Seine Befreiung aus dem KZ Theresienstadt erlebte Moses Kuschner 1945. (Foto: Digital Collection, Arolsen Archives, DocID: 12662805)
Ghettohäuser: Mythos von der ahnungslosen Ausgrenzungsgesellschaft
Andreas Jordan | 31. März 2023 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Abb.: Interaktive Stadtkarte: Verortung Gelsenkirchener Ghettohäuser, mit einem KLICK auf die Grafik gelangen Sie zur Karte.
Nachweisen lassen sich in Gelsenkirchen rund 40 dieser kleinräumigen, innerstädtischen Gettos, davon 6 mit einer Belegungsstärke von mehr als zwanzig Menschen. Ghettohäuser ("Judenhäuser") befanden sich in Gelsenkirchen an verschiedenen Orten. Die Zwangsumzüge fanden vor aller Augen statt, ebenso der Abtransport der von Deportationen betroffenen Menschen zum temporären "Judensammellager" in der damaligen Ausstellungshalle am Wildenbruchplatz. Die so genannten "Judenhäuser" waren die letzte Stufe nationalsozialistischer Ausgrenzung und Entrechtung jüdischer Mitbürger u.a. auch in Gelsenkirchen vor der Deportation in Ghettos und Vernichtungslager.
Stolpersteine: Familienzusammenführung der besonderen Art
Online-Redaktion | 13. März 2023 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Rund 20 Mitglieder der Familie Matuszak waren eigens nach Gelsenkirchen gereist, um hier an der Stolpersteinverlegung für die von den Nazis ermordeten Familienangehörigen teilzunehmen.
Vor dem Haus Bismarckstraße 56 wurden sieben Stolpersteine im Rahmen einer Gruppenverlegung von Andreas Jordan (Gelsenzentrum e.V.) in das vom Bauhof vorbereitete Gehwegpflaster eingesetzt. Die Initiative für die Verlegung dieser Stolpersteine war von Berta Levie-Jungman ausgegangen, sie ist die Tochter von Adele Matuszak. Zunächst im Januar 1942 von Gelsenkirchen nach Riga deportiert, erlebte Adele 1945 ihre Befreiung. Viele Jahrzehnte waren die Schicksale von Hermann, seiner Frau Irmgard und deren beiden gemeinsamen Kindern Chana und Berl ungeklärt, für die Familie eine große Belastung.
Bereits 1956 hatte der Holocaust-Überlebende Abraham Matuszak nach seinen Angehörigen geforscht, doch seine Fragen konnten nicht beantwortet werden. Abraham konnte überleben, weil er auf Schindlers Liste stand. Auch das war der Familie bisher nicht bekannt, erst unsere Recherchen zu den Stolpersteinen für die ermordeten Familienmitglieder brachte 78 Jahre nach Kriegsende mehr Licht ins Dunkel. Am Sonntag wurde Familie Matuszak im Gedenken symbolisch wieder vereint, genau vor dem Haus, das den Mittelpunkt der damaligen Lebenswelt von Familie Matuszak in Gelsenkirchen abbildet, bevor der Rassenwahn der Nazis auch diese Lebenswelt zerstörte.
Ein Familienmitglied sprach die Verlegezeremonie der Stolpersteine abschließend Kaddish, das universelle jüdische Heiligungsgebet. Dennoch handelt dieses Gebet nicht von Trauer, die gewaltsam Verstorbenen werden in diesem Gebet nicht erwähnt. Es gibt keinen Hinweis auf Kummer oder Traurigkeit oder Tod. Das Kaddisch ehrt Gott und dankt Gott für die Erschaffung der Welt. Daran anschließend wurde mit dem Gebet "El male Rachamim" der Ermordeten gedacht.
Ein Tisch für Levie
Berta Levie-Jungmann ließ es sich nicht nehmen, alle an der Verlegung der Stolpersteine teilnehmenden noch zu Kaffee und Kuchen in das Cafe Extrablatt an der Arminstr. einzuladen. In großer Runde reflektierten wir gemeinsam mit der Familie und weiteren Gästen das soeben Erlebte, alte Familienfotos machten die Runde. Langsam lösten sich bei allen die Anspannungen, wir hatten das Gefühl, an diesem besonderen Tag eine Art Teil der Familie geworden zu sein.
Abb.: Stolpersteine vor dem Haus Bismarckstr. 56 in Gelsenkirchen erinnern nun an von den Nazis ermordeten Mitglieder der Familie Matuszak.
Stolperstein erinnert an belgischen Zwangsarbeiter
Zuvor hatten wir an diesem Sonntag bereits im Ortsteil Horst einen Stolperstein für einen belgischen Zwangsarbeiter verlegt. Nach einem Bombenangriff wurde der Belgier in das St. Josef-Hospital eingeliefert, wo er einige Tage später an den Folgen der erlittenen schweren Verletzungen starb. Ihm war der Zutritt zu Bunkern bzw. Luftschutzräumen verboten. Über die nachfolgenden internen Verlinkungen gelangen sie zu biografische Skizzen der Menschen, für die am Sonntag (12.3.) Stolpersteine verlegt wurden: Ein Stolperstein für Petrus Gustav Droessaert, Rudolf-Bertram-Platz 1;
Sieben Stolpersteine für Familie Matuszak, Bismarckstr. 56.
Der Gelsenkirchener Verein Gelsenzentrum e.V. setzt seit 14 Jahren mit einer Projektgruppe das Kunstprojekt Stolpersteine von Gunter Demnig in Gelsenkirchen um. Bisher wurden so eine Stolperschwelle und 319 Stolpersteine an verschiedenen Stellen in Gelsenkirchen verlegt.
Stolpersteine sollen an Familie Hugo Gross erinnern
Andreas Jordan | 9. März 2023 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Die Familie Gross betrieb ein von Moritz Gross gegründetes Schuhgeschäft an der Bahnhofstraße in Gelsenkirchen. Moritz Groß starb am 28. Oktober 1933 und wurde auf dem jüdischen Friedhof in Gelsenkirchen-Ückendorf bestattet. Das Geschäft wurde von seinem Sohn Hugo übernommen. Hugo Groß war am 9. Mai 1892 in Gelsenkirchen geboren worden. Er hatte Grete Camnitzer geheiratet. Sie stammte aus Hagen, wo Sie am 19. März 1899 das Licht der Welt erblickt hatte. Diese Generation der Familie Groß hatte zwei Töchter, Ursula, geboren am 11. Februar 1924 in Gelsenkirchen, und Lieselotte, am 27. Juni 1927 gleichfalls in Gelsenkirchen geboren. Vier Stolpersteine sollen auf Wunsch von Nachfahren schon bald in Gelsenkirchen an die Familie erinnern. Lebensgeschichtliche Skizzen der → Familie Hugo Gross. Info per Mail: a.jordan(ätt)gelsenzentrum.de
30 neue Stolpersteine für Gelsenkirchen
Andreas Jordan | 7. März 2023 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Um die Erinnerung an die Opfer des NS-Regime wachzuhalten, haben wir gemeinsam mit Bildhauer Gunter Demnig am Montag 30 weitere Stolpersteine an zehn Orten im Gelsenkirchener Stadtgebiet verlegt.
Zahlreiche Menschen, darunter auch die vier Stolperstein-Paten, hatten sich an diesem Morgen trotz wiedriger Witterungsverhältnisse an der ersten Verlegestelle des Tages vor dem Haus Polsumer Str. 170 in Hassel versammelt, um der Verlegezeremonie für Familie Henze beizuwohnen. Eine Schülergruppe und auch die Bundestagsabgeordnete Irene Mihalic haben jüngst Patenschaften übernommen, die jedoch erst im nächsten Jahr realisiert werden - sie wollten sich jedoch schon jetzt vor Ort einen Eindruck von einer Stolpersteinverlegung verschaffen. Weiter ging es an der Mittelstr. 36, hier erinnern nun vier Stolpersteine an Familie Fritz Rosenbaum. Auch die Bismarckstraße bekam weitere Stolpersteine, vor Nr. 227 und Nr. 205 ermöglichten die Stolperstein-Paten Melanie und Philipp die Verlegung von sechs Stolpersteinen. Vor dem Haus Auf dem Graskamp 49 erinnern nun zwei Stolpersteine an Mutter und Tocher Lilienthal. Es folgten vier Stolpersteine für die Familie Siegfried Homberg an der Florastr. 114, Stolpersteinpate Ingo Schmack ließ es sich nicht nehmen, an der Verlegung persönlich teilzunehmen. An der Weberstr. 32 erinnern nun sieben Stolpersteine an Familie Markus Häusler, finanziert von der ver.di Jugend NRW.
Abb.: Diese Stolpersteine in der Gelsenkirchener Altstadt erinnern nun an Familie Markus Häusler.
Vor dem Bahnhofscenter erinnert seit gestern ein Stolperstein an Lehrerin Erna Goldbach. Bis zu dieser Verlegestelle begleitete uns der jüdische Kantor Juri Zemski, der zuvor an jedem Verlegeort für die NS-Opfer betete - terminlich gebunden musste er seinen Zug bekommen. Der erste Stolperstein in Gelsenkirchen für einen als "Asozial" stigmatisierten Menschen ist Walter Klüter an der Kurfürstenstr. 8 gewidmet. Letzte Station an diesem Tag war die Fischerstr. 173 in Horst, dort wurde ein Stolperstein für Emma Mayersohn in das Gehwegpflaster eingesetzt. Über die nachfolgenden internen Verlinkungen gelangen sie zu biografische Skizzen der Menschen, für die Stolpersteine verlegt wurden:
Stolpersteine in Gelsenkirchen: Vorbereitungen laufen auf Hochtouren
Andreas Jordan | 27. Februar 2023 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Hinter den Kulissen laufen unsere organisatorischen Vorbereitungen für die anstehenden Stolpersteinverlegungen am 6. und 12. März 2023 auf Hochtouren. Vor dem Haus Bismarckstr. 56 haben wir die beantragte Sondernutzungserlaubnis für den dortigen Parkstreifen von der Stadt Gelsenkirchen erhalten - schnell und unbürokratisch. Die Hundertmark Verkehrssicherungsanlagen GmbH mit Sitz in Gelsenkirchen unterstützt das Projekt Stolpersteine Gelsenkirchen und stellt entsprechend die Halteverbotsschilder auf - kostenfrei im Rahmen einer Spende.
Andreas Jordan | 26. Februar 2023 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Eine Nachfahrin der jüdischen Familie Alfred Heymann wünscht die Verlegung von drei Stolpersteinen für ihre NS-verfolgten Angehörigen in Gelsenkirchen. Die Dame regte an, zwecks Finanzierung dieser drei Stolpersteine bei Gelsenkirchener Politiker:Innen nachzufragen, ob diese bereit sind, die entsprechenden Kosten in Form einer Stolpersteinpatenschaft zu übernehmen.
Wir haben diesen Vorschlag entsprechend weitergetragen. Nachdem Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann und auch der Gelsenkirchener SPD-Bundestagsabgeordnete Markus Töns eine der Stolperstein-Patenschaften übernommen haben, folgte nun Dr. Irene Mihalic MdB (Bündnis 90 / Die Grünen) sie hat ebenfalls eine Patenschaft für einen dieser drei Stolpersteine übernommen. Somit ist die Finanzierung dieser Stolpersteine gesichert.
Die kleinen Denkmale für Alfred, Grete, geb. Marcus und Tochter Hannelore Heymann sollen im nächsten Jahr vor dem letzten, selbst gewählten Wohnort in Gelsenkirchen verlegt werden - vor dem Haus Liboriusstr. 100.
Wir erinnern an Wolfgang Maas und Thea Windmüller
Andreas Jordan | 20. Februar 2023 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Wolfgang Maas wurde am 20. Februar 1920 in Buer / Westfalen geboren. Der jüdische Gelsenkirchener Wolfgang Maas ist 16 Jahre alt, als er 1936 aus Nazi-Deutschland flüchtet. Er landet in den Niederlanden, in Winterswijk, wo er durch die Jüdische Gemeinde aufgefangen wird und eine Ausbildung machen kann. Wolfgang verliebt sich heftig in Thea Windmuller. Inzwischen ist der Zweite Weltkrieg ausgebrochen. Jetzt brechen auch in den Niederlanden schwere Zeiten für die Juden an. Wolfgang und Thea tauchen unter, fern voneinander. Von diesem Zeitpunkt an besteht ihr Leben nur noch aus Flucht vor den Nazis.
78 Briefe von Wolfgang an Thea sind erhalten geblieben. In fünf Tagebüchern folgen wir Thea von 1939 an, beginnend mit einer fröhlichen, sorgenfreien Jugend, immer besorgter wegen der Transporte nach Polen werdend, durch ihre Zeit als Untergetauchte hindurch bis zum Ende, als Wolfgang und sie verhaftet und auf Transport nach Auschwitz gestellt werden.
Theas Tagebuch endet am 10. Dezember 1943. Vier Tage später, am 14. Dezember, werden alle acht Untergetauchten an der Adresse Bestevaerstraat 185 in Amsterdam verhaftet und zum Sicherheitsdienst am Scheltemaplein gebracht. Zwei Tage später kommen Wolfgang und Thea in Westerbork an, und am 25. Januar gehen sie auf Transport nach Auschwitz. Thea wird am 28. Januar vergast. Wolfgang ist in das Arbeitslager Monowitz Buna geschickt worden. Bei Ankunft am 3. März 1944 gelangt er in die Krankenbaracke. Am 8. März wird er dort wieder entlassen. Weitere Spuren fehlen. In einem so genannten "Wiedergutmachungsverfahren", das Wolfgangs Mutter nach dem Krieg angestrengt hat, wird als Wolfgang Maas Todesdatum der 21. Januar 1944 genannt. Ein Stolperstein erinnert vor dem Leibnitz-Gymnasium Gelsenkirchen, Breddestr. 21 an den von dieser Schule vertriebenen Schüler Wolfgang Maas.
Sehen Sie die Geschichte von Wolfgang Maas und Thea Windmuller in 8 Minuten: Video
Internationaler Holocaust-Gedenktag und Jahrestag der Deportation Gelsenkirchen - Riga
Andreas Jordan | 27. Januar 2023 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Heute, am 27. Januar, wird an die Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Der Tag wurde anlässlich der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau durch die sowjetische Armee am 27. Januar 1945 gewählt. In Deutschland wird seit 1996 an diesem Tag an die Opfer der NS-Herrschaft erinnert. 2005 erklärten die Vereinten Nationen ihn zum Internationalen Holocaust-Gedenktag.
In Gelsenkirchen ist der 27. Januar ein zweifacher Gedenktag: Es wird der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz 1945 gedacht, zudem der Deportation jüdischer Menschen von Gelsenkirchen nach Riga, die drei Jahre zuvor am 27. Januar 1942 vom NS-Terrorregime nicht zuletzt mit Hilfe der örtlichen Stadtverwaltung durchgeführt wurde.
Dieses Jahr wird beim offiziellen Gedenken des Bundestags erstmals auch an die queeren Opfer des Nationalsozialismus gedacht. Die Aufarbeitung der Verfolgung von Menschen aufgrund ihrer (vermeintlichen) sexuellen oder geschlechtlichen Identität hat erst spät begonnen. Etwa der Paragraf, auf dessen Grundlage Homosexuelle Männer verfolgt und ermordet wurden, wurde erst 1994 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen.
KZ Auschwitz-Birkenau
Vor 78 Jahren wurde das KZ von der Roten Armee befreit. Es war das größte deutsche Konzentrations- und Vernichtungslager während des Nationalsozialismus und lag im heutigen Polen. Dort wurden mehr als eine Million Menschen in Gaskammern, bei grausamen medizinischen Experimenten und durch unmenschliche Zwangsarbeit ermordet.
Die Befreiung
Kurz vor der Befreiung und der erwartbaren Niederlage gegen die Sowjetunion versuchten die Nazis ihre grausamen Taten zu vertuschen, zerstörten Gaskammern und weitere Beweise. In einer einzigen Nacht ermordeten sie 10.000 Menschen und zwangen Zehntausende zu „Todesmärschen“ nach Westen zu anderen KZs. Die schwächsten Gefangenen wurden zurückgelassen. Die Soldaten der Roten Armee fanden etwa 7.5000 Menschen in einem lebensbedrohlichen Zustand vor.
Verfolgte und Opfer des Nationalsozialismus
Etwa 17 Millionen Menschen wurden Opfer der wahnhaften NS-Ideologie. Antisemitismus war ein grundlegendes Element davon, Jüdinnen und Juden wurden zum Feindbild schlechthin erklärt. Rund sechs Millionen Jüdinnen_Juden wurden im Nationalsozialismus ermordet. Aufgrund der NS-Rassentheorie wurden auch Sinti und Roma, Slawen, Schwarze Menschen vertrieben, ermordet und deportiert, ebenso wurden Homosexuelle, psychisch Kranke, Menschen mit Behinderung, arme Menschen, straffällige Personen, politische Gegner, sowie religiöse Gemeinschaften, wie die Zeugen Jehovas, im NS-Regime verfolgt, inhaftiert und ermordet.
Gelsenkirchen: MdB Markus Töns (SPD) übernimmt Patenschaft für Stolperstein
Andreas Jordan | 26. Januar 2023 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Eine Nachfahrin der jüdischen Familie Heymann wünscht die Verlegung von drei Stolpersteinen für ihre NS-verfolgten Angehörigen in Gelsenkirchen. Die Dame regte an, zwecks Finanzierung dieser drei Stolpersteine bei Gelsenkirchener Politiker:Innen nachzufragen, ob diese bereit sind, die entsprechenden Kosten in Form einer Spende/Patenschaft zu übernehmen.
Wir haben diesen Vorschlag entsprechend weitergetragen, nach Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann hat jetzt auch der Gelsenkirchener SPD-Bundestagsabgeordnete Markus Töns eine der Stolperstein-Patenschaften übernommen - damit ist die Finanzierung von zwei Steinen gesichert.
Bei der ebenfalls angefragten Politikerin mit Bezug zu Gelsenkirchen Irene Mihalic MdB (Bündnis 90 / Die Grünen) steht eine Antwort auf unsere Anfrage bisher noch aus.
Holocaust: Abraham Matuszak stand auf Schindlers Liste
Andreas Jordan | 25. Januar 2023 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Abraham Matuszak stand als KZ-Gefangener in seinem Leben auf vielen Listen, eine hat ihm das Leben gerettet: Schindlers Liste. Der gebürtig aus Kalisz/Polen stammende und in Gelsenkirchen lebende Abraham Matuszak hatte das Glück, einer der so genannten "Schindler-Juden" zu sein.
Matuszak wollte sich im Juli 1939 im neu gegründete, so genannte Hachschara-Kibbuz Paderborn, Grüner Weg auf ein Leben in Palästina vorbereiten. Doch die Nazis waren schneller. Nach dem deutschen Überfall auf Polen am 1. September 1939 wurde Abraham Matuszak am 10. September 1939 als "feindlicher Ausländer" in Paderborn verhaftet, zunächst im dortigen Gerichtsgefängnis, dann im Polizeigefängnis Hamm inhaftiert und im Februar 1940 nach Sachsenhausen deportiert, wo er als Zugang am 3. Februar 1940 registriert wird.
Er wird dann in das KZ Groß-Rosen überstellt, kommt in das Aussenlager Geppersdorf. Bei einer Selektion von arbeitsunfähigen Häftlingen, die zur "Sonderbehandlung 14f13" in die Heil- und Plegeanstalt Bernburg a. d. Saale überstellt wurden, gilt er als "voll arbeitsfähig" und entkommt so der geplanten Ermordung in der Tötungsanstalt Bernburg. Am 16. Oktober 1942 wird Abraham Matuszak in das KZ Auschwitz überstellt. Am 11. April 1945 wird er als Zugang im Kdo. Brünnlitz (Oskar Schindlers Fabrik) registriert, wird auf der geschlechtergetrennten Version der Häftlingsliste des KZ Groß-Rosen / Kdo. Brünnlitz v. 18. April 1945 geführt. Am 8. Mai 1945 wird Abraham Matuszak im Arbeitslager Brünnlitz (Das Lager stand unter Kontrolle des KZ Groß-Rosen) befreit. 1946 kehrte er nach Gelsenkirchen zurück, hier starb Abraham "Abbi" Matuszak am 6. Juni 1996.
Stolpersteine: Nach Bauarbeiten liegen sie wieder an ihrem Platz
Online-Redaktion | 12. Januar 2023 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Während der Bauarbeiten an der Wanner Straße in Gelsenkirchen wurden die dort verlegten Stolpersteine ausgebaut und eingelagert. Nun wurden sie im Zuge der Neupflasterung des Gehweges neu verlegt und erinnern vor Haus Nr. 119 wieder an die Familie Schönenberg.
Diese drei Stolpersteine erinnern vor dem Haus Wanner Str. 119 an Selma, ihren Sohn Günter Schönenberg sowie an Tochter Erna Gradewitz, geb. Schönenberg. Günter gelang rechtzeitig die Flucht nach Holland, er überlebte den Holocaust in Frankreich. Begleitet von einer bewegenden Zeremonie haben wir diese Stolpersteine im Beisein von Günter Schönenbergs Tochter Jackie, die eigens zur Stolpersteinverlegung aus San Francisco angereist war, im April 2013 verlegt.
Danke an den Städtischen Bauhof und das Referat Verkehr/Straßenneubau für die gute Arbeit und die damit im Vorfeld einhergehende Kommunikation mit uns.
Gastspiel: Theaterpädagogisches Projekt "stolpern" lenkt Blick auf Stolpersteine
Online-Redaktion | 4. Januar 2023 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Was passiert nach dem Stolpern? Entweder man fängt sich wieder – oder fällt hin .... Vor vielen Häusern in deutschen Städten sind «Stolpersteine» eingelassen. Sie verweisen auf unzählige, tragische Schicksale von während der NS-Unrechtsherrschaft deportierten Menschen – und fordern ein Erinnern ein an jenes Kapitel deutscher Geschichte, das trotz einer doch angeblich so vorbildlichen «Erinnerungskultur» mehr und mehr in Vergessenheit zu geraten scheint.
Eine Gruppe junger Menschen aus Berlin und Cottbus setzt sich mit einer Gegenwart auseinander, in der rechtsnationale Parteien erstarkt, die Gesellschaft so fragmentiert erscheint wie schon lange nicht mehr und sogenannte Protestbewegungen völkisches Gedankengut skandierend durch die Innenstädte ziehen – und fragt sich: Wie mit dem Wissen um Verfolgung, Deportation und Ermordung verschiedener, bis heute marginalisierter Gruppen umgehen? Wie dieses Wissen erhalten? Was dem gesellschaftlichen Rechtsruck entgegensetzen? Und vor allem: Wie sich – heute und in Zukunft – entschieden gegen Rassismus und Diskriminierung stellen?
Anlässlich des 30-jährigen Jubiläums des Projektes »Stolpersteine« wird ausgehend von Stolpersteinen in Berlin und Cottbus – und in Auseinandersetzung mit den Biografien, auf die sie verweisen – nicht nur die gemeinsame Geschichte, sondern auch die gemeinsame Verantwortung junger Menschen in beiden Städten verhandelt. - Das Stück „stolpern“ ist am Samstag, 14. Januar, 19 Uhr, im Consol-Theater zu sehen. Karten gibt es unter 0209 988 2282.
In der Lokalausgabe Gelsenkirchen der WAZ erschien dazu ein ausführlicher Artikel, der hier in Auszügen zitiert wird:
Leibniz-Direktor holt Cottbusser Theater nach Gelsenkirchen
Am 14. Januar 2023 gibt das Jugendtheater „Piccolo“ Cottbus ein Gastspiel in Gelsenkirchen. In dem Stück geht es um das Thema „Stolpersteine“.
