STOLPERSTEINE GELSENKIRCHEN

Ausgrenzung erinnern


Stolpersteine Gelsenkirchen

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HIER ARBEITETE

Verlegeort DR. ALFRED ALSBERG

JG. 1883
KAUFHAUS ALSBERG
1933 'ARISIERT'
DEPORTATION 1941
ŁODZ / LITZMANNSTADT
ERMORDET 14.11.1943

Verlegt 11. Juni 2022, Ort: Gelsenkirchen, Bahnhofstraße 55-65 (Stolpersteinpatin: Annette Fiering)
(Hochstraße 2-4 in Buer wird zu einem späteren Zeitpunkt realisiert, für diesen Stolperstein kann noch eine Patenschaft übernommen werden.)

Der am 23. Juli 1883 in Hagen/Westfalen geborene Alfred Alsberg war seit 1919 mit der aus Witten stammenden Martha Eichengrün verheiratet. Martha Eichengrün, geboren am 19. Februar 1895 in Witten/Westfalen war eines von sechs Kindern des Ehepaars Salomon Eichengrün und dessen Frau Bertha. Als Salomon Eichengrün 1924 starb, führte Bertha die Teilhaberschaft ihres Mannes am Warenhaus Gebrüder Alsberg in Witten fort, bis Sohn Max 1928 diese Aufgabe übernahm. Einer von Marthas Brüdern, der Zahnarzt Dr. Paul Eichengrün, ließ sich 1924 als Zahnarzt in Gelsenkirchen nieder.

Hochzeit von Alfred Alsberg und Martha Eichengrün, 1919

Abb. 1: Hochzeit von Alfred Alsberg und Martha Eichengrün, 1919

Martha und Alfred Alsberg in der Sommerfrische, 20er Jahre

Abb. 2: Martha und Alfred Alsberg in der Sommerfrische, 20er Jahre

Aufsichtsratssitzung der Alsberg AG

Abb. 3: Aufsichtsratsitzung Alsberg AG, vor 1933, von links n. rechts: Franz Goldmann, Max Simon, Moritz Klein, Alfred Alsberg, Karl Fried, Siegfried Alsberg, Otto Fried und Alfred Rosenstein.

Am 24. Juni 1909 eröffnete das Kaufhaus Alsberg an der Gelsenkirchener Bahnhofstrasse

Abb.4: Kaufhaus Gebr. Alsberg an der Gelsenkirchener Bahnhofstrasse, um 1920

Durch die Wirtschaftsverbrechen der "Gleichschaltung" bzw. "Arisierung" unter dem NS-Gewaltregime wurden jüdischen Eigentümer massiv zum Verkauf genötigt, dabei verschwanden auch Namen wie Alsberg aus der Öffentlichkeit. Auch die beiden Gelsenkirchener Warenhäuser der Alsberg AG wurden von neuen "arischen" Betreibern "übernommen". Diese "Enteignungen" waren letztlich integraler Bestandteil des Vernichtungsprozesses in seiner Gesamtheit und standen mit diesem im direkten Zusammenhang.

Am 24. Juni 1909 eröffnete das Kaufhaus Alsberg an der Gelsenkirchener Bahnhofstrasse

Abb.: Die Gelsenkirchener Zeitung berichtete am 14. Juli 1933 über den "Übergang" des von jüdischen Inhabern geleiteten Kaufhauses Alsberg in "arische Hände".

Bei bis 1935/36 vollzogenen frühen "Arisierungen" von Unternehmen jüdischer Inhaber kam vor allem lokalen Entscheidungsträgern oftmals ein größeres Gewicht zu als den zentralen Anweisungen aus Berlin. Mit Blick auf die noch 1933 in Gelsenkirchen vorhandenen fast 200 Geschäfte mit jüdischem Inhaber lässt sich feststellen, das die Zahl der Nutznießer und Profiteure an dieser Form der "Eigentumsübertragung in arische Hände" die bisherigen Annahmen um ein Vielfaches übersteigen.

Zwei Stolpersteine sollen schon bald in Gelsenkirchen an den ehemaligen Niederlassungsstandorten der Alsberg AG in der Gelsenkirchener Altstadt und auch im Stadtteil Buer an das Wirken und die staatlich legitimierte Enteignung von Dr. jur. Alsberg erinnern.

Neubau der Alsberg AG, Gelsenkirchen, um 1927

Abb.5: Neubau der Alsberg AG, Gelsenkirchen, um 1927

Die Gebr. Alsberg AG war ein Handelsunternehmen, ursprünglich gegründet von Siegfried Alsberg und dessen Sohn Dr. jur. Alfred Alsberg aus Köln. Siegfried Alsberg starb bereits Mitte der 1930er Jahre in Köln. Unter dem Namen Gebr. Alsberg AG existierten in den 1920er Jahren u.a. auch zwei Warenhäuser in Gelsenkirchen. Diese gehörten wie weitere, auch kleinere Kaufhäuser und Geschäfte zum Alsberg-Warenhauskonzern, der sich mit 60 angeschlossenen Häusern (Stand 1927) über ganz Deutschland verteilte.

