Der Kaufmann Hugo Broch, geboren am am 8. April 1872 in Rajec (dt. Raitz)/Boskovice/Mähren war mit Theresa, geborene Lowbeer, geboren am 7. Mai 1870 in Beneschau/Böhmen verheiratet. Das Ehepaar Broch hatte zwei in Gelsenkirchen geborene Kinder, den am 5. November 1904 geborenen Josef und die am 20. April 1906 geborene Olga. [1] Ihr weiterer Lebensweg ist unbekannt. Vater und Sohn Broch waren in der Jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen aktiv, auf der Wahlliste vom 16. November 1930 zur Gründung der liberalen jüdischen Synagogengemeinde finden sich ihre Namen.[2] Hugo Broch betrieb ein Möbelgeschäft an der Bahnhofstrasse Nr. 40a.
Unmittelbar nach der Machtübergabe im Januar 1933 begannen die die neuen Machthaber, die jüdische Bevölkerung zu tyrannisieren, um sie u.a. zur Auswanderung zu bewegen. Eine besondere Rolle spielte dabei auch die antisemitische Hetze der Zeitung "Der Stürmer", die in Auflagen von Hunderttausenden verkauft und in so genannten "Stürmerkästen" öffentlich ausgehängt wurde.
Abb.1: Foto aus einer unbekannten Obsthandlung, 1. April 1933.
Am 1. April 1933 fand deutschlandweit der vom NS-Regime initiierte sogenannte "Abwehrboykott" statt, der sich gegen Geschäfte, Rechtsanwalts- und Arztpraxen usw. richtete, die von jüdischen Menschen betrieben wurden. Schaufenster wurden mit antisemitischen Parolen beschmiert, vor den Eingangstüren der Läden standen uniformierte und bewaffnete Posten. Diese hinderten die Kundschaft am Betreten der Läden und versetzen Inhaber wie Angestellte in Angst und Schrecken.
Nach der Machtübergabe bestand für jüdische Bürger zunächst noch keine Verpflichtung, darauf hinzuweisen, daß der Inhaber bzw. Betreiber des Geschäfts Jude ist. Viele "arische" Geschäftsleute wiesen jedoch bereits zu diesem Zeitpunkt daraufhin, daß ihr Unternehmen "ein Deutsches" bzw. "Christliches" sei. In vielen Geschäften hingen Schilder "Kommst du als Deutscher hier herein, so soll dein Gruß HEIL HITLER sein!" So standen beispielsweise auch in Gelsenkirchen-Horst vor den Geschäften jüdischer Inhaber SA-Männer mit Schildern: "Kauft nicht bei Juden!" Trotz dieser Wachen gingen viele Horster weiterhin in jüdische Geschäfte. Manchmal fielen folgende Bemerkungen über einen solchen Wachposten: "Der? Der soll erst mal seine Schulden dort bezahlen!" In dieser Zeit kam auch der Begriff "Christlicher Jude" auf. Man meinte damit die nichtjüdischen Geschäftsleute, die zum "Vorzugspreis" jüdische Geschäfte übernommen hatten und genau das Geschäftsgebaren an den Tag legten, das man nach der Nazi-Propaganda den Juden zuschrieb.[3]
Die Zeitzeugin Johanna Meier, seit 1889 in Harburg ansässig, erinnerte sich:
Abb.1: Flugblatt mit antisemitischen Hetzparolen aus Harburg. Unter dem Hakenkreuz heißt es: "Kauf deutsche Waren, aus deutscher Hand; Kaufst Du beim Juden, verrätst Du Dein Vaterland." "Verantwortlich für den Inhalt" zeichnete R. Hastedt aus Harburg, gedruckt wurde der Zettel bei Kühne, Knoopstraße 3. Das Flugblatt ist undatiert und war von einem aus Harburg geflohenen jüdischen Menschen aufbewahrt worden - als "Mittel gegen Heimweh", wie dieser später bekannte.