Seit dem Jahr 1908 steht an der Breddestraße in Gelsenkirchen-Buer das altehrwürdige Schulgebäude, in dem heute das Leibniz-Gymnasium untergebracht ist. Seitdem sind Tausende Schülerinnen und Schüler durch das Eingangsportal hindurchgegangen. Unter ihnen auch Wolfgang Maas. Doch Maas, Jahrgang 1920, ist in keiner Abiturliste vermerkt. Nach nur drei Jahren musste der Schüler jüdischen Glaubens 1934 die Schule verlassen, sein Weg führte ihn in den folgenden Jahren von Buer über Holland nach Auschwitz, wo er 1945 von den Nazis umgebracht wurde. Heute erinnert ein Stolperstein an sein kurzes Leben: Er ist vor dem Eingangsportal der Schule in das Pflaster eingebettet.
Abb.: Michael Scharnowski, Schulleiter des Leibniz-Gymnasiums, vor dem Stolperstein, der an Wolfgang Maas erinnert. Foto: Matthias Heselmann
Scharnowski, Schulleiter des Leibniz-Gymnasiums, hockt vor dem Stolperstein. Im Juni 2020 wurde der Stein dort verlegt, nur wenige Wochen vor Scharnowskis Amtsantritt. „Das war zu Hochzeiten von Corona und ist im Schulleben leider ein wenig untergegangen“, bedauert Scharnowski. Der Pädagoge weist auch noch auf zwei weitere Stolpersteine hin, die ebenfalls an zwei Schüler des heutigen Leibniz-Gymnasiums erinnern, das damals noch „Hindenburg-Gymnasium“ hieß: Kurt und Werner Löwenstein, deren Eltern an der heutigen Horster Straße ein Modegeschäft betrieben. Anders als Wolfgang Maas gelang es der Familie Löwenstein aber, der Mordmaschinerie der Nazis zu entkommen, sie emigrierte in die USA.
Für Michael Scharnowski ist es eine Selbstverständlichkeit, die Erinnerung an NS-Zeit und Holocaust innerhalb der Schulgemeinschaft lebendig zu halten. „Ich habe leider das Gefühl, als sei das Thema in den Köpfen der Schülerinnen und Schüler nicht mehr so verankert, wie es sein sollte“, sagt der Schulleiter. Eine Aktion, um dem entgegenzuwirken, ist der Besuch einer Theatertruppe aus einer Partnerstadt von Gelsenkirchen: Am Samstag, 14. Januar, ist das Jugendtheater „Piccolo“ aus Cottbus zu Gast und führt im Consol-Theater das Stück „stolpern“ auf. (...) Artikel Weiterlesen.
Wegen Corona: Stolpersteininitiative Gelsenkirchen verlegte Stolpersteine in Eigenregie
Abb.: Andreas Jordan, Projektleiter der Stolpersteininitiative Gelsenkirchen, verlegt den Stolperstein für Wolfgang Maas. Die ursprünglich für März 2020 geplante Verlegung war vor dem Hintergrund der Corona-Beschränkungen abgesagt worden. Foto: Gelsenzentrum e.V.
Da Bildhauer Gunter Demnig die wegen der durch die Coronapandemie geltenden Beschränkungen abgesagten Verlegungen nicht nachholt, haben wir nach Absprache mit Demnig am 25. Juni 2020 in Eigenregie auch die letzten der bisher eingelagerten Stolpersteine verlegt.
An der Ewaldstraße 42 erinnern jetzt Stolpersteine an die jüdische Familie Hess, in Buer verweist ein Stolperstein vor dem Leibniz-Gymnasium an der Breddestr. 21 auf den Lebens- und Leidensweg von Wolfgang Maas. Diese Schule, das frühere Gymnasium Buer, hat Wolfgang Maas 1934 verlassen, weil die ständigen antisemitischen Pöbeleien und Beschimpfungen seitens der Lehrkräfte und Mitschüler für den Jungen unerträglich wurden. Wolfgang Maas wurde in Auschwitz ermordet.
Das Stück „stolpern“ ist am Samstag, 14. Januar, 19 Uhr, im Consol-Theater zu sehen. Karten gibt es unter 0209 988 2282.
Stolpersteine: Sohn bringt Licht ins Dunkel
Online-Redaktion | 3. Januar 2023 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Acht Jahre nach der Stolpersteinverlegung meldete sich jetzt bei uns ein Sohn von Hans-Heinrich Ullendorff, der mehr zufällig im Internet den Hinweis auf die in Gelsenkirchen verlegten Stolpersteine für seinen Vater und dessen Eltern fand. Seinerzeit war es uns nicht gelungen, vor dem Hintergrund der deutschen Datenschutzgesetze Nachfahren bzw. Angehörige zu ermitteln.
Den Rotkreuz-Brief hat uns Hans-Heinrichs Sohn David Ullendorff jüngst übersandt: Ernst Ullendorf informiert 1942 per Telegramm seinen nach dessen geglückter Flucht aus Europa auf der Insel Guadeloupe lebenden Sohn Hans-Heinrich über den Tod seiner Schwester Marga. Hans-Heinrich antwortete: "Allerliebste Eltern, Hoffe, dass heutiges Telegramm erhaltet. Bin wohlauf und unverzagt. Haltet aus bis Kriegsende. Komme heim mit erstem Schiff. Herzinnige Grüesse und Kuesse Heinerle".
Die Hoffnung Hans-Heinrichs, seine Eltern "nach dem Krieg" wiederzusehen, sollte sich nicht erfüllen, Mutter und Vater wurden im Vernichtungslager Sobibor ermordet.
Duisburg: Stolpersteinverlegung zur Würdigung von Wilhelm Kühlen
Andreas Jordan | 29. Dezember 2022 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Die Stolpersteinverlegung zur Würdigung von Wilhelm Kühlen, der als Homosexueller mehrfach nach §175 verurteilt wurde, fand am 9 Dezember 2022 in Duisburg statt.
Der Duisburger Oberbürgermeisters Sören Link, der auch die Patenschaft für den Stolperstein übernommen hat, erinnerte an die Verfolgung und Ermordung von Menschen, die im Nationalsozialismus nicht in das rassistische Weltbild der Nazi passten und machte deutlich, wie wichtig es ist, sich für die Gleichheit von Menschen einzusetzen, unabhängig von deren Religionszugehörigkeit, sexueller Orientierung, Geschlecht, Hautfarbe, usw. Insbesondere betonte er auch, dass in vielen Ländern Menschen aufgrund Ihrer sexuellen Orientierung immer noch und zunehmend wieder verfolgt und unterdrückt werden. Im wörtlichen Sinne "Ich werde auch in Zukunft das Stolpersteinprojekt unterstützen. Es ist ein wichtiges Projekt, denn es macht deutlich: Hier, wo wir heute in Duisburg leben, sind Menschen verschwunden, die der Willkür ausgesetzt waren. Es ist auch für unsere Zukunft wichtig, daran zu erinnern und sich für Integration und gegen Ausgrenzung einzusetzen."
Stolperstein für Wilhelm Kühlen in Duisburg. Foto: J. Wenke.
Einen weiteren Redebeitrag zum Leben von Wilhelm Kühlen hielt Jürgen Wenke, der die Forschung zum Lebens- und Verfolgungsweg von Wilhelm Kühlen durchgeführt hatte und die Initiative zur Verlegung des Stolpersteins ergriffen hatte.
Der Jugendring Duisburg hatte daraufhin die Verlegung geplant und mit dem örtlichen Tiefbauamt organisiert und gestern durchgeführt.
Die Mitarbeiterin des Jugendringes, Laura Steyer, hatte zur Verlegung Rosen mitgebracht, die die Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Veranstaltung am Stolperstein niederlegten, Herr Wenke hatte das vermutlich letzte Foto von Wilhelm Kühlen mitgebracht und bebilderte damit den Stolperstein Anwesend waren auch Verwandte von Wilhelm Kühlen: die Nichte von Wilhelm Kühlen und deren Tochter aus Mönchen-Gladbach sowie der Neffe von Wilhelm Kühlen mit Ehefrau, die aus der Nähe von Koblenz in Rheinland-Pfalz zum Verlegetermin nach Duisburg angereist waren. Die Verwandten hatten die Würdigung begrüßt und durch Bilder, Briefe und andere historische Dokumente die Forschung maßgeblich unterstützt.
Biografische Skizze
Wilhelm (Willi) Kühlen, geboren am 12. Juni 1912 in Mönchengladbach, evangelisch, ausgeübte Tätigkeiten: Verkäufer, später als Artist, dann als Magazinverwalter im Baugeschäft bezeichnet. Zweimal in Duisburg verurteilt wg. homosexueller Kontakte: Zunächst im Mai 1938 (6 Wochen Gefängnis). Der Mitangeklagte August Zgorzelski wurde zu einem Jahr und drei Monaten Gefängnis verurteilt. Z. wurde am 8.1.1944 im KZ Buchenwald ermordet. Ein Stolperstein in Duisburg wurde bereits 2018 für Z. verlegt. Die zweite Verurteilung von Kühlen nach §175 erfolgte am 5. Oktober 1939 (2 Jahre Gefängnis!). Diese Haftstrafe verbüßte er im Moorlager Neusustrum/Papenburg (Emsland-Lager) und im Zuchthaus Celle. Bei Strafende am 5.10.1941 Entlassung. Er entging, obwohl "Wiederholungstäter" aus unbekanntem Grund einer Deportation in ein Konzentrationslager. Der bis dahin Ledige kehrte nach Duisburg zurück, heiratete am 8.9.1942 die Kontoristin Elisabeth Susanna Mohr. Zum Zeitpunkt der Heirat war er „Soldat im Felde“. Scheidung der Ehe am 5.6.1944 in Berlin. Kühlen gilt als Wehrmachtsvermisster, genauer Todeszeitpunkt und Ort des Todes unbekannt, letzte Nachricht im März 1945. Er wurde mit großer Wahrscheinlichkeit nur 32 Jahren alt. Mehr erfahren
Wir trauern um Karin Richert
Andreas Jordan | 20. Dezember 2022 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Heute morgen erhielt ich die bestürzende und traurige Nachricht, das Karin Richert gestern verstorben ist. Noch am Freitag haben wir gemeinsam unsere Inschriftenvorschläge für die im März nächsten Jahres anstehende Verlegung in Gelsenkirchen besprochen. Über mehr als zehn Jahre ist aus unserer Zusammenarbeit eine freundschaftliche Verbindung enstanden.Ihr Tod macht mich und unser Team fassungslos.
Das Team der STOLPERSTEINE trauert um Karin Richert
Liebe Freunde der STOLPERSTEINE, sehr geehrte Damen und Herren,
leider ist unsere »Hüterin der Inschriften« Karin Richert plötzlich und unerwartet verstorben. Wir trauern um eine unermüdliche Kämpferin gegen rechtes Gedankengut, eine höchst gewissenhafte Kollegin, eine der frühesten Stützen der STOLPERSTEINE... vor allem aber um eine liebe Freundin.
Karin Richert wurde 1950 in Kirchheim/Teck geboren. Von 1976 bis 1979 studierte sie Malerei und Graphik in Mannheim. Zwischen 1977 und 2000 war sie mit ihren Bildern (Malerei) in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen vertreten. Ab 1996 wandte sie sich der der Photographie zu; auch ihre photographischen Werke waren seit 2001 mit stetig wachsendem Erfolg in diversen Einzel- und Gruppenausstellungen zu sehen.
Ihre Arbeiten, wie auch ihr Leben, waren und sind geprägt vom Suchen und Finden der Kunst im Alltag, dem Streben nach einer menschenwürdigen Gesellschaft und dem furchtlosen Agieren gegen Rassismus und Unterdrückung. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass sich ihre Wege mit denen Gunter Demnigs kreuzten und die beiden eine bald 30jährige Freundschaft verband.
Für die 2005 angelegte STOLPERSTEIN-Datenbank des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln fotografierte Karin die in Köln verlegten STOLPERSTEINE und bearbeitete die zugehörigen Datensätze. Seit 2011 war sie direkt für Gunter Demnig und das STOLPERSTEIN-Team tätig und verantwortete die Prüfung und Korrektur der STOLPERSTEIN-Inschriften.
Ein Kern unseres Projektes als »soziale Skulptur« ist es, dass die Recherche für die Inschriften der STOLPERSTEINE durch die Engagierten vor Ort erfolgt; die Erinnerung wird durch die Beschäftigung mit den Einzelschicksalen lebendig. Wenn jedoch Viele – Tausende – an einem Projekt mitarbeiten, entstehen unweigerlich auch Fehler und Ungenauigkeiten. Karin hat jede Inschrift stets mit größter Genauigkeit, Beharrlichkeit und ohne Scheu vor Konflikten geprüft und gegebenenfalls Korrekturen verlangt.
Wir werden Karin, ihre oft doch sehr hilfreiche Sturköpfigkeit und ihren unbedingten Idealismus vermissen. Ihr trockener Humor wird uns fehlen, mehr als ihr trockener Husten – jedoch tröstet uns, dass sie genau darüber auf ihrer Wolke gerade herzlich lacht.
Wie Reinhard Mey einst sang:
Falls Du heute den noch siehst, der unsere Wege lenkt – frag ihn unverbindlich mal, was er sich dabei denkt.
Wir hätten Dich gerne noch eine Weile bei uns gehabt.
Maach et joot, Karin! Und danke – für Alles.
Katja & Gunter Demnig und das STOLPERSTEIN-Team
16. Dezember 1992 - Der erste Stolperstein wird in Köln verlegt
Online-Redaktion | 19. Dezember 2022 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Kleine Messing-Gedenktafeln auf Gehwegen: Der Künstler Gunter Demnig verlegt seine Stolpersteine vor früheren Wohnungen von NS-Opfern. 1992 setzt er den ersten Erinnerungsstein in Köln - für verfolgte Sinti und Roma.
Am 16. Dezember 1942 ordnet SS-Reichsführer Heinrich Himmler an, alle im Deutschen Reich noch verbliebenen Sinti und Roma zu deportieren. Es seien "Zigeunermischlinge, Rom-Zigeuner und nicht deutschblütige Angehörige zigeunerischer Sippen balkanischer Herkunft" auszuwählen "und in einer Aktion von wenigen Wochen" einzuweisen. Das Ziel ist die Vernichtung dieser Menschen: "Die Einweisung erfolgt ohne Rücksicht auf den Mischlingsgrad familienweise in das Konzentrationslager (Zigeunerlager) Auschwitz", heißt es in Himmlers sogenanntem Auschwitz-Erlass. Insgesamt werden während des Zweiten Weltkrieges rund 23.000 Sinti und Roma im "Zigeunerlager" in Auschwitz eingesperrt. Fast 90 Prozent von ihnen sterben - durch Giftgas, Folter, Hunger und Krankheiten.
Illegal vor dem Kölner Rathaus platziert
50 Jahre später: Der Künstler Gunter Demnig verlegt am 16. Dezember 1992 vor dem Historischen Rathaus in Köln einen Stein im Straßenpflaster. Darauf ist ein Messingplatte angebracht, die mit dem Text des Auschwitz-Erlasses beschriftet ist. Demnig will damit einen Beitrag zur Diskussion um das Bleiberecht jener Roma leisten, die vor dem Jugoslawienkrieg geflohen sind.
"Diese Verlegung war etwas illegal, aber anders hätten wir es wahrscheinlich überhaupt nicht durchgesetzt", sagt Demnig. Es habe etwas Ärger gegeben, der Stein sei aber im Boden verblieben. "Man hat sich nicht getraut, den einfach wieder rauszureißen."
Stolpersteine bringen "Namen zurück vor die Häuser"
In den folgenden Jahren entwickelt Demnig aus dieser Aktion das Projekt Stolpersteine: "Danach kam eigentlich erst die Idee, wirklich den Namen, den Menschen zurückzubringen vor die Häuser." 1995 verlegt er erneut in Köln erstmals Stolpersteine im noch heute gebräuchlichen Format von zehn mal zehn Zentimetern.
Sie erinnern an alle Opfergruppen des Nationalsozialismus. Auf den Messingtafeln stehen seither neben den Namen der Verfolgten auch Kurz-Angaben zu deren Schicksal. Der 1947 in Berlin geborene Bildhauer lässt sich dabei von einem Wort aus dem Talmud leiten: "Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist."
Erweitert durch App und Website
Bislang sind mehr als 96.000 Stolpersteine europaweit verlegt worden. "Etwa 95 Prozent habe ich selber verlegt", sagt Demnig. "Aber es gibt jetzt immer mehr Initiativen, die das auch selber machen können." Demnig will mit seinem Projekt vor allem Jugendliche erreichen und ihnen einen anschaulichen Zugang zur jüngeren deutschen Geschichte eröffnen.
Das größte dezentrale Mahnmal der Welt wächst immer weiter. Es kommen nicht nur laufend weitere Steine dazu. Seit Januar 2022 macht der WDR die rund 16.000 Stolpersteine in Nordrhein-Westfalen auch digital zugänglich: mit Graphic Storys, kleinen Hörspielen, Texten und Augmented-Reality-Elementen. Das WDR-Angebot "Stolpersteine in NRW - Gegen das Vergessen" gibt es als App und Website.
Gelsenkirchen: Bundesjustizminister Buschmann übernimmt Patenschaft für Stolperstein
Andreas Jordan | 17. Dezember 2022 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Eine Nachfahrin der jüdischen Familie Heymann wünscht die Verlegung von drei Stolpersteinen für ihre NS-verfolgten Angehörigen in Gelsenkirchen. Die Dame regte an, zwecks Finanzierung dieser drei Stolpersteine bei Gelsenkirchener Politiker:Innen nachzufragen, ob diese bereit sind, die entsprechenden Kosten in Form einer Spende/Patenschaft zu übernehmen.
Wir haben diesen Vorschlag entsprechend weitergetragen, Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann hat reagiert und heute eine der Patenschaften übernommen - damit ist die Finanzierung eines Steines gesichert.
Bei den ebenfalls angefragten Politiker:Innen mit Bezug zu Gelsenkirchen Markus Töns MdB (SPD) und Irene Mihalic MdB (Bündnis 90/ Die Grünen) steht eine Antwort noch aus.
Sein Name kehrt zurück: Fritz Stein ist nicht länger nur der Rosa-Winkel Häftling mit Nr. 25182
Andreas Jordan | 16. November 2022 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Am 9. November 2022 wurde in Wismar ein Stolperstein zur Würdigung von Fritz Stein verlegt, der als Homosexueller verfolgt und verurteilt wurde und im KZ Auschwitz ermordet wurde.
Fritz Stein wurde im Siegerland im südlichen Westfalen (NRW) geboren, sein letzter freiwilliger Wohnort war in Wismar an der Ostsee. Dort wurde der Stolperstein verlegt. Anwesend waren bei der Verlegung auch Verwandte von Fritz Stein: der Neffe und die Großnichte Dorothee Stähler. Die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Frau Manuela Schwesig, hat die Patenschaft für den Stolperstein übernommen. Mit der Würdigung durch Bericht und Stolperstein erhält Fritz Stein seinen Namen zurück, ist nicht länger nur der Rosa-Winkel Häftling mit Nr. 25182. Der Bochumer Diplom-Psychologe Jürgen Wenke hat zu den Lebens- und Leidenswegen von Kurt Koch recherchiert, ein ausführlicher Forschungsbericht (PDF) steht auf Jürgen Wenkes Webseite zum Download bereit.
Opfer des Pogroms 1938: Karl Schöneberg
Andreas Jordan | 9. November 2022 | Stolpersteine Gelsenkirchen
In der Pogromwoche im November 1938 wurde auch das Geschäft von Karl Schöneberg in Gelsenkirchen verwüstet und geplündert. Karl Schöneberg wurde dabei schwerst misshandelt. Ein Zeitzeuge erinnerte sich: "In dieser Nacht kam ich mit 4 Arbeitskollegen von der Nachtschicht. Auf dem Heimweg kamen wir an dem Lebensmittelgeschäft Schöneberg vorbei. Dort sahen wir 3 Männer, mit langen grauen Kitteln bekleidet, die mit Stangen die Schaufenster einschlugen. Anschließend warfen sie die Ladeneinrichtung auf die Straße. Der hinzukommende Ladeninhaber wurde als "Judensau" beschimpft und fürchterlich verprügelt." Von den erlittenen Misshandlungen erholte sich Karl Schöneberg nicht mehr.
Karl Schöneberg floh aus Gelsenkirchen in die Geburtstadt seiner Ehefrau, erkrankte chronisch, wurde arbeitsunfähig. Ende 1940 wurde er in das Israelitische Asyl für Kranke und Altersschwache (Jüdisches Krankenhaus) in Köln-Ehrenfeld eingeliefert. Er starb am 4. April 1941 in Gelsenkirchen. Für Karl Schöneberg, seine Frau Luise und die zwei Kinder Ingrid und Ernst sollen schon bald Stolpersteine in Gelsenkirchen verlegt werden - es können Patenschaften zur Finanzierung übernommen werden.
Opfer des Pogroms 1938: Rudolf Neuwald
Andreas Jordan | 28. Oktober 2022 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Der am 13. September 1902 geborene Rudolf Neuwald war eines der Kinder von Leopold und Marta Neuwald, geborene Heimann. Die jüdische Familie Neuwald betrieb in Gelsenkirchen ein von Isaak Neuwald bereits 1880 an der Arminstr. 15 gegründetes Bettenfachgeschäft. Leopold Neuwald übernahm das Geschäft in den 1920er Jahren von Vater Isaak. Rudolf galt als das so genannte "schwarze Schaf" in der Familie Neuwald, er selbst bezeichnete sich als Dissident. Rudolf Neuwald, der nicht der Synagogen-Gemeinde Gelsenkirchen angehörte, war mit der nicht-jüdischen Anna Littek, geboren am 4. Januar 1907 verheiratet.
Im April 1933 veranstalteten SA-Männer einen Prangermarsch mit Rudolf Neuwald und führten ihn zwangsweise durch die Innenstadt von Gelsenkirchen - nicht ohne Rudolf Neuwald dabei vor vielen zuschauenden Augen der Stadtgesellschaft zu demütigen und zu misshandeln. Das Ehepaar Rudolf und Anna Neuwald lebte 1937 in der Bismarckstr. 38.
In der Pogromwoche im November 1938 wurde Rudolf Neuwald verhaftet und erneut schwer misshandelt. Weil er nicht haftfähig war, entließ man ihn. Am 13. November 1938 wurde er erneut verhaftet. Die Nazis forderten seine Ehefrau mehrfach auf, sich von "dem Juden" scheiden zu lassen, diese kam den Forderungen jedoch nicht nach und verweigerte eine Scheidung. Das Ehepaar wurde zum Umzug in das ab 1939 als Ghettohaus ("Judenhaus") genutzte Haus Augustastr. 7 gezwungen.
Rudolf Neuwald wurde zunächst nicht deportiert, da ihn seine so genannte "Mischehe" schützte, jedoch musste er ab Oktober 1939 als Tiefbauarbeiter in Gelsenkirchen Zwangsarbeit leisten. In Folge der in der Pogromwoche erlittenen Misshandlungen, von der er sich nicht mehr richtig erholen konnte und dem anhaltenden schweren Zwangsarbeitseinsatz starb Rudolf Neuwald am 22. Dezember 1942 in Gelsenkirchen. An das Ehepaar Rudolf und Anna Neuwald sollen bald in Gelsenkirchen Gunter Demnigs Stolpersteine erinnern.
Projekt Stolpersteine: Bildhauer Gunter Demnig wird heute 75
Redaktion | 27. Oktober 2022 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Gunter Demnig hat die Stolpersteine erdacht, das größte dezentrale Mahnmal der Welt. Es ist nicht sein einzigstes Werk, jedoch das bekannteste. Seit fast 30 Jahren verlegt der Bildhauer die von ihm ersonnenen Stolpersteine zu Ehren der von den Nazis in Europa verfolgten, verschleppten, in den Suizid getriebenen und ermordeten Menschen - zumeist vor deren ehemaligen Wohnhäusern. Menschen, denen eine rechtzeitige Flucht aus Nazi-Deutschland gelungen ist, werden dabei ebenso wenig ausgeschlossen wie verfolgte Menschen, die den NS-Terror überleben konnten. Heute wird Gunter Demnig 75 Jahre alt. An Aufhören denkt Bildhauer und Spurenleger Demnig jedoch nicht: im Juni 2023 will er den 100.000 Stolperstein verlegen. Wir danken dir für die Schöpfung der Stolpersteine und für die lange gute Zusammenarbeit. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, lieber Gunter!