Die meisten der großen Kaufhäuser mit jüdischen Inhabern wurden in Deutschland nach der Machtübergabe 1933 "arisiert" bzw. "gleichgeschaltet". Aus dem Kaufhaus Alsberg in Gelsenkirchen-Altstadt wird das "Westfalen-Kaufhaus" (Weka) neuer "arischer" Eigentümer ist nun die Rings AG, auch das Kaufhaus Alsberg in Buer wird zur "Rings AG". Martin Rings war zu der Zeit Direktor der Commerzbank in Buer, tatkräftige Helfer bei diesen "Arisierungen" sind u.a. auch die Deutsche Arbeitsfront (DAF) und die NSDAP. Doch bereits zwei Jahre später steuert der unerfahrene und im Handel ungelernte Bankfachmann Rings im August 1935 in den Konkurs. Die Deutsche Zentralbodenkreditanstalt Berlin betrieb daraufhin die Zwangsversteigerung. Das buersche Kaufhaus der Rings AG, vormals Alsberg, wurde von Josef Weiser 1938 im Zuge der Zwangsversteigerung "erworben" und unter seinem Namen weiterbetrieben.

Nach "offizieller" Lesart wurde das Kaufhaus Alsberg in der Gelsenkirchener Altstadt am 13. Juli 1933 angeblich "nur umbenannt". Die Nationalzeitung hingegen feierte dann ein halbes Jahr später den "Erfolg der Kreisleitung der NSDAP bei der Umstellung des Westfalenkaufhauses im nationalsozialistischem Sinne" und die "restlose Ausmerzung des jüdischen Ramschbasar-Charakters". Die NSDAP stand "in scharfer Kampfstellung zu dem ausschließlich jüdischen Warenhausgroßkapitalismus, weil sie in ihm mit Recht ein Mittel des Judentums zur Verprolisierung des Mittelstandes, der Zerstörung der Geschäftsmoral und der Ausbeutung weiterer Volksschichten durch Verkauf von minderwertigen Schundartikeln erblickte".

Am 18. Oktober 1941 schrieb Dr. jur. Alfred Alsberg einen Abschiedsbrief an einem ihm freundschaftlich verbundenen Herrn Wendt:

Lieber Herr Wendt!

In Ihrem Landhaus in Königsforst werden Sie wahrscheinlich nichts davon gehört haben, das eine größere Anzahl unserer Glaubensgenossen in ein Lager nach Litzmannstadt kommen, wo sie in den Fabriken beschäftigt werden sollen. Meine Frau und ich gehören auch zu den Leidtragenden. Meine alte Mutter ist glücklicherweise nicht betroffen; sie und meine Schwester, Frau Stiel, werden aller Vorraussicht nach hier bleiben. Unser Transport sammelt sich schon am Dienstag in aller Frühe. Bei der Kürze der Zeit ist es uns natürlich nicht nmöglich, uns persönlich zu verabschieden. Wir möchten jedoch diese Stadt nicht verlassen, ohne Ihnen und Ihrer Gattin ein herzliches Lebewohl zu sagen.

Mit freudlichen Grüßen bin ich
Ihr Alfred Alsberg

Aus dem Brief geht nicht hervor, ob Alfred Alsberg die Bedeutung der Deportation in ihrer letzen, tödlichen Konsequenz erfasst hatte, denn die Deportationen waren in der Regel verscheiernd als "Umzugs- bzw. Umsiedlungsaktionen" getarnt. Alfred Alsberg und seine Frau hatten rechtzeitig dafür gesorgt, dass ihre Kinder Fritz, Jg. 1920 (Später Fred), Heinz, Jg. 1921 (Später Henry) und Eva, Jg. 1924 die Flucht mittels Kindertransporten nach England gelang. Mit der Deportation in das Ghetto Łódź (1940 wurde Łódź von den deutschen Besatzern in "Litzmannstadt" umbenannt) erlosch auch für Dr. jur. Alfred Alsberg und seine Frau Martha die bürgerliche Existenz.

Gedenkblatt in Yad Vashem für Alfred Alsberg

Gedenkblatt in Yad Vashem für Emma Alsberg

Gedenkblatt in Yad Vashem für Martha Alsberg

Abb.5-7: Gedenkblätter in Yad Vashem für Dr. jur. Alfred Alsberg, seine Frau Martha, geborene Eichengrün sowie für seine Mutter Emma Alsberg, geborene Hess. Sein Vater Siegfried starb bereits 1935 in Köln. (Zum Vergrößern anklicken)

Alfred Alsberg wurde am 22. Oktober 1941 mit seiner Ehefrau von Köln in das Ghetto Litzmannstadt deportiert (Die polnische Stadt Lódz war im April 1940 von den deutschen Besatzern in Litzmannstadt umbenannt worden) und 14. November 1943 dort ermordet, Martha Alsberg wurde 1942 im Vernichtungslager Kulmhof (Chelmno) vergast. Entgegen der Annahme Alfred Alsbergs, seine Mutter und seine Schwester seien nicht betroffen, lässt sich heute feststellen: Emma Alsberg wurde am 1. Dezember 1942 im Ghetto Thersienstadt ermordet. Martha, verheiratete Stiel wurde am 15. Juni 1942 in das Ghetto Theresienstadt und mit einem Folgetransport am 9. Oktober 1944 nach Auschwitz verschleppt, sie wurde nach 1945 für tot erklärt.