Halle (Saale): Ein Stolperstein für Kurt Koch - Anerkennung als NS-Verfolgter verweigert
Andreas Jordan | 10. Oktober 2022 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Am 25. September 2022 wurde erstmals auch in Halle (Saale) ein Stolperstein verlegt, der an einen Mann erinnert, der in der NS-Zeit als Homosexueller verfolgt wurde: Kurt Koch. Der Stolperstein befindet sich vor seinem ehemaligen Wohnhaus in der Uhlandstraße 7 und wurde vom Bildhauer Gunter Demnig in das Gehwegpflaster eingesetzt.
Der Bochumer Diplom-Psychologe Jürgen Wenke hat zu den Lebens- und Leidenswegen von Kurt Koch recherchiert, hier die Kurzfassung der Rechercheergebnisse:
Kurt Koch, Jahrgang 1905, geboren in Halle an der Saale, dort auch Lebensmittelpunkt, Arbeiter, Verfolgung und Verurteilung 1939 wegen homosexueller Kontakte zu Gefängnisstrafe von 15 Monaten, nach Verbüßung von der Kripo Halle in Vorbeugehaft genommen am Heiligabend 1940; Anfang 1941 Deportation in das KZ Buchenwald, dort schwerste Zwangsarbeit im Steinbruch; September 1942 Deportation in das KZ Groß Rosen, dort Zwangsarbeit in Chemiewaffenfabrik zur Herstellung der Nervengase Sarin und Gabun; Anfang 1945 Weitertransport in das KZ Mittelbau bei Nordhausen, Verlegung in das Kranken- und Sterbelager Boelcke-Kaserne, „befreit“, überlebte; Rückkehr nach Halle, keine Anerkennung als Opfer des Faschismus, Heirat 1951, ein Stiefsohn, Scheidung 1953, keine Kinder aus der Ehe, gestorben am 12. Januar 1976 in seiner Wohnung in Halle.
Andreas Jordan | 9. Oktober 2022 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Uns erreichte die traurige Nachricht, dass Fred Alexander am 1. August 2022 93jährig in New York gestorben ist. Der 1928 in Gelsenkirchen geborene Fritz Alexander konnte mit einem der Kindertransporte aus Nazi-Deutschland gerettet werden, seinen Eltern wie auch seiner Schwester gelang ebenfalls die rettende Flucht - zunächst nach England.
Fritz, der sich seither Fred nannte, wurde nach dem Schul- und Universitätsabschluss Ingenieur. Mit seiner zwischenzeitlich verstorbenen Frau und zwei Söhnen lebte er in New York. Im Ruhestand betätigte sich Fred Alexander noch längere Zeit ehrenamtlich als "Big Apple Greeter". Die Big Apple Greeter in New York sind eine Non-Profit Organisation, freiwillige New Yorker bieten Stadtführungen für Touristen an. Dabei handelt es sich nicht um professionelle Tourguides, sondern um Menschen 'wie du und ich', die einfach gerne ihr New York und ihre Nachbarschaft zeigen möchten. Die Touren bot Fred in letzter Zeit mehr an, seiner Wahlheimat New York City ist er jedoch bis zu seinem Tod treu geblieben.
Im Sommer letzten Jahres haben wir in Gelsenkirchen - nicht zuletzt auf Fred Alexanders Wunsch hin - Stolpersteine für ihn und seine Familie verlegt. Wir standen noch im regen Dialog, Fred Alexander wird uns fehlen und unvergessen bleiben.
Polizei feiert in Recklinghausen ihr „100-Jähriges“
Redaktion | 3. Oktober 2022 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Heute findet anlässlich des Jubiläums „100 Jahre Polizeipräsidium Recklinghausen“ im Recklinghäuser Polizeipräsidium ein "Tag der offenen Tür" statt. Eine neue Dauerausstellung beleuchtet auch die Rolle der Polizei in der NS-Zeit.
Vor dem Recklinghäuser Polizeipräsidium am Westerholter Weg sind zwei Stolpersteine in den Boden eingelassen. Sie erinnern an Albert Funk und Heinrich Vörding. Sie starben 1933 nach Stürzen aus dem dritten Stock des Gebäudes – nachdem sie zuvor gefoltert worden waren. Politisch Verfolgte wie Funk und Vörding hätten das Präsidium damals „die Hölle von Recklinghausen“ genannt, sagte Polizeipräsidentin Friederike Zurhausen – wegen der brutalen Verhörmethoden der Gestapo.
Die Polizei Recklinghausen schreibt auf ihrer Facebook-Seite: "Im dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte war auch die Recklinghäuser Polizei Teil des nationalsozialistischen Machtapparats. Recklinghäuser Polizisten waren beteiligt am Völkermord an Juden sowie Roma und Sinti und begingen Kriegsverbrechen. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 wurde das Recklinghäuser Polizeipräsidium zur Leitstelle der Gestapo. „Die Hölle von Recklinghausen“ nannten politisch Verfolgte das Präsidium wegen der brutalen Verhörmethoden der Gestapo, die mit schwersten Misshandlungen Geständnisse erzwingen wollte.
Hunderte Juden, Kommunisten, Sozialdemokraten sowie Roma und Sinti wurden verhaftet und gefoltert. Die „Stolpersteine“ vor dem Haupteingang unseres Polizeipräsidiums erinnern an Albert Funk und Heinrich Vörding. Der Bergarbeiter-Gewerkschafter und der KPD-Funktionär stürzten nach wiederholten Folterungen durch Gestapo-Schergen aus einem Fenster im 3. Stock in den Tod.
Die Auseinandersetzung mit Werten hat in der Aus- und Fortbildung der Polizei einen hohen Stellenwert. So besuchen beispielsweise jedes Jahr junge Polizistinnen und Polizisten des Polizeipräsidiums Recklinghausen gemeinsam mit unserer Polizeipräsidentin Friederike Zurhausen die Ausstellung „Geschichte – Gewalt – Gewissen“ in der Villa ten Hompel in Münster. Die Ausstellung dokumentiert Verbrechen der Ordnungspolizei im Zweiten Weltkrieg. Dialogveranstaltungen wie diese sollen Polizistinnen und Polizisten darin bestärken, die Werte unserer demokratischen Verfassung nie aus dem Blick zu verlieren. Zu unserem Jubiläum haben Kolleginnen und Kollegen eine Dauerausstellung zur Geschichte des Recklinghäuser Polizeipräsidiums neu konzipiert und erweitert. Die Exponate sind als historischer Pfad in mehreren Räumen sowie in Fluren des Präsidiums am Westerholter Weg ausgestellt. Sie sind herzlich eingeladen, sich die Ausstellung an unserem Tag der offenen Tür am 3. Oktober anzuschauen."
Gelsenkirchen: Weitere Stolpersteine für NS-Opfer geplant
Redaktion | 26. September 2022 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Stolpersteine sind kleine Denkmale für Menschen, die während der Zeit des Nationalsozialismus aus unterschiedlichen Gründen verfolgt wurden. Sie werden vor den ehemaligen Wohnhäusern verlegt, in denen die Menschen vor ihrer Flucht oder Verhaftung lebten. Damit erinnern sie individuell an das Schicksal der Verfolgten und werfen gleichzeitig Fragen nach Täter- und Mittäterschaft auf.
Auch wenn es in jüngerer Zeit in der Außenwirkung etwas ruhiger um das Projekt Stolpersteine in Gelsenkirchen war - hinter den Kulissen haben wir fleißig gearbeitet: Die nächste Verlegung der kleinen Denkmale in Gelsenkirchen findet am Montag, den 6. März 2023 statt. An diesem Tag kommt Bildhauer Gunter Demnig einmal mehr nach Gelsenkirchen, gemeinsam wollen wir dann auf Wunsch von Stolperstein-Pat:innen an 10 Verlegeorten 32 neue Stolpersteine in das Pflaster Gelsenkirchener Gehwege einlassen.
+ + + Update 28.9.2022: Desweiteren wird er acht weitere Stolpersteine mitbringen, die wir dann im März selber an zwei Orten in Gelsenkirchen verlegen werden - an dem Tag wird Gunter Demnig dann nicht persönlich vor Ort sein.
Das Projekt der Stolpersteine beruht auf bürgerschaftlichem Engagement. Ein Stolperstein kann dann verlegt werden, wenn Einzelne oder Gruppen eine kostenpflichtige Patenschaft übernehmen. Neben Einzelpersonen, Firmen und Vereinen übernehmen auch Gelsenkirchener Schulen regelmäßig Patenschaften für neue Stolpersteine. Die Initiative, einen Stolperstein verlegen zu lassen, geht jedoch auch häufig von Angehörigen und Nachfahren der ehemaligen Gelsenkirchener Bürger:innen aus.
September 1944: Von Gelsenkirchen nach Elben verschleppt
Andreas Jordan | 19. September 2022 | Stolpersteine Gelsenkirchen
In "Mischehen" zwischen Juden und "Ariern" galt in der NS-Zeit für jüdische Ehepartner und Kinder längere Zeit ein spezieller "Schutz". Weil die meisten von ihnen dem Holocaust entkamen, wurden sie lange nicht als verfolgte Gruppe wahrgenommen. So wurde auch Margarethe Meyer 1944 von der Gestapo verhaftet, weil sie als Jüdin in so genannter "Mischehe" lebte.
Wie 35 weitere jüdische oder wie die Nazis es nannten "jüdisch versippte" Menschen in Gelsenkirchen wurde sie im Rahmen im Rahmen einer von Himmler angeordneten "Sonderaktion J" am 19. September 1944 in den frühen Morgenstunden von der Gestapo in ihrer Wohnung verhaftet, zunächst in das Gelsenkirchener Polizeigefängnis gebracht und dann von dort nach Kassel deportiert. Endgültiger Zielort des Transportes war das Frauenlager Elben der 'Organisation Todt' (OT) im Landkreis Wolfhagen bei Kassel, Deckname "Saphir".
Margarethe Meyers nichtjüdischer Ehemann Heinrich blieb allein zurück, er wurde im April 1945 vom "Volkssturm" auf der Straße in Gelsenkirchen erschossen. Für das Ehepaar Meyer haben wir in 2022 Stolpersteine in Gelsenkirchen verlegt.
Stolpersteine suchen Pat:innen: Familien sollen im Gedenken wieder vereint werden
Andreas Jordan | 13. September 2022 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Derzeit bereiten wir die Stolpersteinverlegung Gelsenkirchen 2023 vor. Für zwei weitere Familien suchen wir aktuell noch Spender:Innen, die zur Finanzierung der kleinen Denkmale Patenschaften übernehmen wollen, sodass auch diese Stolpersteine im nächsten Jahr in Gelsenkirchen verlegt werden können. Es handelt sich dabei um die Familien Moritz Wikinski und Ignaz Wieselmann, die im Gedenken wieder vereint werden sollen. Bisher ist jeweils für je ein Familienmitglied eine Patenschaft übernommen worden.
"In Deutschland haben die Juden sehr früh gemerkt, dass es gefährlich wird. Sie haben versucht, ihre Kinder zu retten. Aber wer schickt seine Kinder freiwillig in die Wüste nach Palästina oder zu den Kindertransporten? Ich denke, das Bewusstsein oder die Ahnung war da, dass die Familien sich nicht wiedersehen. Das heißt, sie gehören in der Erinnerung einfach zusammen – das ist mir sehr wichtig." sagte Bildhauer Gunter Demnig vor einiger Zeit in einem Interview.
Das symbolische zusammenführen von Familien im Gedenken ist wesentlicher Bestandteil im Gesamtkonzept des Kunstdenkmals Stolpersteine. Fragen zum Projekt Stolpersteine in Gelsenkirchen beantworten wir gerne per Mail: a.jordan (ätt) gelsenzentrum.de.
2. August: Europäischer Holocaust-Gedenktag für Sinti und Roma
Andreas Jordan | 2. August 2022 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Die Nacht vom 2. auf den 3. August 1944 wurde zum "entsetzlichen Höhepunkt" der rassistischen Verfolgung von Sinti und Roma. Die SS löst das so ganannte "Familienlager" im deutschen Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau auf und trieb 4300 schreiende und weinende Menschen in den Tod, ein Schreckenstag des Völkermords an Sinti und Roma, dem Porajmos. Seit 2015 wird am 2. August der rund 500.000 Sinti und Roma gedacht, die dem Völkermord in der NS-Zeit zum Opfer fielen. Zugleich sind diese unfassbaren Verbrechen eine Mahnung, sich dem heute wieder verstärkt um sich greifenden Antiziganismus entschlossen entgegenzustellen.
Den unter nationalsozialistischer Terrorherrschaft aus Gelsenkirchen deportierten und in den Vernichtungslagern ermordeten Sinti, Lovara und Roma gewidmet: Digitales Gedenkbuch Gelsenkirchen, Teil II
80. Jahrestag der Deportation von Gelsenkirchen nach KZ Theresienstadt
Andreas Jordan | 28. Juli 2022 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Die Deportationsliste nennt 44 Namen von überwiegend alten bzw. kriegsversehrten jüdischen Menschen mit Lebensmittelpunkt in Gelsenkirchen, die am 31. Juli 1942 von Gelsenkirchen über Münster in das KZ Theresienstadt deportiert wurden. Von den aus Gelsenkirchen mit diesem Transport deportierten Menschen erlebten nur vier Personen ihre Befreiung.
Ein Deportationszug der Reichsbahn fuhr am 31. Juli 1942 ab Gelsenkirchen, Ziel: das KZ Theresienstadt. An den Haltepunkten in verschiedenen Städten wurden auf dem Weg weitere Menschen in den Zug gezwungen. Insgesamt befanden sich schließlich 901 Menschen jüdischer Herkunft in dem Transportzug XI/1, der am 1. August 1942 das KZ Theresienstadt erreichte. Von diesen 901 Menschen sind 835 umgekommen, viele starben bereits im KZ Theresienstadt in Folge der unmenschlichen Haftbedingungen. Die verbliebenen wurden mit Folgetransporten in die Vernichtungslager Treblinka, Auschwitz und Malý Trostinec verschleppt und dort ermordet. Mehr erfahren.
Bauarbeiten: Stadt Gelsenkirchen lagert Stolpersteine vorrübergehend ein
Andreas Jordan | 18. Juli 2022 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Die Stolpersteine vor dem Haus Wanner Str. 119 werden in dieser Woche im Zuge der dort anstehenden Bauarbeiten ausgebaut und vorrübergehend beim Städtischen Bauhof eingelagert, teilte uns das Referat Verkehr/Straßenneubau mit.
Die genaue Lage der kleinen Denkmale wurde bereits eingemessen und dokumentiert. Nach Abschluss der Arbeiten - voraussichtlich um den Jahreswechsel 2022/23 - sollen sie an gleicher Stelle wieder eingebaut werden.
Diese drei Stolpersteine erinnern vor dem Haus Wanner Str. 119 an Selma, ihren Sohn Günter Schönenberg sowie an Tochter Erna Gradewitz, geb. Schönenberg. Günter gelang rechtzeitig die Flucht nach Holland, er überlebte den Holocaust in Frankreich. Begleitet von einer bewegenden Zeremonie haben wir diese Stolpersteine im Beisein von Günter Schönenbergs Tochter Jackie, die eigens zur Stolpersteinverlegung aus San Francisco angereist war, im April 2013 verlegt.
Gelsenkirchen-Erle: Patenschaften übernommen - Stolpersteine für Familie Rosenbaum
Andreas Jordan | 13. Juli 2022 | Stolpersteine Gelsenkirchen
"Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist" - Ruth Matthey hat den Namen Rosenbaum nicht vergessen. Als kleines Mädchen war sie oftmals Freitags mit ihrem Opa im Tabakgeschäft der Rosenbaumes in Erle. "Opa rauchte dann jedesmal mit Herrn Rosenbaum eine Zigarre, ich bekam von Herrn Rosenbaum jedesmal ein Bonbon geschenkt." erinnert sie sich noch heute.
Als Schülerin sah Ruth dann in der Pogromwoche 1938 den zerstörten Tabakladen der Rosenbaums in der Wilhelmstr. 47 in Gelsenkirchen-Erle. Die Familie Rosenbaum hat sie danach nie wiedergesehen. Heute wissen wir, das Fritz Rosenbaum Jude war, verheiratet mit der nichtjüdischen Helene. Das Eheaar zwei in Gelsenkirchen-Buer geborene Söhne, Hans-Günter und Wolfgang. Fritz Rosenbaum, im September 1944 aus Gelsenkirchen deportiert, erlebte seine Befreiung aus dem KZ Theresienstadt im Mai 1945, starb jedoch wenige Wochen danach an den Folgen der erlittenen Qualen. Ruth Matthey hat nun die Patenschaften für vier Stolpersteine übernommen, die im nächsten Jahr am letzten (im NS) selbstgewählten Wohnort der Familie Rosenbaum an der Mittelstr. 36 in Erle verlegt werden.
Stolpersteine sollen in Gelsenkirchen bald an Familie Matuszak erinnern
Andreas Jordan | 12. Juli 2022 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Schon bald sollen Stolpersteine am letzten selbstgewählten Wohnort der Familie Matuszak (Bismarckstr. 56) an Ausgrenzung, Vertreibung und Mord an den Mitgliedern der ursprünglich aus Polen stammenden Familie Matuszak erinnern - das wünscht sich Berta Levie-Jungmann, sie ist die Tochter von Adele Matuszak. Berta Levie-Jungmann besuchte Gelsenkirchen anlässlich der Stolpersteinverlegungen 2022, nahm an Verlegezeremonien teil und recherchierte auch nach den Lebens- und Leidenswegen ihrer Angehörigen.
Berta Levie-Jungmanns Mutter Adele, zunächst von Gelsenkirchen in das Ghetto Riga deportiert, dann in das KZ Kaiserwald, anschließend in das KZ Stutthof bei Danzig überstellt, erlebte 1945 ihre Befreiung. Adeles Schwestern Frieda und Fanny gelang Ende der 1930er Jahre die Flucht nach England, die weiteren Geschwister Abraham, David und Cäcilie, (verh. Rosenheim) überlebten Ausgrenzung, Verfolgung, Deportation und Holocaust. Ein weiteres Geschwisterkind von Adele namens Hermann, ein begeisterter Schachspieler (Turn- und Sportklub Hakoah im RjF Gelsenkirchen, später Schild Gelsenkirchen) wie auch die Eltern Heinrich und Berta Matuszak wurden von den Nazis deportiert und ermordet.
NS-Zeit: Folterstätte im Rathaus Buer
Andreas Jordan | 7. Juli 2022 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Nach der Machtübertragung an Adolf Hitler und der Machtergreifung der Nazis entstanden in Deutschland frühe Folterstätten und Konzentrationslager. Eine solche Folterstätte wurde 1933 im Rathaus Gelsenkirchen-Buer eingerichtet.
Im Rathaus Buer war es das berüchtigte Zimmer 71, von SS und SA zur Folterung und Erpressung von Geständnissen politischer Gegner genutzt. Ein kahles Zimmer mit einem Tisch, darauf eine Schreibmaschine, vor dem Tisch ein Prügelbock, und an der Wand hängend Gummischläuche aller Größen waren der Schauplatz unzähliger Quälereien. Ein nach dem Krieg angeklagter Täter sagte im gegen ihn 1947 geführten Strafprozess aus: "Die Prügelei ging am laufenden Band" und "es wurde ziemlich fest geschlagen".
Die Anklage legte ihm zur Last, im Jahre 1933 in mindestens 11 Fällen politische Gegner unmenschlich misshandelt und geschlagen zu haben. 11 Zeugen, die noch 1947 an den Folgen dieser Mißhandlungen litten, belasteten den Angeklagten erheblich. Der ehemalige SS-Mann Hugo König wurde schließlich wegen schwerer Körperverletzung in 6 Fällen; §§ 223 und 223a StGB, in Verbindung mit Gesetz Nr. 10 des Alliierten Kontrollrates in Deutschland (Verbrechen gegen den Frieden oder die Menschlichkeit) zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.
Abb.: Das Rathaus in Gelsenkirchen-Buer, um 1944. Im Gebäude befand sich eine NS-Folterstätte.
Folterstätte der Nazis nicht erinnerungswürdig?
Der Turm des Buerer Rathauses wird seit mehr als 15 Jahren alljährlich am 30. November anlässlich des Aktionstages „Cities for Life” in grünes Licht getaucht, ein weithin sichtbares Zeichen für den Respekt des Lebens und der Menschenwürde - gegen Todesstrafe und Folter. Die am Rathaus im Rahmen des Projektes "Erinnerungsorte" angebrachte Tafel hingegen thematisiert die Existenz der Folterstätte nicht, lediglich ein Satz streift die 12 Jahre währende Zeit des NS-Terrorregimes: "1933 zerstörten hier die Nationalsozialisten die kommunale Stadtverwaltung." Es ist höchste Zeit, an diesen Gelsenkirchener Tatort von Naziverbrechen beispielsweise mit einer passend gestalteten Infotafel zu erinnern.
Gelsenkirchen: Andreas Jordan - Botschafter Stolpersteine NRW
Redaktion | 22. Juni 2022 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Etwa 15.000 Stolpersteine gibt es in NRW. Einer davon liegt in Gelsenkirchen und erinnert an das 1933 geborene Sinti-Mädchen Rosa Böhmer. Rosa ist 1942 von den Nazis ermordet worden. Die WDR-App "Stolpersteine NRW" hilft, die Erinnerung an sie und ihre Familie aufrecht zu erhalten. Unterstützt wird die Botschafter*innen-Kampagne des WDR auch von Andreas Jordan, langjähriger Projektleiter der Stolperstein-Initiative in Gelsenkirchen.
Die neue, innovative App „Stolpersteine NRW – Gegen das Vergessen“ des WDR macht auch die derzeit mehr als 280 Schicksale hinter den Gelsenkirchener Stolpersteinen digital erlebbar. Die App ist für die beiden Plattformen iOS und Android kostenlos verfügbar und kann dann auf dem üblichen Weg über die so genannten “Stores” heruntergeladen werden. Eine Version für den Desktop-Browser ist ebenfalls nutzbar. Mehr über Rosa Böhmer und ihre Familie erfahren.
2. Weltkrieg in Gelsenkirchen-Buer: Absturz überlebt und dann getötet
Andreas Jordan | 20. Juni 2022 | Stolpersteine Gelsenkirchen
An den englischen Piloten Norman C. Cowley, der den Abschuss seines Flugzeuges überlebte und dann am Boden von Nazischergen zu Tode geprügelt wurde, erinnert seit Samstag (11.6.) ein Stolperstein vor dem Marienhospital in Gelsenkirchen-Buer. Ein weiterer, ähnlich gelagerter Fall ist der gewaltsame Tod des amerikanischen Piloten John "Jack" Friedhaber. Auch an Friedhaber soll in Gelsenkirchen ein Stolperstein erinnern. Für diesen Stolperstein suchen wir Pat*innen.
Leutnant John "Jack" Friedhaber, amerikanischer Bomberpilot, starb im November 1944 in Gelsenkirchen. Von der Flak getroffen stürzte seine B-24 Liberator mit dem Spitznamen "Never Mrs" in Gelsenkirchen-Buer (Heege) auf einen Acker. Friedhaber konnte sich zunächst mit dem Fallschirm aus dem brennenden Flugzeug retten, wurde jedoch am Boden umweit der Absturzstelle von Gelsenkirchenern totgeprügelt.
Über 300 Deutsche wurden nach 1945 von den Alliierten wegen der sogenannten Fliegermorde vor Gericht gestellt, davon wurden über 150 der Angeklagten hingerichtet. Die weitaus größere Zahl der Verbrechen blieb jedoch ungesühnt oder gar unentdeckt. Mancher alliierte Flieger, der offiziell beim Absturz seiner Maschine oder beim Absprung tödlich verletzt worden sein soll, ist womöglich von fanatisierten Männern umgebracht worden. Es ist nach Auswertung des Quellenmaterials davon auszugehen, das es sich auch im Falle des Piloten John "Jack" Friedhaber um einen Fliegermord handelt. Mehr erfahren: → Erst überlebt und dann getötet
Novum im Stolpersteinprojekt: Vier Stolpersteine für schwule Männer vor Bochumer Haus
Andreas Jordan | 15. Juni 2022 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Wir kennen die kleinen Messingplatten im Gehweg - wo mehr als eine von ihnen liegt, dort handelt es sich oftmals um die Würdigung mehrerer Angehörige jüdischer Familien. Für jede Person ein Stolperstein. Dagegen sind Stolpersteine für Homosexuelle selten und liegen in der Regel vereinzelt, denn kaum jemand von ihnen wagte wegen des Verfolgungsdrucks in der NS-Zeit, mit einem anderen Mann im selben Haus oder sogar der selben Wohnung zu leben. Vereinzelung und Isolierung waren Auswirkungen der staatlichen Repression. - In vielen Städten liegen bisher überhaupt keine oder nur wenige Stolpersteine für schwule Männer.
Abb.: Die vier Stolpersteine vor dem Haus Kronenstraße 41 in Bochum (Foto: Jürgen Wenke)
Unter den mehr als 90.000 Steinen ist nun durch Hinzufügung zweier neuer Stolpersteine erstmals gelungen, vier Steine vor einem Wohnhaus in Bochum zu verlegen für vier Männer, die von den Nationalsozialisten als Homosexuelle verfolgt bzw. nach § 175 wegen gleichgeschlechtlicher sexueller Kontakte verurteilt wurden.
Am 14. Juni 2022 wurden in der Bochumer Kronenstraße in Höhe der Hausnummer 41 in Höhe des Cafés Mascha zwei neue Stolpersteine für Fritz Goltermann und Willi Schlüter hinzugefügt zu den zwei bereits dort verlegten Steinen aus dem Jahr 2021 für Gerhard Krebs und Theodor Brockmann. Während Fritz Goltermann und Willi Schlüter die NS-Verfolgung überlebten, starb Gerhard Krebs im Gefängnis während der Haftverbüßung, die Akten sprechen von Selbstmord. Das weitere Schicksal nach der Gefängnishaft von Theodor Brockmann ist bisher unbekannt.
Die Patenschaften für die beiden neuen Steine haben die BOGESTRA AG (Bochum-Gelsenkirchener-Straßenbahnen AG) für Willi Schlüter und der Bundestagsabgeordnete Max Lucks (Bündnis 90/Die Grünen) für Fritz Goltermann übernommen.
Forschung und Initative stammen von Jürgen Wenke, Dipl.-Psych., Bochum.
Nazis wollten auch schwule Männer ausrotten
Zur „Ausrottung“ von Goltermann und Schlüter kam es nicht - der Ältere wurde zwar nach der vollen Haftverbüßung weiter von der Gestapo überwacht, überlebte aber den Krieg und die NS-Verfolgung in Österreich in Zell am Ziller. Die mehr als 10jährige Odyssee nach der Haftentlassung kam erst 1948 in Pfullingen bei Reutlingen in Baden-Württemberg zu einem Ende, Goltermann wurde hier bis zu seinem Tod ansässig. Er starb 1985. Der Jüngere, Willi Schlüter, verpflichtete sich zum „Reichsarbeitsdienst“ und zwölf Jahren (!) bei der Wehrmacht, überlebte als Soldat 6 Jahre Kriegshandlungen.
Wie Goltermann heiratete auch Schlüter in der Nachkriegszeit. Er starb im hohen Alter von 91 Jahren im Jahr 2008 in Münster/Westf.. Nach Bochum kehrten beide Männer nicht zurück. Große Teile der Innenstadt und die Wohnung in der Kronenstraße, in der beide kurzzeitig 1936 gemeinsam gewohnt hatten, wurden 1944 durch Bomben völlig zerstört.
Die Lebens- und Verfolgungswege von Goltermann und Schlüter sind ausführlich beschrieben auf Jürgen Wenkes Website stolpersteine-homosexuelle.de. Dort findet sich auch einen ausführlichen Bericht als PDF-Dokument zum Download.
Gelsenkirchen: Stolpersteine - Denkmale für Nachbarn
Redaktion | 15. Juni 2022 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Letzte Station der Stolpersteinverlegungen am Samstag (11.6.) war die Husemannstr. 39. Bildhauer Gunter Demnig ließ vor dem Haus insgesamt sechs Stolpersteine ins Gehwegpflaster ein. Eine achte Klasse der Gesamtschule Berger Feld hatte die Patenschaft für das kleine Denkmal übernommen, das nun an Hella Grün erinnert. Auch für ihre Geschwister und die Eltern konnten an diesem Tag an gleicher Stelle fünf weitere Stolpersteine verlegt werden. Ermöglicht durch das Engagement der vielfältig erinnerungskulturell aktiven Gesamtschule Berger Feld und von Menschen aus dem Schulumfeld. Die Schüler*innen hatten sich im Vorfeld mit den Lebens- und Leidenswegen der Familie Grün beschäftigt und so die kleine Verlegezeremonie mit eigenen Beiträgen aktiv mitgestaltet.
Begonnen hatte die diesjährige Verlegeaktion vor dem Marienhospital Buer, dort wurde der Stolperstein verlegt, der an Norman C. Cowley erinnert - der zweite britische Staatsbürger, für den auf deutschem Boden ein Stolperstein liegt. Der Pilot der Royal Air Force wurde Opfer eines Lynchmords durch Nazi-Schergen, nachdem sein Flugzeug über Gelsenkirchen von der Flak abgeschossen worden war. Die Patenschaft für das Denkmal hat Bezirksbürgermeister Dominic Schneider übernommen. Auch Michal Zambra war als Vetreter der Royal Britisch Legion anwesend, er sprach ein Gebet für den Soldaten Cowley. Vor dem Sozialwerk St. Georg erinnert nun ein Stolperstein an ein erst zweieinhalb Jahre altes Opfer der so genannten "Kindereuthanasie". (Siehe Bericht v. 13.6.).
An der Hauptstraße 16 wurden die dort für Familie Grüneberg verlegten Stolpersteine im ein weiteres Denkmal erweitert, dieser Stein erinnert nun an die 2017 gestorbene Lore Grüneberg. Stolpersteinpate Matthias Heitbrink konnte nicht persönlich vor Ort sein, dafür nahm sein Vater teil. Weiter ging es an der Gildenstr. 7, vor dem Eckhaus gegenüber der neuen Synagoge erinnern jetzt zwei Stolpersteine an das Ehepaar Josef und Ida Schlossstein. Leider waren beide Stolpersteinpaten an diesem Tag terminlich verhindert. Inmitten des festlichen Trubels des City-Festes "GEspaña" verlegten wir auf der Bahnhofstr. vor dem ehemaligen Kaufhaus Alsberg (Heute WEKA) einen Stolperstein, der an den enteigneten, später im Ghetto Lodz (Litzmannstadt) ermordeten jüdischen Vorbesitzer Dr. jur. Alfred Alsberg erinnert. Leider verpassten wir uns, Stolpersteinpatin Annette Fiering und Barbara Walker, eine Enkelin von Alfred Alsberg waren eigens zur Verlegung nach Gelsenkirchen gekommen. Beide konnten jedoch den verlegten Stolperstein in Augenschein nehmen.
Witwe Ida Reifenberg so nur einen Ausweg, dem Naziterror zu entkommen. Als sie im November 1941 die erste Aufforderung bekam, sich auf die "Evakuierung in den Osten" vorzubereiten, wählte sie die Flucht in den Tod. Diesen Stolperstein verlegten wir gemeinsam mit Gunter Demnig und Stolpersteinpate Knut Maßmann vor dem Haus Von-Der-Recke-Str. 11.
Die diesjährigen Verlegungen von Stolpersteinen in Gelsenkirchen haben wir im Rahmen einer Gemeinschaftsverlegung am Dienstag fortgesetzt. Eine Verlegung fand gemeinsam mit Stolpersteinpatin Doris Stöcker an der Dessauerstr. 72 statt, dort erinnert jetzt ein Stolperstein an Vera Polyakova. Gemeinsam mit Stolpersteinpate Ingo Schmack haben wir zwei kleinen Denkmale, die nun an das Ehepaar Margarethe und Heinrich Meyer erinnern, vor dem Haus Florastr. 166 in das Gehwegpflaster eingelassen. An dieser Zeremonie nahm auch die aus Holland angereiste Berta Levie-Jungmann teil. Sie will bei der nächsten Verlegung Stolpersteine für Angehörige in Gelsenkirchen verlegen lassen.
Mitunter braucht es viele Jahre, bis sich die Recherchen zu Lebens- und Leidenswegen NS-verfolgter Menschen mosaikartig zu einem individuellen Bild zusammenfügen. So auch im Fall des Ingenieurs Heinrich Meyer, der am 1. April 1945 in Gelsenkirchen von einem Volkssturmmann aus politischen Gründen erschossen wurde. Hier lesen sie die exemplarische Schilderung einer Stolperstein-Recherche: Befreiung und finaler Terror
Kommentar: Stolpersteine in Gelsenkirchen
Neuakzenturierung erinnerungskultureller Arbeit
Von Andreas Jordan
Erinnerungskultur ist eine zivilgesellschaftliche Angelegenheit, deren Bezugspunkt die Gegenwart und nicht die Vergangenheit ist. In diesem Sinne kommt es darauf an, sich den Potentialen, Handlungen und Orientierungen zu widmen, die Ausgrenzungsgesellschaften enststehen und Genozide möglich werden lassen. Die Beteiligung von Schüler*innen am Kunstprojekt Stolpersteine für Europa von Gunter Demnig kann nicht zuletzt die Enstehung eines emanzipatorischen Geschichtsbewußtseins des Individiums fördern und verweist gleichwohl auf die Anschlussfähigkeit des größten dezentralen Denkmals der Welt. Das gilt auch für kommendene Generationen von Schüler*innen, besonders aus nichtdeutschen Herkunftsgesellschaften.
Stolperstein und Stele: Ehrendes Gedenken für Jürgen Sommerfeld
Andreas Jordan | 13. Juni 2022 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Jürgen Sommerfeld durfte nicht leben, ohne jeden moralischen Skrupel wurde der kleine Junge im Rahmen der so genannten "Kindereuthanasie" vom NS-Gewaltregime 'gestorben'. Er war gerade zweieinhalb Jahre alt, als er als Kind mit Behinderung am 20. Juli 1943 in die so genannte "Kinderfachabteilung" der Provinzialheilanstalt Aplerbeck in Dortmund aufgenommen wurde. Am 9. August 1943 ist das Kind tot, gestorben angeblich an "Kreislaufschwäche", so steht es auf dem Totenschein.
Jetzt erinnert in Gelsenkirchen ein Stolperstein an Jürgen Sommerfeld. Gemeinsam mit Bildhauer Demnig, Angehörigen und Vertreter*innen des Sozialwerks St. Georg verlegten wir am Samstag (11.6.) in einer kleinen Zeremonie an der Emscherstr. 41 den Stolperstein, Christa Sommerfeld enthüllte daran anschließend sichtlich berührt die Gedenkstele.
Gleichwohl hatten wir uns im Vorfeld in Absprache mit Angehörigen auf den Verlegort Emscherstr. 41 vor dem Sozialwerk St. Georg verständigt, das Jürgen Sommerfeld neben einem Stolperstein eine weitere ehrende Erinnerung erfahren sollte: Schon länger plante das Sozialwerk, ein Gebäude stellvertretend nach einem Menschen zu benennen, der während des Nationalsozialismus der so genannten 'Euthanasie' zum Opfer gefallen ist. So konnten wir im Frühjahr diesen Jahres auf Nachfrage Jürgen Sommerfeld als Namensgeber vorschlagen und den Kontakt zu Angehörigen herstellen. Die offizielle Benennung des Gebäudes findet Ende Juni statt.
Andreas Jordan | 3. Juni 2022 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Auch weiterhin freut sich die Projektgruppe Stolpersteine Gelsenkirchen über Menschen, die bei der Bekanntmachung und Durchführung des Projektes in Gelsenkirchen helfen: Spenden sammeln, Flyer auslegen, Rundgänge erlernen und durchführen, Informationen zu Nazi-Opfern sammeln und auswerten, Patenschaften übernehmen, Benefizveranstaltungen organisieren, Putzaktionen - um nur einige Beispiele zu nennen. Gerade auch jüngere Generationen finden durch die Stolpersteine einen ganz direkten Zugang zur NS-Geschichte im lokalen Kontext, hilfreich ist dabei nicht zuletzt auch unsere Homepage. Fragen zum Projekt beantworten wir gerne.
Die neue, innovative App „Stolpersteine NRW – Gegen das Vergessen“ des WDR macht auch die derzeit mehr als 260 Schicksale hinter den Gelsenkirchener Stolpersteinen digital erlebbar. Die App ist für die beiden Plattformen iOS und Android kostenlos verfügbar und kann dann auf dem üblichen Weg über die so genannten “Stores” heruntergeladen werden. Eine Version für den Desktop-Browser ist ebenfalls nutzbar.
Die Stolpersteine führen uns auf Schritt und Tritt vor Augen, zu welcher Grausamkeit Menschen fähig sind, auch gegenüber ihren direkten Nachbarn. Sie verweisen somit ebenfalls auf die Entstehung einer Ausgrenzungsgesellschaft, die zwischen 1933-1945 von allzu vielen Deutschen mitgetragen worden ist. Unser neuer Flyer informiert in kompakter Weise über Hintergründe des Kunstprojekts für Europa von Bildhauer Gunter Demnig. Die gedruckten Flyer können kostenlos bspw. für Schulen, Vereine, Nachbarschaftsgruppen etc. per Email angefordert werden: einfach Anschrift mitteilen und gewünschte Stückzahl angeben.
Erinnerungskultur: 16 weitere Stolpersteine werden in Gelsenkirchen verlegt
Pressemitteilung | 29. Mai 2022 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Bildhauer Gunter Demnig kommt am Samstag, 11. Juni 2022 nach Gelsenkirchen, um hier gemeinsam mit Gästen, einer Schüler*:innengruppe der Gesamtschule Berger Feld sowie weiteren Stolpersteinpat *innen ab 14.30 Uhr an mehreren Orten im Stadtgebiet weitere Stolpersteine zu verlegen. Damit werden Lebens- und Leidenswege von Menschen greifbar, die zwischen 1933-1945 aus rassistischen Motiven ermordet, ausgegrenzt oder vertrieben wurden. Sie können ebenso an überlebende Verfolgte erinnern. Demnigs Stolpersteine machen uns bewusst, wohin jede menschenverachtende rassistische Ideologie und Ausgrenzung führen kann. Inzwischen gibt es Stolpersteine in mehr als 25 europäischen Ländern. Allein in Deutschland wurden nach Angaben des Initiators Demnig etwa 90.000 dieser Gedenksteine im Boden verlegt. Im Gelsenkirchener Stadtgebiet wurden seit 2009 zufolge der hiesigen Projektgruppe Stolpersteine (Gelsenzentrum e.V.) bisher 265 Stolpersteine verlegt, insgesamt 18 neue kommen nun Dank des Engagements vieler Menschen hinzu.
Bei dem Projekt „Stolpersteine“ handelt es sich um ein Kunstprojekt für Europa von Bildhauer Gunter Demnig, das die Erinnerung an Opfer der Nationalsozialisten lebendig erhält. Dazu gehören Menschen, die in der NS-Zeit stigmatisiert, verfolgt, deportiert, ermordet oder in die Flucht bzw. den Suizid getrieben wurden. Stolpersteine sind 10 x 10 x 10 cm große Betonquader, in deren Oberläche eine Messingplatte verankert ist. Auf diese Oberfläche werden mit Schlagbuchstaben die Namen und Daten von Menschen eingeprägt, die während der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt und zumeist ermordet wurden. Das Besondere an diesem Projekt ist, dass diese kleinen Erinnerungsmale genau an den Orten verlegt werden, an denen die Menschen vor ihrer Flucht oder Verhaftung freiwillig lebten. Damit wird individuell an Verfolgte erinnert, doch es werden gleichwohl auch Fragen nach der Täter- und Mittäterschaft aufgeworfen, indem der Ausgangspunkt der nationalsozialistischen Verfolgung an den ehemaligen Wohnorten deutlich markiert wird.
"Bei den Patinnen und Paten der einzelnen Stolpersteine möchten wir uns herzlich dafür bedanken, dass sie mit ihren Spenden einen mutigen Beitrag zur Sichtbarmachung des düstersten Kapitel unserer Stadtgeschichte geleistet haben". sagt Andreas Jordan, der mit seinem Team die Recherchen und Verlegungen von Stolpersteinen in Gelsenkirchen koordiniert. Wer künftige Stolperstein-Verlegungen finanziell unterstützen möchte, kann an das Konto „Stolpersteine Gelsenkirchen“ bei der Sparkasse Gelsenkirchen mit der IBAN DE79 4205 0001 0132 0159 27 spenden. Der Verwendungszweck ist „Spende Stolpersteine“. Informationen über das Projekt und biografische Skizzen über die Menschen, an die in Gelsenkirchen Stolpersteine erinnern per Mail über a.jordan@gelsenzentrum.de oder im Internet auf www.stolpersteine-gelsenkirchen.de. Interessierte sind herzlich zur Teilnahme an den Stolpersteinverlegungen eingeladen.
(Wir bitten Interessierte, ein Zeitfenster von +/- 20 Minuten zu den genannten Uhrzeiten einzuplanen. Es gelten bei den kleinen Verlegezeremonien die jeweils aktuellen Corona-Richtlinien.)
Die Rahmenveranstaltungen der diesjährigen Stolpersteinverlegungen in Gelsenkirchen werden von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen aus dem Förderpogramm "2000 x 1000 € für das Engagement" gefördert.
Stadtumbau: An der Bochumer Straße sollen auch Fußwege verbreitert werden
Andreas Jordan | 15. Mai 2022 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Der Umbau der Bochumer Straße zwischen Justizzentrum und Virchowstraße soll im Herbst diesen Jahres starten. Geplant sind auf dem Teilstück u.a. die deutliche Verbreiterung der Fußwege. Damit sind auch die vor dem Haus Bochumer Straße Nr. 92 verlegten Stolpersteine 'gefährdet'. Im Mai 2019 von Bildhauer Demnig dort ins Gehwegpflaster eingelassen, erinnern diese drei Stolpersteine an die Ermordung der jüdischen Kaufmannsfamilie Julius Buchthal. Ob die Verantwortlichen bei der Stadt- verwaltung auch diese drei Stolpersteine auf dem Radar haben? Wir werden nachfragen - bevor die kleinen Mahnmale übersehen und wohlmöglich mit Aushub entsorgt werden.
Update 18.5.2022: Martin Schulmann, Pressesprecher der Stadt Gelsenkirchen teilt uns per Mail mit, dass die Stolpersteine zu Beginn der Bauarbeiten an der Bochumer Straße ausgebaut, eingelagert und nach Abschluss der Arbeiten an gleicher Stelle wieder eingebaut werden. Das treffe grundsätzlich auch in Zukunft auf alle betroffenen Stellen zu. So weit, so gut.
Wem gehören die bereits verlegten Stolpersteine?
In diesem Kontext hatten wir noch eine weitere Frage an die Stadtverwaltung Gelsenkirchen gestellt: "Wie beurteilt die Stadtverwaltung einen möglichen Übergang der bereits verlegten Stolpersteine in städtisches Eigentum, wie er in anderen deutschen Städten längst üblich ist?". Anstelle einer klaren Antwort auf eine klare Frage verweist die Verwaltung auf eine Beschlussvorlage (Projekt Erinnerungsorte, 04-09/ 1765) für den Rat der Stadt aus dem Jahre 2005. In der Vorlage werden dem Projekt Stolpersteine - teilweise basierend auf sachlich falsche Angaben - eine Reihe vorgeblicher Schwächen zuge- schrieben, das stadteigene Gedenkprojekt "Erinnerungsorte" wird hingegen favorisiert. Wer bisher gedacht hatte, die Verwaltung habe ihre Haltung zwischenzeitlich überdacht, sieht sich somit getäuscht.
NS-Verbrechen: Gebot der Gerechtigkeit erforderte Verurteilung
Redaktion | 12. Mai 2022 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Seit 2011 erinnern in Gelsenkirchen zwei Stolpersteine an den Widerständler Erich Lange - der eine am letzten selbstgewählten Wohnort in der Schwanenstraße, ein weiterer am Rundhöfchen, dem Ort seines gewaltsamen Todes in der Gelsenkirchener Altstadt.
Erich Lange war zunächst Mitglied der so genannten Schutzstaffel der NSDAP. Er stellte sich jedoch noch vor der Machtübergabe gegen die Nationalsozialisten, wurde Mitglied der KPD und des "Kampfbundes gegen den Faschismus". In den Augen der Nazis war Erich Lange somit ein "Verräter an der nationalen Sache".
Am 23. März 1933 titelte die Gelsenkirchener Allgemeine Zeitung "Kommunistischer Funktionär erschossen" - das Opfer war Erich Lange. Der Schütze, ein SS-Mann, will in Notwehr geschossen haben. Mehr war bisher über das Verbrechen bisher nicht bekannt, beim Institut für Stadtgeschichte Gelsenkirchen (ISG) fanden sich keine Archivalien zur Person oder dem Schicksal von Erich Lange.
Jüngst stieß Historiker Andreas Jordan (Gelsenzentrum e.V.) bei Recherchen zur Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit in NRW zwischen 1946-1949 jedoch auf eine Archivsignatur, die auf ein Strafverfahren vor dem Schwurgericht Essen gegen zwei SS-Angehörige hinwies, die einen ehemaligen Kameraden auf offener Straße in Gelsenkirchen erschossen hatten. Schnell stand fest, das es sich bei den Angeklagten um die Personen handelt, die 1933 Erich Lange getötet hatten. Die nun erfolgte Auswertung der Akte aus dem Bundesarchiv bringt mehr Licht in eines der Verbechen in der frühen Phase der NS-Gewaltherrschaft in Gelsenkirchen.
Während ihrer Zugehörigkeit zur SS hatten die beiden Angeklagten Erich Schneider und Wilhelm Dudek im Sommer 1932 Erich Lange kennengelernt. Lange war ebenfalls Mitglied der SS und gehörte wie die Angeklagten dem selben SS-Sturm an. Lange trat jedoch im November 1932 wieder aus der SS aus und wurde Mitglied der KPD. Das war den Angeklagten bekannt.
In der Nacht vom 21. auf den 22. März 1933 suchten die Angeklagten in SS-Uniform gemeinsam mit anderen SS-Männern die Wirtschaft "Stadtkeller" in der Gelsenkirchener Altstadt auf. Beide trugen eine Pistole. Kurze Zeit später betrat auch Erich Lange das Lokal. Es dauerte nicht lange, da kam es zu einem Wortwechsel zwischen den Angeklagten und Erich Lange, der in eine Schlägerei mündete. Die Angeklagten Schneider und Dudek schlugen mit ihren Koppeln auf Erich Lange ein, bis dieser aus dem Lokal floh. Der Angeklagte Dudek verfolgte ihm mit zwei weiteren uniformierten Männern. Sie holten Erich Lange in Höhe des Hotels "Monopol" in der Nähe der "Hubertusbar" ein und schlugen erneut massiv auf ihn ein, sodass er laut um Hilfe schrie. Als Lange dann loslief, um den Schlägen zu entgehen, gab Dudek aus einer Entfernung von etwa 2-3 Metern drei Schüsse aus der Dienstpistole auf ihn ab. Von Kugeln getroffen fiel Erich Lange zu Boden. Das geschah gegen 5.10 Uhr. Die Verfolger suchten das Weite, ohne sich weiter um Lange zu kümmern.