* * *

Das so genannte "Weka-Karree" steht seit 1986 auf der Denkmalliste der Stadt Gelsenkirchen: (Teil A - Baudenkmäler), Bahnhofstr. 55-65/Weberstr. 27, Objektbezeichnung: ehem. Kaufhaus "WEKA", Altstadt, Bezirk 1, Inv.Nr. 12, DI.-Nr. A63, Geschäftshaus, eingetragen: 02.12.1986, erbaut: 1908/1926. - Die Bezeichnung "Weka" (Westfalen-Kaufhaus) stammt aus der NS-Zeit, der Name der jüdischen Alteigentümer ist in der Denkmalliste nicht festgehalten.

Kellerfund

Im Kaufhaus Alsberg hatte die Alsberg AG eigens für die jüdischen Angestellten einen Betraum einrichten lassen. Der Betraum wurde nach erfolgter "Arisierung" des Kaufhauses geschlossen. In diesem Betraum sollen die die nachstehend abgebildeten zwei Messinglampen gehangen haben, die vergessen in einem Kellerraum des Gebäudekomplexes die nachfolgenden Jahrzehnte überdauerten. Als der Weka-Gebäudekomplex Anfang der 2000er Jahre umgebaut wurde, kaufte ein Privatmann Materialien auf – darunter befanden sich auch die alten Messinglampen.

Diese alten Messinglampen sind die letzten Zeugen des jüdischen Betraums im Kaufhaus der Gebr. Alsberg AG in der Gelsenkirchener Innenstadt.

Abb.8: Diese alten Messinglampen sind die letzten Zeugen des jüdischen Betraums im Kaufhaus der Gebr. Alsberg AG in der Gelsenkirchener Innenstadt. Mehr zufällig gerieten sie vor rund zwanzig Jahren als Kellerfund zunächst in Privatbesitz

Im Zuge des Neubaus der Gelsenkirchener Synagoge übergab dieser Privatmann die Lampen der jüdischen Gemeinde und kam damit auch einem Wunsch seiner verstorbenen Mutter nach. Die knapp 100 Jahre alten Messinglampen waren schwarz angelaufen und wurden Schülerinnen und Schülern des Berufskollegs für Technik und Gestaltung gereinigt und poliert, unter Anleitung wurde die Elektrik erneuert. Integriert im Synagogenneubau sind die Lampen heute im Flur vor dem Betsaal installiert.

Biografische Zusammenstellung: Andreas Jordan, März 2019. Editiert Mai 2022

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Familie Alfred Alsberg hatte ihren Lebensmittelpunkt in Köln. Eva Alsberg (verheirate Walker) besuchte bis zu Ihrer Flucht die Königin-Luise-Schule in Köln, auf der Schulhomepage wird ihre Geschichte und die ihrer gesamten Familie von Lennart Meyer ausführlich dargestellt. In der Einführung schreibt Lennart Meyer: "Während meiner Recherchen hat mich Evas Familie immer mehr beeindruckt, genauso wie ihre Lebensgeschichte nach dem Krieg und die ihrer Brüder. Die Überlebenden der Familie haben für ihr neues Leben gekämpft und ihre Vergangenheit so gut wie möglich hinter sich gelassen. Zwar existieren keine verlässlichen Quellen über Emotionen oder Traumata einzelner Familienmitglieder oder deren Reaktionen auf die wachsende Diskriminierung nach 1933. Auf Mutmaßungen darüber möchte ich also grundsätzlich verzichten und darauf hinweisen, dass Emotionen, Traumata und Horror über die Situation natürlich auch in dieser Familie vorhanden gewesen sein müssen, auch wenn ich sie in dieser Arbeit nicht direkt ansprechen werde." Link zur Dokumentation: Eva Alsberg (verh. Walker)

Quellen:
Vgl. auch: Rainer Küster: Bochumer Häuser - Geschichten von Häusern und Menschen, Oberhausen, 2006.
Kaufhaus Alsberg in Gelsenkirchen, Gelsenzentrum e.V.
Abbildungen:
1: Hochzeit von Alfred Alsberg und Martha Eichengrün, 1919. (NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln, N 2368-5)
2: Martha und Alfred Alsberg in der Sommerfrische, 20er Jahre. (NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln, N 2368-2)
3: Leo Baeck Institute, New York
4: Monographien deutscher Städte -Band XX: Gelsenkirchen, 1927
5-7 Yad Vashem, Israel
8: Gelsenzentrum e.V., Gelsenkirchen

Stolperstein für Dr. Alfred Alsberg, verlegt am 11. Juni 2022

Stolperstein für Dr. Alfre Alsberg in Gelsenkirchen


Projektgruppe STOLPERSTEINE Gelsenkirchen. Juni 2022

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