Als sich kurz nach dem Vorfall der Zeuge Funke dem Tatort näherte, traf er mit mehreren SA-Männern zusammen. Diesen teilte er seine soeben gemachte Beobachtung mit, Lange sei von einem SS oder SA-Mann erschossen worden. Diese entgegneten, das seien keine Uniformierten gewesen. Funke musste mit zur Polizeiwache, dort wurde er von Kriminalkommisar Tenholt vernommen. Funke konnte gegen 8 Uhr gehen, er ist in dieser Angelenheit nicht wieder verhört worden.
Nach dem letzten Schuss erschien der sich auf dem Weg zur Arbeit befindliche Zeuge Pruschinski am Tatort und konnte nur noch - wie zuvor Funke - den Tod des Erich Lange feststellen. Ein auftauchender SS-Mann mit gezogener Pistole forderte den Zeugen mit den Worten "Was ist den hier los, mach das du wegkommst, lass das Schwein liegen" auf, zu verschwinden.
Am nächsten Morgen mussten die beiden Angeklagten zur Sturmbann-Dienststelle kommen. Dudek schilderte den Sachverhalt. Daraufhin ordnete der Leiter der Dienststelle Schulz mit den Worten "Wir müssen die Sache drehen" an, das der Angeklagte Schneider als Hilfsbeamter der Polizei Lange erschossen habe, weil dieser sich seiner Festnahme durch Flucht habe entziehen wollen. Schneider sollte die Tat auf sich nehmen, hatte dann jedoch zunächst Bedenken, das Vernehmungsprotokoll zu unterschreiben, da er sich einer Tötung bezichtigte. Doch ihm wurde sofort versichert, das es bei dieser einen Vernehmung bleiben werde und er nichts zu befürchten habe.
Vater des Opfers brachte Nachkriegsprozess ins Rollen
Tatsächlich sind dann keine weiteren Ermittlungen getätigt worden, der nun Mitangeklagte Dudek ist seinerzeit nicht verhört worden. Nach dem Krieg wurde auf die Anzeige des Vaters von Erich Lange am 19. Juni 1948 ein Verfahren gegen die mutmaßlichen Täter Dudek und Schneider eingeleitet.
In der Verhandlung stellte das Schwurgericht fest, das sich der Angeklagte Schneider der gefährlichen Körperverletzung, der Angeklagte Dudek der vorsätzlichen Tötung sowie der ge- fährlichen Körperverletzung schuldig gemacht haben. Obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits verjährt, war zu prüfen, ob auf Grund der Verordnung zur Beseitigung nationalsozialisticher Eingriffe in die Strafrechtspflege vom 23. Mai 1947 noch eine Betrafung möglich war. Diese Frage hat das Schwurgericht Essen in der Verhandlung vom 21. September 1949 bejaht, denn dass das Verbrechen der Tötung auch nach 16 Jahren eine Sühne verlangt, erfordere das Gebot der Gerechtigkeit. Schneider wurde erstinstanzlich zu zwei Monaten Gefängnis, Dudek zu vier Jahren Gefängnis verurteilt.
Gegen das Urteil legte Schneiders Rechtsanwalt wie auch die Staatsanwaltschaft Revision ein. Im Januar 1950 ergeht ein Beschluss des I. Strafsenats des Obersten Gerichtshofes für die britische Zone, das Verfahren - soweit es Erich Schneider betrifft - einzustellen. Der Revision Dudeks wird stattgegeben und das Verfahren an das Schwurgericht Essen zurückverwiesen. Im April 1950 wird Wilhelm Dudek erneut vom Schwurgericht des Landgerichts Essen wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit in Tateinheit mit Totschlag und gefährlicher Körperverletzung zu einer Gefängnisstrafe von vier Jahren verurteilt.
8. Mai: Virtuelle Kerzen für NS-Opfer entzünden
Andreas Jordan | 2. Mai 2022 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Eine neue WDR-App macht die rund 15.000 Schicksale hinter Stolpersteinen in Nordrhein-Westfalen erlebbar. Gezielt können Nutzer:Innen etwa nach Stadt oder Opfergruppe suchen. Zudem kann jedem einzelnen der Opfer durch das virtuelle Anzünden von Kerzen gedacht werden. Eine interaktive Karte zeigt alle derzeitig verlegten Stolpersteine in NRW.
Bei den Stolpersteinen handelt es sich um ein Projekt des Bildhauers Gunter Demnig. Jeder Stein erinnert an einen Menschen, der von der NS-Diktatur verfolgt, ermordet oder in den Suizid getrieben wurde. Dazu werden auch in Gelsenkirchen seit 2009 kleine Messingtafeln in den Boden eingelassen, zu finden sind sie etwa vor früheren Wohnhäusern oder Geschäften von NS-Verfolgten Menschen aller Opfergruppen. Das WDR-Projekt soll nach Angaben des Senders alle rund 15.000 Stolpersteine in NRW auffindbar und digital zugänglich machen, die es mittlerweile gibt. Es richtet sich auch stark an jüngeres Publikum. Mit „Stolpersteine NRW“ macht der Westdeutsche Rundfunk die Lebensgeschichten dieser Menschen digital zugänglich – Die App ist für die beiden Plattformen iOS und Android kostenlos verfügbar und kann dann auf dem üblichen Weg über die so genannten “Stores” heruntergeladen werden, für daheim über den Desktop-Browser
8. Mai 1945: Tag des Kriegsendes - Gelsenzentrum e.V. sucht putzbereite Unterstützer:Innen
Andreas Jordan | 2. Mai 2022 | Stolpersteine Gelsenkirchen
In den Tagen nach dem 28. März 1945 überschritten US-Truppen die nördliche Stadtgrenze von Gelsen- kirchen und rückten auf das Stadtzentrum zu. Am Karfreitag 1945 ging in Buer und Horst der 2. Welt- krieg zu Ende, amerikanische Truppen besetzten den Stadtnorden. Am 10. April 1945 hatten sie die ge- samte Stadt befreit, in Gelsenkirchen ruhten die Waffen. Am 8. Mai 1945 endete mit der bedingslosen deutschen Kapitulation der zweite Weltkrieg in Europa.
Erinnerungsaktion am Jahrestag des Kriegsendes in Gelsenkirchen
Auch in diesem Jahr ruft der Gelsenzentrum e.V. auf, am Sonntag den 8. Mai die bisher in Gelsenkirchen verlegten Stolpersteine zu putzen. Seit mehr als zehn Jahren beteiligt sich der gemeinnützige Verein Gelsenzentrum e.V.mit seiner Projektgruppe Stolpersteine Gelsenkirchen an dem Kunstprojekt des Bildhauers Gunter Demnig. Seine kleinen Gedenktafeln, die sogenannten Stolpersteine, in den Gehweg eingelassen, erinnern an Lebens- und Leidenswege der Menschen, die dort in den Häusern gelebt haben und in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, geflohen, deportiert, ermordet, oder in den Suizid getrieben wurden. Inzwischen sind von Gelsenzentrum gemeinsam mit Bildhauer Demnig mehr als 260 Stolpersteine sowie eine Stolperschwelle in Gelsenkirchen verlegt worden. Der Verein betreut und organisiert nicht nur die Verlegung der Steine, sondern kümmert sich auch um Pflege und Erhalt. Wer sich an der Stolperstein-Putzaktion am Sonntag, 8. Mai, beteiligen möchte, kann sich per E-Mail unter a.jordan (ätt)gelsenzentrum.de melden, dort gibt es dann nähere Informationen.
Abb.: Am Tag des Kriegsendes hörte das Sterben jedoch noch nicht auf. Vor dem Haus Im Bahnwinkel 10 im Gelsenkirchener Norden erinnert ein Stolperstein an Robert Mäusert.
Redaktion | 29. April 2022 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Die einzelnen Verlegungen von Stolpersteinen schaffen Gedenk- und Erinnerungsorte im urbanen Raum. Sie werden dort realisiert, wo die Menschen, die Opfer des NS-Gewaltregimes wurden, einst ihren Lebensmittelpunkt hatten - zumeist vor den Türen ihrer Häuser, inmitten des damaligen nachbarschaftlichen Umfeldes.
Die zeitliche und räumliche Abstufung von Diskriminierung, Entfernung und Tötung durch das NS-Gewaltregime erleichterte es der Mehrheitsgesellschaft (im NS: 'Volksgemeinschaft'), sich an die Verfolgung, Entrechtung und Dehumanisierung ihrer in unmittelbaren Nachbarschaft lebenden Mitbürger:Innen gedanklich zu gewöhnen oder sie zu ignorieren. Hinter jedem Stolperstein steht eine zumeist gewaltsam beendete Lebenswelt, jeder Stolperstein verweist gleichwohl auch auf die Täter des Holocaust.
Die Pat:Innen der Stolpersteine setzen Zeichen - für sich und für andere. Gemeinsam tragen wir die Vergangenheit in die Gegenwart und lassen die Stadtgesellschaft ihrer Verantwortung vor der Geschichte bewusst werden. Die Stolpersteine werden ausschliesslich über Patenschaften finanziert, jedem einzelnen NS-Opfer soll dabei ein eigener Stolperstein gewidmet werden. Um das Projekt in Gelsenkirchen kontinuierlich fortzuführen, ist daher auch weiterhin die Mithilfe vieler Menschen notwendig. So konnten für die diesjährige Verlegeaktion in Gelsenkirchen 16 weitere Stolpersteine durch Patenschaften finanziert werden. Damit wächst die Gesamtzahl der von der Projektgruppe Stolpersteine des gemeinnützigen Vereins Gelsenzentrum e.V. in Gelsenkirchen verlegten Stolpersteine beständig auf 281 der kleinen Denkmale an.
Die Rahmenveranstaltungen der diesjährigen Stolpersteinverlegungen in Gelsenkirchen werden von der Landesregierung Nordrhein-West- falen aus dem Förderpogramm "2000 x 1000 € für das Engagement" gefördert.
Wir erinnern an die Deportation von Gelsenkirchen nach Warschau vor 80 Jahren
Redaktion | 25. März 2022 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Am 31. März 1942 rollte ein weiterer "Sammeltransport" mit jüdischen Kindern, Frauen und Männern ab Gelsenkirchen "in den Osten". Bestimmungsort der Menschenfracht war zunächst das Ghetto Warschau im deutsch besetzten Polen. Planmäßig um 12:12 Uhr verließ der ab Gelsenkirchen eingesetzte Transportzug der Deutschen Reichsbahn mit dem Kürzel "Da 6" am 31. März 1942 mit 52 Gelsenkirchener Juden die Stadt. Ein Waggon war für das Begleitkommando der Schutzpolizei bestimmt. In Bielefeld wurden weitere 326, in Hannover 500 und in Braunschweig 116 jüdische Menschen in den Zug gezwun- gen. Am Morgen des 2. April 1942 erreichte der Zug das Warschauer Ghetto im deutsch besetzten Polen. Von den aus Gelsenkirchen mit diesem Menschentransport deportierten Juden hat niemand seine Befreiung erlebt. Die Namen sind überliefert, so wird beispielsweise mit Gunter Demnigs Stolpersteinen in Gelsenkirchen auch an von den Nazis zumeist im Warschauer Ghetto ermordeten Menschen erinnert.
Unter den im März 1942 nach Warschau deportierten Menschen befanden sich auch Angehörige der Familie Rosenbaum. Vor dem Haus Heinrichplatz 1 in Gelsenkirchen - dem letzten selbst gewählten Wohnort - erinnern seit einigen Jahren Stolpersteine an Familie Siegfried Rosenbaum sowie dessen Schwiegermutter Esther Lippers - sie wurde in Theresienstadt ermordet.
Gedenken: 16 weitere Stolpersteine werden in Gelsenkirchen verlegt
Andreas Jordan | 9. März 2022 | Stolpersteine Gelsenkirchen
"Nichts gehört der Vergangenheit an. Alles ist Gegenwart und kann wieder Zukunft werden." *
Die Stolperstein-Verlegung 2022 haben wir bereits lange vor Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine geplant, nun sollen am Samstag, den 11. Juni von Bildhauer Gunter Demnig weitere Stolpersteine in Gelsenkirchen verlegt werden.
Am Dienstag, 14. Juni folgen dann an zwei Orten in Gelsenkirchen so genannte Gemeinschaftsverlegungen, die wir in Absprache mit Gunter Demnig selbst ausführen. Die Terminangabe muss zum jetzigen Zeitpunkt unter dem Vorbehalt der aktuellen Entwicklungen in der Ukraine genannt werden.
* Ztat: Fritz Bauer (1903-1968), Generalstaatsanwalt, Ankläger im Auschwitz-Prozess.
(Wir bitten Interessierte, ein Zeitfenster von +/- 20 Minuten zu den genannten Uhrzeiten einzuplanen. Es gelten bei den kleinen Verlege- zeremonien die jeweils aktuellen Corona-Richtlinien.)
Erinnerungskultur: Gesamtschule Berger Feld erhält weitere Auszeichnung
Andreas Jordan | 7. Februar 2022 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Mit der "Ernst-Alexander-Auszeichnung" wurde jüngst die Gelsenkirchener Gesamtschule Berger Feld geehrt. Mit herausragenden und nachhaltigen Projekten hat sich die Schule für die Erinnerungskultur und gegen das Vergessen eingesetzt. Mit dem Projektkurs „Geschichte“ erinnert die Gesamtschule Berger Feld zum einen fortlaufend an das Leid der jüdischen Bevölkerung in Gelsenkirchen nach der Machtübergabe an die Nazis 1933 und die späteren Deportationen durch das NS-Regime. Seit 2017 reist die Gruppe deshalb jährlich nach Riga, um die traurige Verbindung zwischen Gelsenkirchen und der lettischen Hauptstadt zu erinnern und diese aufzuarbeiten. Nicht zuletzt hat auch das aktive Engagement der Gesamtschule Berger Feld für das Projekt Stolpersteine Gelsenkirchen zur Verleihung der Auszeichnung geführt.
So haben die Schüler:Innen gemeinsam mit ihren Lehrer:innen in den letzten Jahren Patenschaften für mehrere Stolpersteine übernommen und so die Verlegungen der kleinen Mahnmale für Walter Hes, Ernst Levie und dessen Eltern Walter und Malke Levie erst möglich gemacht: "Wir, die Klasse 8.2 der Gesamtschule Berger Feld, haben gemeinsam mit unseren Klassenlehrerinnen Frau Mau und Frau Krause die Patenschaft für den Stolperstein von Walter Hes übernommen, weil uns sein Schicksal sehr berührt hat. Walter war so alt wie wir es jetzt sind, als er von den Nazis ermordet wurde. Mit unserem Engagement wollen wir dazu beitragen, dass Walter Hes und die vielen anderen Opfer des Holocausts nicht vergessen werden und so etwas niemals wieder geschieht." schrieben uns die Schüler:Innen. Für dieses Engagement waren die Schülerinnen und Schüler vom Jüdischen Museum Westfalen in Dorsten bereits mit dem Margot-Spielmann-Preis geehrt und ausgezeichnet worden.
Zahlreich waren Lehrer:Innen, Schüler:Innen (Klasse 8.1) und Ehemalige der Gesamtschule Berger Feld vor Ort erschienen, als im Juni letzten Jahres am Knappschaftshof in Gelsenkirchen-Ückendorf die Stolpersteine für Familie Walter Levie ins Pflaster eingelassen wurden - hatten sie doch die Patenschaften und damit die Finanzierung für diese drei Erinnerungszeichen übernommen. Die Jugendlichen gestalteten mit ihren Wortbeiträgen die kleine Zeremonie aktiv mit. Vor allem für die jüngere Generation, für die der Holocaust immer weiter wegrückt, bieten Stolpersteine einen besonderen Zugang zur Geschichte. Abstrakte Opferzahlen in Millionenhöhe werden auf diese Weise individualisiert und in einen lokalen, zeithistorischen Kontext gerückt. Mit der erschütternden und aufklärenden Wirkung der Stolpersteine kehren Namen zurück und gewaltsam genommene Lebenswelten werden sichtbar gemacht. Auch in diesem Jahr beteiligt sich die Gesamtschule Berger Feld mit der Übernahme der Stolpersteinpatenschaften für die Familie Leibisch Grün am Projekt Stolpersteine in Gelsenkirchen.
27. Januar: Internationaler Holocaust-Gedenktag
Redaktion | 26. Januar 2022 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Auschwitz ist das Synonym für den Massenmord der Nazis an Juden, Sinti und Roma und anderen Verfolgten. Auschwitz ist Ausdruck des Rassenwahns und das Kainsmal der deutschen Geschichte. Der 27. Januar, der Tag der Befreiung von Auschwitz, ist daher kein Feiertag im üblichen Sinn. Er ist ein "DenkTag": Gedenken und Nachdenken über die Vergangenheit schaffen Orientierung für die Zukunft. Die beste Versicherung gegen Völkerhass, Totalitarismus, Faschismus und Nationalsozialismus ist und bleibt die Erinnerung an und die aktive Auseinandersetzung mit der Geschichte. In Gelsenkirchen ist der 27. Januar ein zweifacher Gedenktag: Es wird der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz 1945 gedacht, außerdem der Deportation jüdischer Menschen von Gelsenkirchen nach Riga, die drei Jahre zuvor am 27. Januar 1942 vom NS-Terrorregime mit Hilfe der örtlichen Stadtverwaltung durchgeführt wurde.
„Stolpersteine NRW“: Neues digitales WDR-Angebot gegen das Vergessen
Redaktion | 22. Januar 2022 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Die rund 15 000 Stolpersteine in Nordrhein-Westfalen stehen im Mittelpunkt des innovativen digitalen WDR-Angebots „Stolpersteine NRW – Gegen das Vergessen“. Der WDR macht die Geschichte der Menschen hinter den Steinen des Künstlers Gunter Demnig jetzt auch digital zugänglich: mit Texten, Fotos, Audios, Illustrationen und Augmented-Reality-Elementen. „Stolpersteine NRW” ist ab sofort als App auf dem Smartphone und am PC/Laptop im Desktop-Browser (stolpersteine.wdr.de) nutzbar.
WDR-Intendant Tom Buhrow: „Wir dürfen die Menschen, an deren furchtbares Leid mit den Stolpersteinen erinnert wird, niemals vergessen. ,Stolpersteine NRW‘ regt zu einer intensiven Auseinandersetzung mit den Opfern des Nationalsozialismus vor der eigenen Haustür und im ganzen Land an. Mit unserem einzigartigen Angebot ist es erstmals digital möglich, jeden einzelnen Stein in Nordrhein-Westfalen anzusteuern und mehr über die Menschen dahinter zu erfahren. Damit wollen wir vor allem Jüngeren auf ganz neue Art ermöglichen, sich mit dem Lebens- und Leidensweg dieser Menschen auseinanderzusetzen.“ Mit der App erfahren Smartphone-Nutzer:innen zu jedem Stein, vor dem sie stehen, welcher Mensch sich dahinter verbirgt. Auf Basis von Namen oder Adressen lassen sich die Stolpersteine gezielt finden. Auf der Internetseite kann man auch zuhause am PC auf einem größeren Bildschirm ortsunabhängig in der Datenbank recherchieren. Interaktiv nutzbare Filter machen es möglich, die mehr als 15.000 Biografien komfortabel zu durchsuchen.
Umfangreiches Unterrichtsmaterial für Lehrer:innen
Anfang 2020 hatte der WDR alle Städte und Gemeinden, in denen seit den 1990er Jahren die Messingtafeln in den Bürgersteigen verlegt worden sind, kontaktiert und um Kooperation gebeten. Gemeinsam mit Expert:innen aus mehr als 200 nordrhein-westfälischen Kommunen, Initiativen und Aktionsbündnissen wurden Archive durchforstet, historische Dokumente gesichtet, Berichte von Überlebenden ausgewertet und Quellen abgeglichen. Der WDR hat alle Informationen gesammelt und multimedial aufbereitet. Zudem gibt es umfangreiches Unterrichtsmaterial für Lehrkräfte, das zusammen mit den Kolleg: innen von „Planet Schule“ erarbeitet wurde.
Stolpersteine-Initiator und Künstler Gunter Demnig unterstützt das Projekt von Anfang an. Zum neuen WDR-Angebot sagt er: „Ich bin fasziniert von dem, was da entstanden ist. Besonders gelungen finde ich, dass ein pädagogisches Konzept mit eingebaut wurde mit der Absicht, sich an junge Menschen, an Schülerinnen und Schüler zu wenden. Das wird ein ganz anderer, neuer Geschichtsunterricht. Die App und die Website werden es leichter machen, in dieses Thema einzusteigen. Ich bin dem WDR sehr dankbar für das Engagement und für das gelungene Projekt.“
Projekt nur möglich durch Unterstützung vor Ort
Demnig ist es wichtig, auf die Hilfe vor Ort, etwa durch Einzelpersonen oder Initiativen, hinzuweisen. Ohne sie gäbe es die Stolpersteine in der Form nicht. Das gilt auch für das WDR-Projekt: Mit Expert:innen aus mehr als 200 nordrhein-westfälischen Kommunen, Initiativen und Aktionsbündnissen wurden Archive durchforstet, historische Dokumente gesichtet, Berichte von Überlebenden ausgewertet und Quellen abgeglichen. All das floss in eine Datenbank ein. Die ist seit Projektbeginn stark gewachsen – und wird das weiter tun. Denn der WDR wird Stolpersteine NRW auch künftig pflegen und erweitern.
Neben biografischen Texten, die teilweise auch als Audios zur Verfügung stehen, dienen historische Fotos, Mini-Hörspiele und Videos aus dem WDR-Archiv dazu, die Geschichte der Opfer, ihrer Wohnorte und ihrer Zeit so gut wie möglich nachvollziehbar zu machen. An ausgewählten Orten werden mit Hilfe von „Augmented Reality“ alte Aufnahmen in die heutige Umgebung eingebettet. Zudem lassen sich zum Gedenken virtuelle Kerzen an den Steinen entzünden. Das digitale WDR-Angebot enthält auch mehr als 200 gezeichnete Kurzgeschichten, die sich mit den Biografien der Menschen auseinandersetzen. Diese wurden in Zusammenarbeit mit jungen Illustrator:innen der Kunsthochschule Kassel produziert.
Großfamilie Schopper: Nachfahren wünschen Stolpersteine in Gelsenkirchen
Andreas Jordan | 13. Januar 2022 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Die weitverzweigte Großfamilie Schopper um Adolf und Patzura Schopper lebte zu großen Teilen in Gelsenkirchen. Als Angehörige der Minderheit deutscher Sinti geriet auch diese Familie alsbald nach der Machtübergabe an die Nazis ins Visier der Verfolgungsbehörden. Die einzelnen Mitglieder der Familie lebten mit ihren Frauen und Kindern vorwiegend in verschiedenen Wohnungen im Stadtgebiet und nur kurzeitig auf den Zwangs-Lagerplätzen der Stadtverwaltung. Bis auf wenige Überlebende bzw. Befreite wurden alle Familienmitglieder von den Nazis ermordet. Nun wünschen Nachfahren die Verlegung von Stolpersteinen in Gelsenkirchen.
Die familiären Beziehungen lassen sich anhand der Publikation "Mit einer Rückkehr nach hier ist nicht mehr zu rechnen" von Stefan Goch aus dem Jahre 1999 größtenteils abbilden, wobei noch ergänzende, aktuelle Recherchen unsererseits durchgeführt werden müssen. Das Ehepaar Adolf und Patzura Schopper hatte sechs Kinder: Josef (Jg. 1900), Maria (Jg. 1902), Anna (Jg. 1904), Mimi (Jg. 1908), Janosch (Jg. 1909), und Klara (Jg. 1918) - die wiederum verheiratet waren und teilweise selbst Kinder hatten.
Der Konzeption von Bildhauer Demnig folgend, müssen wir für die Famile Schopper insgesamt 20 Stolpersteine in Gelsenkirchen verlegt werden, da Familien im Gedenken symbolisch möglichst wieder zusammengeführt werden sollten. Ein Teil der Summe wird auf ausdrücklichen Wunsch von Nachfahren aufgebracht, jedoch müssen wir auch in diesem Fall um Spenden bzw. die Übernahme von Patenschaften bitten. Erfahrungsgemäß wird einige Zeit vergehen, bis ausreichend Patenschaften übernommen werden, so werden wir zunächst Stolpersteine für Adolf und Patzura Schopper, deren Sohn Janosch Schopper und dessen zweiter Frau Gertrud Goman und den gemeinsamen Sohn Harald Anton verlegen. Spendenkonto: Stolpersteine Gelsenkirchen, IBAN: DE 79 4205 0001 0132 0159 27, BIC: WELADED1GEK, Verwendungszweck: "Stolpersteine Familie Schopper". Auf Wunsch können wir entsprechende Spendenquittungen ausstellen.
Gelsenkirchen: Stolperschwelle für Opfer von Zwangssterilisation und Krankenmord
Andreas Jordan | 8. Januar 2022 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Die Januarausgabe des Stadtmagazins 'isso' ist erschienen, darin auch zwei Beiträge mit Bezug zu unserer Gedenk- und Erinnerungsarbeit. Die Artikel thematisieren die NS-Krankemorde (NS-Tarnbezeichnung T4, euphemistisch Euthanasie" genannte Mordaktion an Patienten in "Heil- und Pflegeanstalten"). Zum einen wird exemplarisch an Astrid "Iri" Steiner aus Gelsenkirchen erinnert. Für Astrid haben wir bereits einen Stolperstein an der Polsumerstraße verlegt. Der andere Beitrag thematisiert die Schaffung eines Erinnerungsortes an einem der Täterorte Gelsenkirchens in Form einer Stolperschwelle für Opfer von Zwangssterilisation und Krankenmord, verbunden mit einem Spendenaufruf.
'Leider muss ich Ihnen mitteilen, das ihre Tochter Astrid heute plötzlich verstorben ist'. Über das Schicksal des Mädchens Astrid "Iri" Steiner: Jetzt online lesen.
Eine Stolperschwelle für Opfer von Zwangssterilisation und Krankenmord - Schaffung eines Erinnerungsortes im öffentlichen Raum der Stadt Gelsenkirchen:
Jetzt online lesen.
Abb.: Das Plakat wirbt für die vom Rassenpolitischen Amt der NSDAP herausgegebenen Monatshefte 'Neues Volk'. Es zeigt einen sitzenden, offenbar bewegungsunfähigen körperbehinderten Mann und einen hinter ihm stehenden Pfleger. Die bildliche Aussage wird durch den Satz '60.000 RM kostet dieser Erbkranke die Volksgemeinschaft auf Lebenszeit' und den Hinweis 'Volksgenosse, das ist auch Dein Geld' verdeutlicht: Behinderte und unheilbar Kranke sollten aus der 'Volksgemeinschaft' - ähnlich den Juden, Sinti und Roma und anderen Gruppen - ausgegrenzt werden, ihr Tod sei eine Einsparung für jeden gesunden 'Volksgenossen'. (Deutsches Historisches Museum, Berlin Inv.-Nr.: 1988/1284)
Zum Tod von Rolf Abrahamsohn - Gerettet, aber nicht befreit
Andreas Jordan | 27. Dezember 2021 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Wir sind traurig, unser Freund Rolf Abrahamsohn ist am 23. Dezember 2021 gestorben. Baruch Dayan HaEmet - Möge die Erinnerung an ihn ein Segen sein.
Auch Rolf Abrahamsohn war unter den jüdischen Menschen, die am 27. Januar 1942 von Gelsenkirchen in das Ghetto Riga deportiert wurde. Mit viel Glück überlebte Rolf als einziger seiner Familie den Holocaust.
Eigentlich wollte Rolf Abrahamsohn nach seiner Befreiung nach Palästina gehen. Als er jedoch erfuhr, dass er unter Umständen von den Engländern auf Zypern interniert werden könnte, entschied er sich, doch in Deutschland zu bleiben: „Die Jahre im KZ und im Arbeitslager waren doch genug, nie wieder wollte ich eingesperrt sein, und so blieb ich in Marl“. Zunächst nach seiner Befreiung in Recklinghausen lebend, kehrte Rolf Abrahamsohn Ende der 1940er Jahre in das zuvor von den Nazis geraubte Elternhaus in Marl zurück. Dem tüchtigen Kaufmann gelang der Aufbau einer neuen Existenz, auch gründete er eine Familie. Jedoch bekam nur allzuoft zu spüren, dass es vielen Menschen lieber gewesen wäre, wenn die Nazis ihr Mordwerk vollendet hätten.
Er setzte sich im Nachkriegsdeutschland auf vielfältige Weise für das Judentum ein. So hat er maßgeblich am Aufbau der Jüdischen Gemeinde Bochum-Herne-Recklinghausen gearbeitet, dessen Vorsitzender er lange Zeit war. Abrahamsohn kümmerte sich auch um Waisenkinder in Recklinghausens Partnerstadt Akko in Israel. Zeit seines Lebens lag es Rolf Abrahmsohn besonders am Herzen, junge Menschen von dem Schrecklichen zu berichten, was er während der Nazidiktatur am eigenen Leib erleben musste - nur weil er Jude war. Mit seiner Befreiung gehörte Rolf Abrahamsohn zu den Geretteten, eine Befreiung war es für ihn nicht, denn die Gespenster seiner Vergangenheit ließen ihn niemals mehr los. Nacht für Nacht kehrten sie zurück, ließen ihn nicht schlafen. Seine Augen sind nun für immer geschlossen, möge Rolf Abrahamsohn endlich seine friedvolle Ruhe finden.
Stolpersteine: Wie geht es in Gelsenkirchen weiter?
Andreas Jordan | 7. Dezember 2021 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Gunter Demnigs Stolpersteine liegen in 27 Ländern, im Dezember 2021 wird der 90.000 Stein verlegt werden. Die Stolpersteine gelten als das größte dezentrale Mahnmal der Welt. Seit Beginn der 1990er Jahre arbeitet Demnig an dem Projekt "Stolpersteine", das die Erinnerung an die während der NS-Diktatur verfolgten, vertriebenen und zumeist ermordeten Juden, Sinti und Roma, politischen Widerständler, Homosexuellen, Zeugen Jehovas, Zwangsarbeitenden, Euthanasieopfer und den als vorgebliche "Asoziale" stigmatisierten lebendig erhalten soll.
Im Jahre 2009 konnten wir nach Überwindung von Vorbehalten seitens Politik und Stadtverwaltung erste Stolpersteine auch in Gelsenkirchen verlegen, mittlerweile haben wir 265 Stolpersteine sowie eine Stolperschwelle in das Gehwegpflaster unserer Stadt eingelassen.
Wenn auch durch die Coronapandemie unter erschwerten Bedingungen haben wir im Hintergrund die Recherchen für die nächste Verlegeaktion in Gelsenkirchen im Sommer 2022 abgeschlossen. Derzeit wird ein Termin mit dem Büro des Bildhauers Demnig vorbereitet. Damit ist jedoch keinesfalls das Ende der Stolperstein-Aktion in Gelsenkirchen erreicht, denn es gibt noch viele weitere Namen von ermordeten, zur Flucht gezwungenen bzw. befreiten Menschen. Eine weitere Stolperschwelle für Opfer von Zwangssterilisation und Krankenmord ist in Vorbereitung.
Das von Bildhauer Gunter Demnig ersonnene Projekt Stolpersteine bietet auch für Geschichtskurse oder Schulklassen eine ganz besondere Möglichkeit zur Auseinandersetzung mit der NS-Gewaltherrschaft und der Erinnerung an Opfer der nationalsozialistischer Verfolgung. Beteiligte Schülerinnen und Schüler finden einen ganz direkten Zugang zur lokalen NS-Geschichte. Die Stolpersteine werden über Patenschaften finanziert, jedem einzelnen NS-Opfer soll dabei ein eigener Stolperstein gewidmet werden. Die Paten der Stolpersteine setzen Zeichen - für sich und für andere, sie tragen gemeinsam die Vergangenheit in die Gegenwart und lassen uns alle unserer Verantwortung vor der Geschichte bewusst werden. Um das Projekt in Gelsenkirchen kontinuierlich fortzuführen, ist daher Mithilfe in Form finanzieller Unterstützung durch viele Menschen notwendig.
Die Projektgruppe Stolpersteine in Gelsenkirchen ist kein städtisches Projekt, sondern wird von zivilgesellschaftlichen Engagement einiger Gelsenkirchener BürgerInnen unter dem Dach des gemeinnützigen Vereins Gelsenzentrum e.V. umgesetzt. Die Finanzierung der Stolpersteine sowie die der Arbeit der Projektgruppe erfolgt nicht über Steuergelder, sondern ausschließlich durch Spenden. Wir bitten darum, unsere Arbeit weiterhin durch Spenden zu unterstützen.
Andreas Jordan | 6. Dezember 2021 | Stolpersteine Gelsenkirchen
2022 jährt sich die Deportation jüdischer Menschen von Gelsenkirchen nach Riga in Lettland, damals ein Teil des "Reichskommissariats Ostland", zum 80. Mal. Am 27. Januar 1942 rollte der erste "Sammeltransport" mit jüdischen Kindern, Frauen und Männern von Gelsenkirchen Richtung Osten. Bestimmungsort der Menschenfracht war das Ghetto Riga. Etwa 420 jüdische Menschen - davon rund 340 aus Gelsenkirchen - wurden zunächst in die zum temporären "Sammellager" umfunktionierten Ausstellungshalle am Wildenbruchplatz unter unmenschlichen Bedingungen eingepfercht. Auch Juden aus umliegenden Revierstädten wie bspw. Recklinghausen wurden eigens für die Deportation nach Gelsenkirchen transportiert.
Auf dem Weg nach Riga wurden weitere Menschen an verschiedenen Haltepunkten - u.a. in Dortmund und Hannover - in den Zug gezwungen. Der Deportationszug der Deutschen Reichsbahn erreichte schließlich mit etwa 1000 Menschen am 1. Februar 1942 Riga in Lettland. Der überwiegende Teil der aus Gelsenkirchen und anderen Städten am 27. Januar verschleppten Juden wurden in der Folgezeit im Ghetto Riga oder in Konzentrationslagern ermordet. Zu den wenigen, die oftmals als Einzige ihrer Familien den Holocaust überlebt haben, gehört auch der im damaligen Horst-Emscher geborene Herman Neudorf. An Herman und seine Familie erinnern die ersten in Gelsenkirchen verlegten Stolpersteine.
Der 96jährige Herman Neudorf, heute in den USA lebend, erinnert sich:
"Am 20. Dezember 1941 erhielten wir von der Gestapo, Staatspolizeistelle Gelsenkirchen, die erste Aufforderung: "Sie haben sich auf einen Transport zum Arbeitseinsatz nach dem Osten vorzubereiten. An Gepäck darf 10 Reichsmark mitgenommen werden. Die Fahrtkosten sind selbst zu entrichten" - natürlich einfache Fahrt, eine Rückfahrt war ja nicht vorgesehen. Vorbereitungen wurden von Seiten der zur Deportation bestimmten jüdischen Einwohnern Gelsenkirchens getroffen. Medikamente, Winterkleidung, warme Decken und so weiter beschafft. Am 20. Januar 1942 kommt wieder ein Schreiben: "Sie haben sich zum Transport nach dem Osten in den nächsten drei Tagen bereitzuhalten." Nun war es also soweit.
An einem Januarmorgen um 10 Uhr morgens wurden wir dann von der Gestapo aus dem sogenannten "Judenhaus" an der Markenstraße 28 in Horst abgeholt und in einen Autobus verfrachtet, mit je einem Koffer. In Handumdrehen sammelte sich um den Bus eine Anzahl Schulkinder. Auf ihre neugierige Frage, wohin wir fahren, antwortete der Gestapo-Chauffeur: "Zur Erholung in ein Sanatorium." Am Wildenbruchplatz schliefen wir eine Nacht wie Tiere in Stroh am Boden. Frühmorgens am folgenden Tag wurden wir verladen. Es war der 27. Januar 1942. Aber diese Mörder wussten zu gut, wohin unsere Fahrt führen sollte. Hoher Schnee mit ca. 25 Grad Kälte. Ein Personenzug stand am Güterbahnhof Gelsenkirchen für uns bereit. Ungeheizt. Am Ende des Zuges wurden drei Wagen mit unseren Koffern, Verpflegung und Küchengeräten angehängt. Dann fuhren wir ab. Türen natürlich abgeschlossen. Vor Hannover erfuhren wir, daß die letzten Wagen angeblich "heißgelaufen" waren und abgehängt werden mussten. Nun besaßen wir nur noch das, was wir am Leibe trugen. Es war eine lange Fahrt durch Ostpreußen, Litauen, Lettland. Aborte völlig verstopft und eingefroren, die Abteilwände mit einer Eisschicht überzogen.
Am 1. Februar erreichten wir unsere neue "Heimat", der Transport hielt am Bahnhof Skirotava im südlichen Teil der Stadt Riga. Auf uns warteten schon SS-Leute in dicken Pelzmänteln. Sie trieben uns mit Schlägen, Beschimpfungen und Gebrüll aus dem Zug. Die Glieder waren noch starr vor Kälte. Zum Teil mit LKW oder zu Fuß ging es ab. Ungefähr drei Stunden Marsch. Lettische Wachen hüteten uns sorgfältig und rissen einigen gute Kleidungsstücke vom Leibe herunter. Ein mit Stacheldraht umgebener Stadtteil tauchte auf. Personen mit gelben "Judensternen" konnte ich erkennen. Das war also das Rigaer Ghetto, das uns allen ewig in Erinnerung bleiben sollte. Oft wundert man sich selbst, dass man diese schrecklichen Jahre, die noch folgen sollten, überhaupt überleben konnte." Hermann Neudorf erlebte seine Befreiung im April 1945 auf einem Todesmarsch aus dem KZ Buchenwald in Richtung KZ Dachau. Lebensgeschichtlichen Erinnerungen von Herman Neudorf: Das war Riga...
Stolpersteine Bochum: Dr. Hans Buxbaum. Sozialdemokrat - Schwul - Jüdisch
Redaktion | 24. November 2021 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Wer in einer dieser drei Kategorien verortet wurde, war in der NS-Zeit unmittelbar ab Anfang 1933 in vielfältiger Weise bedroht. Von Betätigungsverbot, Berufsverbot über strafrechtliche Verfolgung bis zu völliger sozialer und gesellschaftlicher Ausgrenzung reichten die sich steigernden Willkür-Maßnahmen, die die Nationalsozialisten und ihre willigen Helfer praktizierten. Am Ende gingen viele Menschen in den Konzentrationslagern "durch den Kamin", wie es die Häftlinge selbst formulierten. Ermordung von SozialdemokratInnen, Homosexuellen und Juden und Jüdinnen war Teil des Staatshandelns. Weitere Gruppen seien benannt: Bibelforscher, Behinderte, Sinti und Roma, Frauen und Männer, die Abtreibungen befürworteten und den in Not befindlichen Frauen halfen, Obdachlose, Arbeitslose, Kommunisten, Wehr- und Kriegsdienstverweigerer, usw. Engagement, sei es sozial, sei es politisch, sei es durch besondere Leistungen, sei es als Mensch, zählten wenig bis gar nichts - in der NS-Zeit wurden Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu ideologischen und rassistisch formulierten Kategorien der Maßstab, ob ein Mensch Chancen auf Fortkommen, Leben und Unversehrheit hatte oder nicht. Worte wie "Volksfeinde, Volksschädlinge, Rasseschänder, usw." waren das sprachliche Abbild von Hitlers Gauland. Was mit Hetze und Jubel begann, endete ... Für Homosexuelle endete die Verfolgung nach NS-Gesetzen erst 1969! Dr. Hans Buxbaum, stellvertretender Theaterleiter, Regisseur und Oberspielleiter von 1926 bis 1933 am Bochumer Theater - und aufgrund der damaligen Theaterehe mit Duisburg auch am dortigen Theater wirkend - fiel in alle drei Ausgrenzungskategorien: Sozialdemokrat, schwul, jüdisch. Bis heute ist der engagierte Theatermann weitestgehend vergessen.
Erstmals wird nun an ihn erinnert. Wesentliche Teile des Lebens- und Verfolgungsweges von Hans Buxbaum und seines Widerstandes gegen Hitler-Deutschland lesen sie in der ersten, schriftlichen Publikation und Würdigung von Jürgen Wenke, die Hans Buxbaum in den Mittelpunkt stellt: "Was bleibt, wenn der Vorhang fällt?"
Zweiter Teil der Würdigung: Stolpersteinverlegung für Hans Buxbaum in Bochum
In Bochum, Theatervorplatz Schauspielhaus Bochum, Königsallee 15, 44789 Bochum am Dienstag, den 14. Dezember 2021, ca. 12 Uhr (aufgrund der Tatsache, dass der Künstler Gunter Demnig nur einen ungefähren Zeitplan der Verlegung benennen kann und manchmal schon vor der geplanten Zeit erscheint, wird vom Veranstalter ca. 11.30 Uhr als Zeitpunkt einer Teilnahme empfohlen) Die Veranstaltung findet im Freien statt, bitte halten Sie die notwendigen Schutzmaßnahmen wg. der Corona-Pandemie eigenverantwortlich ein. Rückmeldungen an Veranstalter und Initiator Jürgen Wenke per Email sind erwünscht.
Jahrestag: Gedenken und Erinnern an Opfer der Pogromwoche 1938
Andreas Jordan | 4. November 2021 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Auch in diesem Jahr finden an vielen Orten in Deutschland Veranstaltungen zum Gedenken an jüdische Bürgerinnen und Bürger statt, die in den Tagen und Nächten vom 7. bis 16. November 1938 Opfer rassistisch motivierter Gewalttaten gegen Leib, Leben und Eigentum wurden.
Der Höhepunkt der vom NS-Gewaltregime initiierten Ausschreitungen fand in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 statt, im kollektiven Gedächnis als so genannte "Reichskristallnacht" oder auch im neueren Sprachgebrauch als "Reichspogromnacht" verankert. Der Begriff "Reichspogromnacht" wiederum ist eine nach 1945 konstruierte Bezeichnung im Nazi-Jargon, und deshalb vollkommen unmöglich: Bei den Nazis wurde alles, was erhöht sein sollte, mit dem Zusatz "Reich" versehen. Pogromwoche bzw. Novemberpogrome sind daher die geeigneteren Bezeichnungen.
Der als gemeinnützig anerkannte Verein Gelsenzentrum e.V. ruft Bürgerinnen und Bürger zur Teilnahme an den Kundgebungen und Veranstaltungen demokratischer Organisation und Gruppierungen zur Erinnerung und zum Gedenken an Menschen auf, die 1938 Opfer der Novemberpogrome wurden. Jeder von uns ist gefordert, sich entschlossen gegen jede Form von Rassismus, Hetze, Gewalt, Ausgrenzung und Diskriminierung stellen. Die Pogromwoche im November 1938 erinnert gleichwohl auch an die NS-Verbrechen, die vorausgingen und an die, die diesem Datum folgten. Weitere Informationen bietet nachfolgend verlinkte Dokumentation auf der Internetpräsenz des Gelsenzentrum e.V.: Die Novemberpogrome 1938 in Gelsenkirchen
"Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart. Wer sich der Unmenschlichkeit nicht erinnern will, der wird wieder anfällig für neue Ansteckungsgefahren."
(Richard von Weizsäcker)
83. Jahrestag der so genannten "Polenaktion" - Auftakt zur Vernichtung
Andreas Jordan | 27. Oktober 2021 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Im Rahmen der im Nazi-Jargon als "Polenaktion" bezeichneten Abschiebeaktion zwischen dem 28. und 29. Oktober 1938 wurden rund 18.000 jüdische Menschen mit polnischer Staatsangehörigkeit, pejorativ als "Ostjuden" bezeichnet, aus dem "Dritten Reich" abgeschoben. Bei im ganzen Reichsgebiet durchgeführten Razzien brutal festgenommen, meist nur mit dem versehen, was die Betroffen auf dem Leib trugen, wurden die Menschen in Sammeltransporten mit der Reichsbahn an die polnischen Grenze verschleppt und dort ins Niemandsland getrieben. In Gelsenkirchen waren etwa 80 jüdische Menschen jeden Alters von der Massenabschiebung betroffen. Einigen wenigen wurde anschließend die Rückreise nach Gelsenkirchen gestattet - sie wurden dann gezwungen, vor Ort bei der "Arisierung" ihres Besitzes "mitzuwirken" - um danach erneut ausgewiesen bzw. später deportiert zu werden. Diese Abschiebeaktion, die im Zusammenspiel von Polizei, Reichsbahn, Finanzbehörden und Diplomatie ablief, stellte einen ersten Höhepunkt der physischen Verfolgung jüdischer Menschen dar und war der eigentliche Auftakt zur geplanten Vernichtung der europäischen Juden.
Es gab mehrere Zielorte für die Abschiebungstransporte – einer der Orte war die polnische Grenzstation Zbaszyn (Bentschen) in der Provinz Posen. Dorthin wurden auch die Betroffenen aus Gelsenkirchen verschleppt. Die meisten der Deportierten (in Zbaszyn zwischen 5.000 und 10.000) mussten monatelang in Ungewissheit ihrer Zukunft unter katastrophalen Bedingungen in Militär-Pferdeställen und einer ehemaligen Mühle hausen. Jüdische Hilfsorganisationen, wie z. B. das American Joint Distribution Com- mittee, unterstützten sie. Manchen der Internierten gestatteten die polnischen Behörden die Weiterreise ins Landesinnere Polens, sofern sie dort Verwandte hatten. Nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen am 1. September 1939 fielen diese Jüdinnen*Juden jedoch erneut unter deutsche Gewaltherrschaft. Die Mehrzahl der nach Polen ausgewiesenen Menschen wurde später in deutschen Vernichtungslagern ermordet.
Abb.: Ein letztes Lebenszeichen von Isidor Jeckel aus Gelsenkirchen ist dieser Brief, gerichtet an seinen ebenfalls aus Gelsenkirchen stammenden Freund Ernst Alexander. Dieser konnte bereits im Januar 1938 in die USA in Sicherheit gebracht werden. In diesem Brief aus Zbaszyn, datiert auf den 9. Januar 1939, beschreibt der damals 16jährige Isidor Jeckel auch die Verhaftung in Gelsenkirchen und die unmenschlichen Zustände im Internierungslager Zbaszyn. So schildert er, wie er und sein Vater von der Arbeitstelle in Gelsenkirchen direkt in das Gefängnis gebracht wurden, ohne sich vorher entsprechende Bekleidung aus ihrer Wohnung holen zu dürfen. Weiter schreibt er: "(...) wünsche ich alles Gute, vor allem wünsche ich keinem jüdischen Jungen in eine solche Lage zu kommen, wie ich es bin (...)."
Zu den Ausgewiesenen zählte auch die Familie Grynszpan aus Hannover, die ihrem Sohn Herschel in Paris daraufhin eine Nachricht schickte. Aus Protest gegen die "Polenaktion" verübte der 17-Jährige Herschel daraufhin am 7. November 1938 in der deutschen Botschaft in Paris ein Attentat auf den Diplomaten Ernst vom Rath, das die Nazis wiederum als Vorwand für die zwischen dem 7. und dem 16. November gegen jüdische Menschen gerichtete Gewalt- und Terrorwelle (Novemberpogrome) nutzten.
Spendenaufruf: Spenden sollen Verlegung von Stolpersteinen finanzieren
Redaktion | 9. Oktober 2021 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Neben vielen weiteren Stolpersteinen sollen auch für die jüdische Familie Grün in Gelsenkirchen Stolpersteine verlegt werden. Eine achte Klasse hat nun die Patenschaft und damit auch die Finanzierung für den Stolperstein übernommen, der Hella Grün gewidmet wird. Finanziert werden Stolpersteine durch private Spenden, ein Stein kostet derzeit einschließlich seiner Verlegung 120 Euro. Im Gedenken soll die Familie Grün symbolisch wieder zusammengeführt werden, dafür werden weitere Paten gesucht. Jeder Euro zählt - auch Teilbeträge sind willkommen.
Verzweifelt haben die Gelsenkirchener Eva und Leibisch Grün versucht, ihre Leben und das ihrer Kinder zu retten. Sie schickten Hella (Jg. 1930 und Herbert (Jg. 1931) nach der Pogromwoche vom November 1938 in das vermeintlich sichere Holland, in der Hoffnung die beiden von dort aus mit einem der Kindertransporte nach Übersee zu retten. Die Eltern blieben mit zwei weiteren Kindern, Esther (Jg.1929) und Samuel (Jg. 1937) in Gelsenkichen zurück, von hier werden die drei im 1942 nach Riga deportiert und ermordet. Ihre Kinder Hella und Herbert werden von der NS-Mordmaschinerie in Holland eingeholt, auch sie gehören nicht zu den Überlebenden. Hella wird in Sobibor, Herbert in Auschwitz ermordet.
Mit dem Projekt "Stolpersteine" erinnert der Bildhauer Gunter Demnig an Menschen, die zur Zeit des Nationalsozialismus verfolgt und ermordet wurden, unter den Bedingungen der Deportation oder der Haft zu Tode kamen oder unter dem Druck der damaligen Umstände Selbstmord begangen. Ein Stolperstein wird dort verlegt, wo diese Männer, Frauen und Kinder ihren letzten freiwillig gewählten Wohnort hatten. Zu den Opfergruppen zählen Juden, Sinti, Euthanasieopfer, Deserteure, Homosexuelle, Zwangsarbeiter, ethisch, religiös oder politisch Verfolgte.
In Gelsenkirchen wird die Verlegung von Stolpersteinen durch den als gemeinnützig anerkannten Verein Gelsenzentrum koordiniert, um die Archiv-Recherche und Erstellung einer Dokumentation kümmert sich die unter dem Dach des Gelsenzentrum e.V. organisierte Projektgruppe Stolpersteine Gelsenkirchen. Auf Wunsch können Spenden auch vertraulich behandelt werden. Bei Beträgen von 25 bis 200 Euro reicht der Einzahlungsbeleg zur Ausweisung als Spende für gemeinnützige Zwecke. Für Spenden von mehr als 200 Euro stellen wir eine Spendenquittung aus. Anfragen richten Sie bitte direkt an den Gelsenzentrum e.V., Mail: a.jordan(ätt)gelsenzentrum.de.
Weitere Infos zu Patenschaften und Spenden für das Projekt Stolpersteine in Gelsenkirchen sowie die IBAN unseres Spendenkontos finden sie → hier.
Stolpersteine Gelsenkirchen: Kunst im öffentlichen Raum
Andreas Jordan | 3. Oktober 2021 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Stolpersteine - Hier wohnte 1933-1945. Ein Kunstprojekt für Europa von Gunter Demnig.
Kunst im öffentlichen Raum, erlebbar rund um die Uhr, jeden Tag, ohne Einschränkung: Das Kunstprojekt "Stolpersteine für Europa" nimmt dabei alle NS-Verfolgtengruppen gleichermaßen in den Blick. Die Kulturwissenschaftlerin Dora Osborne über Gunter Demnigs Kunstprojekt gegen das Vergessen: "Die Verlegung der Stolpersteine ist ein Akt des Archivierens, des Archivierens der Geschichte, die zumeist nur noch aus Asche und Staub besteht. Die Biografien der Menschen wären niemals recherchiert worden und somit für immer verloren gewesen." So geschehen in Gelsenkirchen an bisher 265 Orten im öffentlichen Raum - 265 Lern- und Erinnerungsorte, verortet durch einen Stolperstein. Weitere werden folgen - jeder kann mit der Übernahme einer Patenschaft dazu beitragen, denn über diese Patenschaften werden die Stolpersteine finanziert.
80. Jahrestag des Massakers von Babyn Jar: Massenmord nach Dienstplan
Andreas Jordan | 29. September 2021 | Stolpersteine Gelsenkirchen
In dieser Phase des Eroberungs- und Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion und des Holocaust brachten die mobilen Mordkommandos die Menschen noch auf kurzer Distanz mit ihren Schusswaffen um, der fabrikmäßige Massenmord durch Gaseinsatz begann erst ab Anfang 1942. In Babyn Jar wurden auch nach den Massenerschießungen am 29. und 30. September 1941 weiterhin Zehntausende ermordet – Jüdinnen und Juden, Roma, Kriegsgefangene, Kranke, KommunistInnen und viele andere.
"Sie mussten sich bäuchlings auf die Leichen der Ermordeten legen und auf die Schüsse warten. Dann kam die nächste Gruppe. 36 Stunden lang kamen Menschen in Babyn Jar an und wurden ermordet." - Vor 80 Jahren erschoss ein deutsches "Sonderkommando 4a" der Einsatzgruppe C bestehend aus Waffen-SS, Wehrmacht und verschiedenen deutschen Polizeieinheiten sowie ukrainischer Hilfspolizei innerhalb von 36 Stunden in der Schlucht Babyn Jar (Kiew) fast 34.000 Männer, Frauen und Kinder. Akribisch gezählt - und in Berichten festgehalten. Ein Holocaust durch Kugeln, perfide getarnt als "Umsiedlungsaktion": ein monströs-effizient geplantes Massenverbrechen. 36 Stunden lang, rund 1000 Menschen pro Stunde, 17 in einer Minute. Im Schichtbetrieb wurden die hilflosen Opfer erschossen und anschließend im Massengrab verscharrt. Für das leibliche Wohl der Mörder in Form warmer Mahlzeiten sorgte ein eigens herbeigeschaffter Küchenwagen, laut durch die Schlucht schallende Opernmusik sollte die Todesschreie der Menschen übertönen.
Abb.: Nach ihren Mordaktionen feierten die selbsternannten Herrenmenschen und Rassekrieger sich und ihre "Erfolge" bei sogenannten "Kameradschaftsabenden" - Nach einem Massenmord gab es zumeist eine Extra-Ration Alkohol. Das Foto zeigt einen dieser "Kameradschaftsabende" des aktiv an Holocaust und Massenverbrechen von Babyn Jar beteiligten Bremer Polizeibataillons 303, aufgenommen vermutlich in Kiew 1941. (Foto: Staatsarchiv Bremen)
Zwar wurden in den Nürnberger Nachfolgeprozessen 1947/48 drei hochrangige NS-Verbrecher (Paul Blobel, Otto Rasch und Waldemar von Radetzky) wegen ihrer Verantwortung für das Massaker zur Rechenschaft gezogen; SS-Offizier Blobel wurde am 7. Juni 1951 hingerichtet. 1968 werden einige der Täter vom Landgericht Darmstadt wegen Beihilfe zum Mord verurteilt, andere freigesprochen. "Die Angeklagten saßen wie versteinert da, so als ob sie das nichts anginge", erinnert sich Peter Gehrisch, einer der Geschworenen. Trotzdem ist noch heute, 80 Jahre später, Babyn Jar nur wenigen ein Begriff.
Aus den Reihen der ebenfalls am Massaker beteiligten Wehrmacht jedoch wurde niemand juristisch belangt, wie die Historikerin Franziska Davies betont. Straffrei blieben auch die meisten Angehörigen der Sonderkommandos und der laut Davies mindestens 700 Männer in der Einsatzgruppe C, die an dem Massenmord beteiligt waren. Erst 1967/68 standen im sogenannten Callsen-Prozess in Darmstadt zehn Mitglieder des Sonderkommandos 4a vor Gericht. Drei Angeklagte wurden freigesprochen, die anderen wegen Beihilfe zum Mord – nicht aber wegen Mordes – zu Gefängnisstrafen zwischen 4 und 15 Jahren verurteilt. August Hafner, Obersturmführer und Kriminalkommissar im Sonderkommando 4a, der Mann, der die Erschießungen in Babyn Jar koordinierte, wurde 87 Jahre alt und starb 1999 in Deutschland eines natürlichen Todes. Heinrich Hannibal, SS-Brigadeführer und Generalmajor der Polizei sowie Kommandeur des Bremer Polizeibataillons 303 wurde nie für seine Kriegsverbrechen belangt, er starb 1971 im Alter von 81 Jahren ebenfalls eines natürlichen Todes.
Andreas Jordan | 15. September 2021 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Schon bald kommt die WDR-Stolperstein App für NRW. Mehr als 260 Datensätze inclusive entsprechender Fotos für die in Gelsenkirchen bisher verlegten Stolpersteine haben wir im Rahmen eines unterstützenden Faktenchecks in innerhalb der letzten drei Wochen in die WDR-Datenbank eingepflegt. Gestern haben wir noch einige neue Fotos für die App gemacht und natürlich zuvor die jeweiligen Stolpersteine geputzt.
Beim putzen der Stolpersteine ergeben sich oftmals interessante und durchweg positive Gespräche mit Passanten, das war auch gestern im Gelsenkirchener Stadtgebiet nicht anders. Besonders motivierend für unsere weitere Arbeit am Gedenk- und Kunstprojekt Stolpersteine sind dabei auch der große Zuspruch und die Zustimmung, die wir erhalten.
Bundestagsabgeordnete Ingrid Remmers ist tot
Andreas Jordan | 11. August 2021 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Die Bundestagsabgeordnete Ingrid Remmers (DIE LINKE) ist im Alter von 56 Jahren verstorben. Die Verkehrsexpertin saß für den nord- rhein-westfälischen Wahlkreis Gelsenkirchen im Bundestag, zuletzt übernahm die gelernte Bürokauffrau und Sozialwissenschaftlerin für ihre Fraktion die Funktion als verkehrspolitische Sprecherin. Trotz wiederholter Schicksalsschläge durch schwere Erkrankungen hat sie sich stets zurück ins Leben gekämpft. Sie hinterlässt eine Tochter und zwei Enkelkinder.
Die engagierte Ingrid Remmers, die eigentlich aus Ibbenbüren im Tecklenburger Land stammte, hatte ihr Wahlkreisbüro in Gelsenkirchen. Remmers war die bisher erste und einzige Gelsenkirchener Landes- bzw. Bundespolitikerin, die sich in den vergangenen zwölf Jahren der Umsetzung des Projektes Stolpersteine in Gelsenkirchen stets sehr zugewandt gezeigt hatte. Vor zwei Jahren übernahm sie die Patenschaft und damit die Finanzierung für einen der Stolpersteine an der Bochumer Straße in Ückendorf, die dort an Familie Buchthal erinnern. Sie ließ es sich seinerzeit nicht nehmen, trotz gesundheitlicher Einschränkungen an der Verlegung "ihrer" Stolpersteine teilzunehmen. In ihrem Redebeitrag betonte Remmers, wie wichtig der dauerhafte Einsatz für unsere Demokratie ist und weiter: "Diese Steine sollen Erinnerung und Mahnung zugleich sein. Lasst uns zukünftig Menschen in ihrem Anderssein akzeptieren, lasst uns widerstehen bei Menschenrechtsverletzungen. Nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus!“ unterstrich Ingrid Remmers ihr Engagement und bedankte sich persönlich bei Bildhauer Gunter Demnig für dessen ausdauernde und hervor-ragende Erinnerungsarbeit.
2. August: Europäischer Holocaust-Gedenktag für Sinti und Roma
Andreas Jordan | 2. August 2021 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Die Nacht vom 2. auf den 3. August 1944 wurde zum "entsetzlichen Höhepunkt" der rassistischen Verfolgung von Sinti und Roma. Die SS löst das so ganannte "Familienlager" im deutschen Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau auf und trieb 4300 schreiende und weinende Menschen in den Tod, ein Schreckenstag des Völkermords an Sinti und Roma, dem Porajmos. Seit 2015 wird am 2. August der rund 500.000 Sinti und Roma gedacht, die dem Völkermord in der NS-Zeit zum Opfer fielen. Zugleich sind diese unfassbaren Verbrechen eine Mahnung, sich gegen den noch heute verbreiteten Antiziganismus zu stellen.
Stolpersteine NRW – eine WDR-App gegen das Vergessen
Redaktion | 29. Juli 2021 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Sie sind Teil des größten dezentralen Denkmals der Welt: Die rund 14.000 Stolpersteine in Nordrhein-Westfalen stehen im Mittelpunkt einer neuen multimedialen WDR-App, die im Herbst veröffentlicht werden soll. Hinter jedem einzelnen dieser Steine des Künstlers Gunter Demnig verbirgt sich ein Leben, ein Schicksal. Mit Hilfe der App sollen der Lebens- und der Leidensweg dieser Menschen erlebbar gemacht werden.
Tom Buhrow, WDR-Intendant: „Wir dürfen die Menschen, an deren furchtbares Schicksal mit den Stolpersteinen erinnert wird, niemals vergessen. Das Projekt ist einzigartig. Es wird zum ersten Mal möglich sein, zu jedem in NRW verlegten Stolperstein Informationen abzurufen. Auch jüngere Menschen, vor allem Schüler:innen, werden sich mit der WDR-App auf ganz neue Weise mit den Opfern des Nationalsozialismus beschäftigen können.“
Über 150 nordrhein-westfälische Städte und Gemeinden unterstützen mittlerweile das Projekt. Anfang 2020 hatte der WDR zu allen NRW-Kommunen, in denen seit 1992 die Messingtafeln in den Bürgersteigen verlegt worden sind, Kontakt aufgenommen und zur Kooperation aufgerufen. Nun soll historisches Datenmaterial zu den Themen „Deportation und Verfolgung“ das Projekt ergänzen. Der WDR startete jetzt eine entsprechende Abfrage bei den Städten und Gemeinden.
Bereits seit Monaten stehen auch wir mit dem Projekt-Team des WDR im Dialog, denn auch in Gelsenkirchen verlegte Stolpersteine und die damit untrennbar verbundenen Lebens- und Leidenswege NS-verfolgter Gelsenkirchener Bürgerinnen und Bürger werden in das Angebot der WDR-App aufgenommen und entsprechend dargestellt.
Stefan Domke, Projektleiter im WDR: „Ohne das vielfältige Wissen und die jahrelange Vorrecherche der Expert:innen vor Ort, wäre ein Projekt dieser Größenordnung gar nicht möglich. Zusammen mit Initiativen, Archiven und Aktionsbündnissen sammeln wir erstmals das Material an einem Ort und bereiten es multimedial auf.“ Das Angebot soll ab Herbst unterschiedlich genutzt werden können: Mit der App sollen Smartphone-Nutzer:innen direkt zu jedem Stein, vor dem sie stehen, erfahren können, welche Geschichte sich dahinter verbirgt. Zum Anderen lassen sich Stolpersteine gezielt finden – auf der Basis von Namen oder Adressen. Außerdem soll es eine Internetseite mit einer umfangreichen Datenbank und verschiedenen Filtereinstellungen möglich machen, sich die Geschichte der Opfer des National- sozialismus auch am PC zu erschließen.
Neben biographischen Texten, die teilweise auch als Audio zur Verfügung stehen, dienen historische Fotos, Tonaufnahmen und Videos dazu, die Geschichten der Opfer, ihrer Wohnorte und ihrer Zeit, so gut wie möglich nachvollziehbar zu machen. An ausgewählten Orten werden, mit Hilfe von Augmented Reality, alte Aufnahmen in die heutige Umgebung eingebettet. Darüber hinaus enthält die WDR-App rund 200 gezeichnete Kurzgeschichten, die sich mit dem Schicksal der Menschen auseinandersetzen. Diese werden in Zusammenarbeit mit jungen Illustrator:innen der Kunsthochschule Kassel produziert. Dieses Teilprojekt wird durch eine Förderung der Stiftung EVZ (Erinnerung/Verantwortung/Zukunft) ermöglicht. Das WDR-Projekt „Stolpersteine NRW“ soll fortlaufend aktualisiert werden – in Zusammenarbeit mit den beteiligten Kommunen, Initiativen und Archiven vor Ort.
Esther Bejarano ist tot
Andreas Jordan | 10. Juli 2021 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Esther Bejarano ist im Alter von 96 Jahren in der Nacht auf Samstag (10. Juli 2021) in ihrer Wahlheimat Hamburg verstorben.
Unser Beileid geht an ihre Familie und ihre Freunde; möge das Gedenken an sie ein Segen für uns alle sein. Baruch Dayan Ha‘Emet.
„Ihr habt keine Schuld an dieser Zeit. Aber ihr macht euch schuldig, wenn ihr nichts über diese Zeit wissen wollt. Ihr müsst alles wissen, was damals geschah. Und warum es geschah.“ Esther Bejarano
Die Tochter eines jüdischen Kantors wurde 1943 in das deutsche Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert. "Ich bekam die Nummer 41948. Namen wurden abgeschafft, wir waren nur noch Nummern", schreibt Bejarano in ihrer Autobiografie 'Erinnerungen'. Darin schildert sie die Schrecken des Alltags im Lager und wie sie durch das Frauenorchester eine Chance zum Überleben bekam. Am schlimmsten war für sie, dass das Orchester auch spielen musste, wenn neue Transporte ankamen, die direkt für die Gaskammern bestimmt waren. "Als die Menchen in den Zügen an uns vorbeifuhren und die Musik hörten, dachten sie sicher, wo Musik spielt, kann es ja so schlimm nicht sein", erinnerte sie sich. Weil ihre Großmutter Christin war, wurde sie in das KZ Ravensbrück verlegt, überlebte dort einen so genannten Todesmarsch.
Nach der Befreiung widmete die engagierte Mahnerin ihr Leben der Musik, dem Kampf gegen den Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus. Sie sei am frühen Samstagmorgen ganz friedlich eingeschlafen und habe nicht gelitten, sagte ihre enge Freundin Helga Obens, Vorstandsmitglied vom internationalen Auschwitz-Komitee. Schon am Abend habe sich abgezeichnet, dass es ihre letzten Stunden sein werden. Sie sei im Israelitischen Krankenhaus von Freunden umgeben gewesen, in den frühen Morgenstunden verstummte ihre Stimme für immer.
Gemeinsam erinnern: Verlegung von Stolpersteinen in Gelsenkirchen
Redaktion | 20. Juni 2021 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Bildhauer Gunter Deming, der die Idee der Stolpersteine in den frühen 1990er Jahren erdachte, hat seither zumeist mit eigenen Händen annähernd 90.000 Stolpersteine in 26 Ländern Europas in das Pflaster von Gehwegen eingelassen. Demnigs Stolpersteine erinnern an alle Verfolgtengruppen gleichermaßen. Am Freitagvormittag traf der Bildhauer in Ückendorf ein, an Bord seines roten Lieferwagens hatte Demnig auch die 25 neuen Stolpersteine für Gelsenkirchen. Am Knappschaftshof begann die Verlegetour durch das Stadtgebiet.
Zahlreich waren LehrerInnen, SchülerInnen (Klasse 8.1) und Ehemalige der Gesamtschule Berger Feld vor Ort erschienen, als am Knappschaftshof die Stolpersteine für Familie Walter Levie ins Pflaster eingelassen wurden. Hatten sie doch die Patenschaften und damit die Finanzierung für dieser drei Erinnerungszeichen übernommen. Die Jugendlichen gestalteten mit ihren Beiträgen die kleine Zeremonie aktiv mit. Vor allem für die jüngere Generation, für die der Holocaust immer weiter wegrückt, bieten Stolpersteine einen besonderen Zugang zur Geschichte. Abstrakte Opferzahlen in Millionenhöhe werden auf diese Weise individualisiert und in einen lokalen, zeithistorischen Kontext gerückt. Mit der erschütternden und aufklärenden Wirkung der Stolpersteine kehren Namen zurück und gewaltsam genommene Lebenswelten werden sichtbar gemacht.
Arisierungsgewinnler in der eigenen Familie
In der Stadtchronik Gelsenkirchen ist unter dem 3. Februar 1939 nachzulesen: "Das frühere jüdische Kaufhaus Heymann & Co. in Rotthausen ist in die Hände des Kaufmanns Bernhard Strickling übergegangen." Mit dem Verlust ihrer Existenzgrundlage durch staatlich legitimierten Raub, von den Nazis "Arisierung" genannt, floh Familie Heymann im April 1939 in vermeintliche Sicherheit nach Holland. Ihr Lebensweg fand jedoch 1944 im Vernichtungslager Auschwitz ein gewaltsames Ende.
Jeder entscheidet für sich selbst, wie er mit der Geschichte und der Vergangenheit der eigenen Familie umgeht. Was wusste der Kaufmann Bernhard Strickling seinerzeit über den Verbleib des Vorbesitzers des Kaufhauses Heymann & Co., was hat er möglicherweise später erfahren? Vielleicht hat es ihn auch nicht interessiert, vielleicht wollte er es gar nicht wissen. In der Unternehmensgeschichte der Stricklings wurde der Zugewinn durch "Arisierung" bisher nicht thematisiert. Cornelia Schwander hingegen, eine Enkelin von Bernhard Strickling, hat sich entschieden - sie hat die Patenschaft für die drei Stolpersteine übernommen, die nun an Hermann, Erna und Ellen Margrit Heymann erinnern. Vom Niederrhein, aus Karlsruhe und Freiburg waren Cornelia Schwander und weitere Nachfahren Bernhard Stricklings eigens angereist, um an der Gedenkveranstaltung teilzunehmen und auf diese Weise den Ermordeten einen Teil ihrer menschlichen Würde zurückzugeben.
Auch die Familien Goldblum (Zeppelinallee 55) und Katzenstein (Schalker Strasse 174) wurden Opfer der vornehmlich gegen jüdische Menschen gerichten NS-Ausplünderungspolitik. Fast allen Familienmitgieder konnten jedoch ihr Leben durch Flucht aus Nazi-Deutschland retten und in den USA neue Leben beginnen. An der Bahnhofstrasse 62 und der Schalker Straße 160 erinnern zwei weitere Stolpersteine an den jeweiligen Geschäftssitz der Firma Gbr. Goldblum.
Leider verhinderte die Pandemie die Anreise von Nachfahren, so wurden diese 14 Stolpersteine im kleinen Kreis verlegt. Kantor Juri Zemski, der seit mehr als zehn Jahren die Stolpersteinverlegungen in Gelsenkirchen unterstützt und begleitet, trug auf virtuose Weise auch an diesem Verlegeort das Gebet El male rachamim vor.
Die Patenschaft für den Stolperstein, der nun im Lörenkamp in der Gelsenkirchener Altstadt an Elias Finger erinnert, hat der Förderverein des Schalker Gymnasiums übernommen. Leider war einer Lehrerin im Vorfeld ein bedauerlicher Fehler unterlaufen, sie hatte das Datum der Verlegung schulintern irrtümlich für Juli kommuniziert. Und so wurde auch dieser Stolperstein im kleinen Kreis verlegt.
Fred Alexander hatte der Verlegung der Stolpersteine, die nun an der Von-Der-Recke-Straße an ihn und seine Eltern erinnen, ausdrücklich zugestimmt. Die Spendengemeinschaft Flöz Dicke- bank, die zur Finanzierung dieser Stolpersteine beigetragen hat, war es sehr wichtig anwesend zu sein. In Wortbeiträgen aus diesem Kreis wurde deutlich gemacht, das grade angesichts der stetigen Zunahme von rassistischen und neonazistischen Äußerungen und Aktivitäten die Erinnerung an die unfassbaren NS-Verbrechen immens wichtig ist.
Weiße Rose gilt als Zeichen des Widerstandes
Die Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung St. Josef hat die Patenschaft für den Stolperstein übernommen, der nun im unteren Teil der Ahstraße an Vikar Heinrich König erinnert. Vielleicht wäre König nicht im KZ Dachau ermordet worden, wenn er eben nicht aus seinem nachbarschaftlichen Umfeld bei der Gelsenkirchener Gestapo denunziert worden wäre. König hatte sich in seiner Dienstwohnung an der Ahstraße gegenüber dem Wehrmachtssoldaten Waßmann junior über die "Vergasung Geisteskranker" und die "Affäre Heß" geäußert. Für Waßmann Grund genug, König bei der Gestapo zu denunzieren. Ein Pädagoge der Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung verteilte am Verlegeort weiße Rosen, die zum Abschluß der Verlegung von den Teilnehmenden als Geste des Gedenkens in eine Vase gestellt wurden.
"Uns ist es ein großes Anliegen, mit der Verlegung von Stolpersteinen in Gelsenkirchen nicht zuletzt auch ein Zeichen gegen jedwede Form von Rassismus und Menschenhass zu setzen und die Erinnerung an die Ausgrenzung, Verfolgung und Ermordung unschuldigen menschlichen Lebens wachzuhalten" so Andreas Jordan, Initiator der Stolpersteininitiative Gelsenkirchen, und weiter: "An dieser Stelle sei den Patinnen und Paten dieser Stolpersteine gedankt, die mit ihrem Engagement die kleinen Denkmale finanziert haben. Unser Dank geht auch an Gunter Demnig und sein Team, an alle Menschen, die am Projekt Stolpersteine Gelsenkirchen direkt oder indirekt mitarbeiten oder es unterstützen. Wir alle tragen gemeinsam die Botschaft des Holocaust-Überlebenden Max Mannheimer weiter, der einmal gesagt hat: "Ihr seid nicht verantwortlich für das, was geschah. Aber dass es nicht wieder geschieht, dafür schon."
Gelsenkirchen: Weitere Stolpersteine sollen an Opfer der NS-Diktatur erinnern
Andreas Jordan | 11. Juni 2021 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Seit 2009 verlegen wir gemeinsam mit Stolperstein-Erfinder Gunter Demnig die kleinen Denkmale in Gelsenkirchen als fester Bestandteil einer nachhaltigen Erinnerungs- und Gedenkkultur. Finanziert wird das Projekt über Spenden, getragen von zivilgesellschaftlichem Engagement. Gunter Demnigs Kunstprojekt "Stolpersteine für Europa" nimmt alle NS-Verfolgtengruppen gleichermaßen in den Blick.
Am 18. Juni diesen Jahres ist es soweit, dann kommt Bildhauer Gunter Demnig einmal mehr nach Gelsenkirchen. An diesem Tag werden Stolpersteine verlegt für die Familien Walter Levie (11.30, Knappschaftshof 1), Hermann Heymann (12.15, Karl-Meyer-Str. 29), Isidor Goldblum (13.00, Zeppelinallee 55), Siegmund Katzenstein (13.45, Schalker Str.174), Elias Finger (14.30, Im Lörenkamp 2), Dr. Hugo Alexander (15.00, Von-Der-Recke-Str. 15), Vikar Heinrich König (15.30, Husemannstr. Ecke Ahstr.). Zu beachten ist, das sich die angegebenen Uhrzeiten +/-20 Minuten verschieben können. Bei den einzelnen Verlegungen sind die gültigen Abstands- und Hygieneregeln einzuhalten.
Zwei weitere Stolpersteine wird Gunter Demnig an diesem Tag im Gepäck haben. Wir werden diese beiden kleinen Denkmale in Eigenregie zeitnah auf Wunsch von Angehörigen an der Bahnhofstrasse sowie an der Schalker Straße/- Ecke Grillostrass in das Gehwegpflaster einsetzen. Die jeweiligen Inschriften verweisen auf den staatlich legitimierten Raub im Fall Isidor Goldblum, auf die wirtschaftliche Ausplünderung jüdischer Menschen, im Nazi-Jargon 'Arisierung' genannt.
Gelsenkirchen-Resse: Erneuerter Stolperstein erinnert wieder an jüdischen Arzt
Andreas Jordan | 2. Juni 2021 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Heute morgen haben wir in Absprache mit Bildhauer Gunter Demnig den von einem privaten Winterdienst zerstörten Stolperstein für Dr. Samuel Hocs vor dem Emmaus-Hospiz an der Hedwigstrasse in Gelsenkirchen-Resse durch ein nagelneues Exemplar ersetzt. Metallplastiker und Bildhauer Michael Friedrichs-Friedländer aus Demnigs Team hatte trotz vollem Terminkalender schnellstmöglich für den Ersatzstein gesorgt.
Winterdienst: Stolperstein in Gelsenkirchen-Resse zerstört
Andreas Jordan | 29. März 2021 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Knapp zwei Jahre erinnerte ein Stolperstein an der Hedwigstrasse in Resse an den vom NS-Terrorregime vertriebenen jüdischen Arzt Dr. Samuel Hocs. Nun wurde die Zerstörung der Messingkappe des Erinnerungszeichen festgestellt - augenscheinlich nach dem jüngsten Wintereinbruch von einem falsch eingestellten Schild eines Schneeräumers.
Am Freitag Morgen nahmen wir nach einem Hinweis aus der Stadtgesellschaft den zerstörten Stolperstein vor Ort in Augenschein. Zunächst waren wir von einer gewaltsamen Beschädigung durch Vandalen ausgegangen, auch der Verdacht einer politisch motivierten Tat stand zu- nächst im Raum.
Doch auch im weiteren Bereich um das kleine Bodendenkmal wies das Gehwegpflaster gleichartige Schleifspuren und Beschädigungen auf. In der Summe deuteten die Spuren dann doch eher auf die unglückliche Handhabung eines Schneeräumgerätes hin. Die hinzugerufene Polizei sah nach telefonischer Rücksprache mit dem polizeilichen Staatsschutz aufgrund der Spurenlage ebenfalls keine Anhaltspunkte für einen mutwilligen Angriff auf das Gedenkprojekt Stolpersteine. Wir haben bereits einen Ersatzstein zur Verlegung an gleicher Stelle in Auftrag gegeben, wer jedoch letztlich die Kosten für den neuen Stolperstein übernehmen wird, ist derzeit noch unklar.
Die Zeit heilt nicht alle Wunden: Deportation der Gelsenkirchener Sinti und Roma
Andreas Jordan | 4. März 2021 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Vor 78 Jahren, am 9. März 1943, veranlasste die Gelsenkirchener Polizei auf der Basis des sogenannten "Auschwitz-Erlass" von Heinrich Himmler die Deportation der sich noch im kommunalen Zwangslager an der damaligen Reginenstrasse befindlichen Gelsenkirchener Sinti in das deutsche Vernichtungs- lager Auschwitz-Birkenau. Die allermeisten der verschleppten Menschen fielen dem unbedingten Vernichtungswillen der Nazi-Barbaren zum Opfer, nur einige wenige erlebten 1945 ihre Befreiung.
Abb.: Im Mai 1939 wurde von der Stadt Gelsenkirchen ein neuer Zwangslagerplatz für die Gelsenkirchener Sinti bestimmt: Das neu errichtete Internierungslager an der Reginenstraße, gelegen auf unbebautem Gelände zwischen den Deutschen Eisenwerken (Schalker Verein) und der Gelsenkirchener Bergwerk-AG (GBAG) mit ihrer Zeche und Kokerei Rheinelbe/Alma. Der "Umzug" fand am 9. Juni 1939 statt. Die Wohnwagen, dreißig an der Zahl, zogen vor den Augen der Stadtgesellschaft unter behördlicher Bewachung in einer Kolonne vom vorherigen Lagerplatz an der Cranger Straße (Höhe Freibad Grimberg) quer durch die Stadt zum Lagerplatz Reginenstraße in Gelsenkirchen-Hüllen (Luthenburg). (Repro: Adressbuch Gelsenkirchen, Ausgabe 1939)
Bis heute ist die Gesamtzahl der ermordeten Kinder, Frauen und Männer der Minderheit nicht exakt zu bestimmen; der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma geht von etwa 500 000 Menschen aus, die den Mordaktionen und den grausamen Bedingungen in den Konzentrations- und Vernichtungslagern zum Opfer fielen. Doch auch nach Kriegsende setzten sich die Diskriminierung und Kriminalisierung der Angehörigen dieser Minderheit in Behörden, Schulen und Institutionen fort. Die wenigen überlebenden Sinti und Roma erfuhren weder eine Anerkennung als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung noch erhielten sie Entschädigungsleistungen. Die Täter hingegen konnten in den allermeisten Fällen ihre Karrieren ungebrochen weiterführen - so auch in Gelsenkirchen. Auch heute noch sehen sich Sinti und Roma mit zahlreichen Vorurteilen konfrontiert.
Gedenken: Blick auf alle Opfergruppen
Redaktion | 28. Januar 2021 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Ein lesenswerter Artikel, hier in leicht gekürzter Fassung, der u.a. auch und grade in Gelsenkirchen wahrgenommen werden sollte.
Von Andreas Froese, zuerst erschienen in Volksstimme am 27. Januar 2021:
Gedenken aller Opfer der Nationalsozialisten
"[...] Wem ist der 27. Januar – der Jahrestag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz durch sowjetische Truppen – eigentlich gewidmet? Oft wird dieser Tag vorschnell zum „Holocaust-Gedenktag“ verkürzt. Doch diese Bezeichnung ist nur zum Teil zutreffend. Denn im Gegensatz zum internationalen „Holocaust Remembrance Day“, den die Vereinten Nationen seit 2005 alljährlich am 27. Januar begehen, ist dieser Gedenktag in Deutschland nicht nur den Ermordeten des Holocausts, sondern darüber hinaus allen Opfern und Verbrechenskomplexen des Nationalsozialismus gewidmet.
Dazu gehören neben Jüdinnen und Juden auch Sinti und Roma, Homosexuelle, Zeuginnen und Zeugen Jehovas, Kriegsgefangene, Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, Opfer von NS-Justizverbrechen, Widerstandskämpfende, Opfer des Vernichtungskrieges der deutschen Wehrmacht in den besetzten Ländern, Ermordete der nationalsozialistischen „Euthanasie“, Opfer von Todesmarsch- und Endphaseverbrechen und viele mehr.
Fragen nach Täterschaft und Mitläufertum
Mit diesem ganzheitlichen Blick auf alle Opfergruppen und Verbrechenskomplexe erweitern sich auch die räumliche und die zeitliche Dimension dieses Gedenktages. Im Mittelpunkt stehen nicht nur die nationalsozialistischen Verbrechen weit entfernt irgendwo „im Osten“, sondern eben auch die damaligen Gewalt-, Verfolgungs-, Entrechtungs- und Mordpraktiken an unseren Nachbarinnen und Nachbarn, vor unseren Haustüren, in unserer Stadt, vor aller Augen.
Menschenfeindliche Praktiken, die zudem nicht erst mit „Auschwitz“ begannen, sondern bereits unmittelbar nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten ab Januar 1933 zum Alltag in Deutschland gehörten.
Zudem sind mit den vielen Millionen Opfern des Nationalsozialismus auch Fragen nach Täterschaft und Mitläufertum, nach Profiteurinnen und Profiteuren, nach Mitbeteiligten und Unterstützenden der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen verbunden. Es waren eben nicht nur einige wenige Haupttäterinnen und -täter, sondern unzählige Menschen aus der gesamten damaligen Ausgrenzungsgesellschaft, deren bereitwilliges Mitwirken die Durchführung all dieser Verbrechen erst ermöglichte. Ein Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus, das die Fragen nach konkreten Täter- und Mittäterschaften ausklammert, würde sich auf ein ohnmächtiges und hilfloses Betrauern beschränken.
Mit Geschichte kritisch auseinandersetzen
Deshalb ist eine fundierte Auseinandersetzung mit der Funktionsweise der damaligen NS-Gesellschaft unverzichtbar. Kränze und Blumen zum Gedenken niederzulegen, ermöglicht es uns alleine noch nicht, ein solches kritisches Geschichtsbewusstsein zu entwickeln. Dafür müssen wir einen Schritt weitergehen, indem wir uns mit Fragen nach Gewalt im sozialen Alltag der damals propagierten „Volksgemeinschaft“ beschäftigen und dabei die Mechanismen von sozialer Ausgrenzung und Verfolgung, von Rassismus, Nationalismus, Antisemitismus und anderen Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit hinterfragen. Eine große Aufgabe, die sich nicht allein auf den 27. Januar beschränkt, sondern auch an allen übrigen Tagen im Jahr erfolgen sollte.
Schließlich ist unser Gedenken immer auf unsere eigene jeweilige Gegenwart bezogen. Welche Bedeutung messen wir heute den Ereignissen zwischen 1933 und 1945 bei? Und welche Formen des mangelnden Geschichtsbewusstseins oder des absichtlichen Geschichtsrevisionismus erleben wir heute?
Öffentliche Beispiele hierfür finden sich jede Menge: etwa Gedenksteine an öffentlichen Straßen und Plätzen, die geschändet werden. Etwa Menschen der sogenannten „Querdenkenden“, die sich auf Demonstrationen in anmaßender Weise in eine gemeinsame Reihe mit Verfolgten und Widerstandkämpfenden aus der NS-Zeit stellen, sich in einer „Corona-Diktatur“ wähnen und von einem „neuen Ermächtigungsgesetz“ sprechen. Etwa Menschen, die bis heute die Verbrechen der deutschen Wehrmacht verharmlosen, indem sie zum „Heldengedenken“ aufrufen. Oder etwa Menschen, die alliierte Luftangriffe während des Zweiten Weltkriegs beklagen, ohne aber den deutschen Angriffs- und Vernichtungskrieg als deren Vorgeschichte und Ursache zu benennen.
Über eine kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte den Blick schärfen für unsere eigene Gegenwart und Zukunft: In einem solchen umfassenden Sinne können wir uns trotz der coronabedingten Einschränkungen auch in diesem Jahr von zu Hause aus mit dem Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus auseinandersetzen. [...]"
Zahl der Lernorte wächst: Projekt Stolpersteine wird in Gelsenkirchen auch 2021 fortgesetzt
Andreas Jordan | 27. Januar 2021 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Seit 2009 verlegen wir in Gelsenkirchen gemeinsam mit Stolperstein-Erfinder Gunter Demnig seine Stolpersteine als festen Bestandteil einer nachhaltigen Erinnerungs- und Gedenkkultur - getragen von zivilgesellschaftlichem Engagement. Bildhauer Gunter Demnig sieht sein Stolperstein-Projekt als "Soziale Skulptur", in Anlehnung an den von Joseph Beuys geprägten Begriff der "sozialen Plastik".
Das Projekt Stolpersteine nimmt alle Verfolgtengruppen gleichermaßen in den Blick. Am Projekt beteiligen kann sich praktisch jeder. Das Geld für die Gedenksteine kommt allein durch Spenden zusammen. Wer für einen solchen Stolperstein die Patenschaft übernehmen will (pro Stein 120 Euro), bekommt die nötigen Informationen hier auf unserer Website. Wer das Projekt ohne Geld unterstützen möchte, kann sich beispielsweise daran beteiligen, die Stolpersteine zu reinigen und zu pflegen. Seit 2009 konnten wir so mit Unterstützung von Patinnen und Paten 238 Stolpersteine sowie eine Stolperschwelle (Sonderform der Stolpersteine) in Gelsenkirchen verlegen. Schon bald kommen in unserer Stadt weitere 25 der kleinen Erinnerungszeichen hinzu.
Das komplexe und abstrakte Wissen um die Geschichte des Holocaust wird in den Stolpersteinen sehr konkret. Die Erinnerung an jedes einzelne NS-Opfer wirkt so intensiv und nachhaltig, weil die Wahrnehmung an seinem früheren Lebensmittelpunkt – der Straße, dem Eingang zur Wohnung, dem sozialen Umfeld – erfolgt. Jeder einzelne Stolperstein steht dabei für ein Leben und symbolisiert einen Erinnerungsort, der gleichzeitig zum Lernort wird. Diese Orte bieten ohne Einschränkungen an jedem Tag rund um die Uhr die Möglichkeit, Gedenken sehr individuell und privat zum Ausdruck zu bringen. Frei verfügbare biografische Skizzen, die in unserem digitalen Lesesaal zum Abruf bereit stehen, ergänzen die Inschriften auf den jeweiligen Stolpersteinen.
Die extremste Form der Flucht
Andreas Jordan | 23. Januar 2021 | Stolpersteine Gelsenkirchen
"Denn die Steigerung des Leides ist keineswegs der Tod, sondern das einem lebenden Menschen
angetane Maß an Erniedrigung und Beleidigung."
(Zitat nach H.G. Adler*)
Die Gelsenkirchenerin Helene Lewek (Jg. 1881) wählte am 25. Januar 1942 in der zum "Judensammellager" umfunktionierten Ausstellungshalle am Wildenbruchplatz angesichts der ihr bevorstehenden Deportation die Flucht in den Tod. Bereits kurz zuvor gab es weitere Suizide innerhalb der jüdischen Gemeinschaft in unserer Stadt. Mit dem Erhalt der schriftlichen Ankündigungen der "Evakuierung in den Osten" entschieden sich weitere Gelsenkirchenerinnen und Gelsenkirchener, darunter Ida Reifenberg (Jg. 1878) und Hulda Silberberg (Jg. 1883) diesen Weg zu gehen. Entrechtung, Resignation, Angst, Verzweiflung und Einsamkeit hatten die Menschen zu diesem letzten, selbstbestimmten Schritt gebracht. Um sich dem physischen und psychischen Terror der NS-Machthaber, der gesellschaftlichen und der persönlichen Ächtung in Deutschland zu entziehen, gaben sie sich selbst den Tod. Wenigstens die Entscheidung über ihren Tod wollten diese Menschen nicht den Nazis überlassen. Nur auf diesem Wege wussten sie sich ihrer Würde bewahrt.
An Helene Lewek erinnert ein Stolperstein an ihrem letzten Wohnort, ein weiterer an ihrem Todesort, dem temporären "Judensammellager" in der Ausstellungshalle am Wildenbruchplatz. Heute steht dort die Polizeiwache Gelsenkirchen-Süd und ein Gebäude von Straßen.NRW. An der Bochumer Straße 45, ihrem letzten Wohnort, erinnert ein Stolperstein an Hulda Silberberg. Auch an Ida Reifenberg soll ein Stolperstein erinnern, hier wird zur Finanzierung noch ein Stolperstein-Pate gesucht.
*Zitat von H.G. Adler in: Theresienstadt 1941-1945. Das Antlitz einer Zwangsgemeinschaft. Tübingen 1955, 2. Aufl. 1960, S. 109)
Homosexuelle Nazi-Opfer: Ihr Leid blieb bisher weitgehend unbeachtet
Andreas Jordan | 22. Januar 2021 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Dem Holocaust der deutschen Nazis fielen vor allem Menschen jüdischen Glaubens zum Opfer. Unter den Millionen Verfolgten, Gequälten und Ermordeten waren neben Sinti und Roma, Slawen, Zeugen Jehovas oder politischen Regimegegner auch viele Homosexuelle. Auch die zeitgeschichtliche Forschung hat sich über Jahrzehnte hinweg nicht mit Schwulen, Lesben oder anderen aus sexuellen Gründen im Nationalsozialismus bedrängten Menschen befasst.
Der Bochumer Diplom-Psychologe und Mitbegründer der Schwulenberatung Rosa Strippe, Jürgen Wenke, hat es sich zur Aufgabe gemacht, in den Archiven nach Dokumenten zur Verfolgung bzw. Ermordung schwuler Männer zu recherchieren und diese aufzuarbeiten. Die Ergebnisse seiner Forschungsarbeit veröffentlicht er anlässlich von daraus resultierenden Stolpersteinverlegungen. In gedeihlicher, kontinuierlicher Zusammenarbeit haben wir so in den letzten Jahren gemeinsam vier Stolpersteine für homosexuelle Männer in Gelsenkirchen realisieren können, Bildhauer Gunter Demnig verlegte in unserer Stadt Stolpersteine für Arthur Hermann, Ernst Papies, Lothar Keiner und Josef Wesener.
(Foto: cc Ingolf / flickr)
Mehr als beschämend, dass Nachkriegsdeutschland nahtlos an die Nazi-Verfolgung von sexuellen Minderheiten anknüpfte. Homosexuelle sind noch lange nach Kriegsende weiter diskriminiert, isoliert und auch strafrechtlich verfolgt worden. Erst am 11. Juni 1994 verschwand der §175, der sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte und viele Leben zerstörte, endgültig aus dem deutschen Strafrecht. Rehabilitation und Entschädigung haben viele der Opfer nicht mehr erlebt. Schwulenfeindlichkeit und Vorurteile gegen Homosexuelle sind weitverbreitet. Wir mögen zwar vereinzelt homosexuelle Minister und Bürgermeister haben, aber in weiten Teilen der Gesellschaft sieht das noch völlig anders aus. Eines der bekanntesten Beispiele ist der Fußball, dort sind homophobe und sexistische Diskriminierungen fest verankert - bei vielen Zuschauern, Spielern und Funktionären gleichermaßen.
Andreas Jordan | 15. Januar 2021 | Stolpersteine Gelsenkirchen
Der 27. Januar ist für Gelsenkirchen ein Gedenktag mit doppelter Bedeutung. An diesem Tag im Jahr 1942 verließ ein Deportationszug Gelsenkirchen Richtung Riga in Lettland, drei Jahre später wurde am 27. Januar das deutsche Vernichtungslager Auschwitz von der Roten Armee befreit.
Auch in Gelsenkirchen wird anlässlich dieses Tages an die Verbrechen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft erinnert und aller Opfer des Terrorregimes gedacht. Die Erinnerung an die Deportation Gelsenkirchener Bürgerinnen und Bürger, die Befreiung von Auschwitz und alle Opfer des deutschen Faschismus halten wir lebendig, auch und grade in der Coronapandemie. Wir müssen heute mehr denn je aufzeigen, warum das Gedenken an historisches Unrecht eine Relevanz für unser Zusammenleben hier und heute hat, ob das vor dem Hintergrund der aktuellen pandemiebedingten Einschränkungen in Präsenzveranstaltungen, individuellem Gedenken oder digital geschieht, ist dabei eher zweitrangig.
Abb.: Deportation jüdischer Deutscher nach Riga. Das Foto wurde 1941 auf dem Güterbahnhof Bielefeld aufgenommen. (Foto: Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 300,11/Kriegschronik der Stadt Bielefeld, Nr. 4., S. 332)
Die auf dem Foto gezeigte Szenerie ist vergleichbar mit dem Gelsenkirchener Deportationstransport vom 27. Januar 1942. Die im temporären "Judensammellager" am Wildenbruchplatz einige Tage zuvor eingepferchten Menschen mussten am nahegelegenen Güterbahnhof in einen Personenzug der Reichsbahn einsteigen, der sie nach Riga transportieren sollte. Deutsche Juden wurden nicht mit Güterzügen aus ihren Heimatorten, sondern durchweg mit Personenzügen deportiert — nicht zuletzt, um die Opfer zu täuschen und ihnen einen "Arbeitseinsatz im Osten" vorzugaukeln. Die Fahrtkosten hatten die zur Deportation bestimmten Menschen selbst zu entrichten. Einfache Fahrt, 3. Klasse. Eine Rückfahrt war nicht vorgesehen. - 27. Januar 1942 - ein Deportationszug mit Ziel Riga verlässt Gelsenkirchen: Lebens- geschichtliche Erinnerungen von Zeitzeugen
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Andreas Jordan, Projektgruppe STOLPERSTEINE Gelsenkirchen.