"Das Leid und Unglück der Juden begann langsam, aber systematisch, mit Hitlers Machterhebung. Man sang: 'Schlagt ihn tot, den Juden, Stellt den Juden an die Wand. Wenn's Judenblut vom Messer spritzt, dann geht es noch mal so gut.' etc., das waren die Marschlieder […]. 'Jordanplantscher', 'asiatische Horden', 'Köterrasse' war unsere Bezeichnung. […] Jüdische Schaufenster wurden am Morgen mit roter Farbe beschmiert: Jude! Und als Kaufmann Markus mal einen Zettel gleichen Inhalts entfernte, wurde er verhaftet, und man sagte ihm, er habe dazu kein Recht. Das Verbrennen jüdischer Bücher wird noch in aller Erinnerung sein. Wir saßen in unserem kleinen Schrebergarten, als Lastwagen die Stadt durchfuhren, 'geziert' mit Inschriften und Fratzen, besetzt mit Männern, die im Chor brüllten: 'Deutschland erwache! Juda verrecke!' […]" [4]
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Diese Vorgehensweise lässt sich auch auf andere deutsche Städte wie beispielsweise Gelsenkirchen übertragen, auch Hugo Broch und seine Familie war von dem Boykott und weiteren Repressalien betroffen. Die Intensität, mit der die NS-Verfolgungsbehörden gegen die jüdische Minderheit vorging, nahm in den nachfolgenden Jahren beständig zu. Sie vollzog sich auch inmitten Gelsenkirchens oftmals unter aktiver Beteiligung der Stadtgesellschaft, die seit 1933 sehr schnell zu einer radikalen Ausgrenzungsgesellschaft mutierte. Je nach Umfeld verstärkten und ergänzten Schikanen aus dem Nachbarschaftlichen Umfeld, am Arbeitsplatz oder auf der Straße die NS-Ausgrenzungspolitik. Zur Politik der Nationalsozialisten gehörte in der Folge auch, Juden zu enteignen, und den Besitz an so genannte "Arier" zu "übergeben". Dieser Akt der Ausplünderung wurde im NS-Sprachgebrauch "Arisierung" genannt. Die Formen der "Arisierungen" reichten dabei von Beschlagnahmung, Nötigung und Zwangsverkauf über "freiwilligen" Verkauf unter Wert und gelegentlich auch "angemessenen" Handel zwischen resignierten und eingeschüchterten jüdischen Firmeninhabern mit "arischen" Käufern.
Die wirtschaftliche Enteignung jüdischer Bürger begründete das NS-Regime nicht nur ökonomisch, sondern vor allem rassenideologisch: Alles Vermögen diente als "Volksvermögen" der "Volksgemeinschaft". Mit der Verabschiedung der "Nürnberger Gesetze" im September 1935 gehörten Juden definitorisch nicht mehr zur "Volksgemeinschaft" und hatten damit auch den Anspruch auf ihr Vermögen ver- wirkt. Zu diesem Zeitpunkt war bereits nahezu ein Viertel aller jüdischen Geschäftsinhaber enteignet.[5]
Die Gelsenkirchener Stadtchronik hält in einem vom NS-Sprachgebrauch geprägten Eintrag vom 18. Oktober 1936 auch die Vertreibung aus dem Geschäftsleben und Enteignung von Hugo Broch fest:
Wie die National-Zeitung mitteilt, sind in letzter Zeit wieder zwei große jüdische Geschäfte an der Bahnhofstrasse in arischen Besitz übergegangen. Die National-Zeitung schreibt: "Die repräsentativen Geschäftsräume des Schuhjuden Gross hat das Porzellanhaus Kettgen übernommen, während der Möbeljude Broch in der Glaspassage dem arischen Möbelhändler Heiland gewichen ist. Damit ist ein weiterer erfolgreicher Schritt zur Entjudung der Bahnhofstrasse getan worden, der um so mehr zu begrüßen ist, als diese größte Geschäftsstrasse unserer Vaterstadt nicht zu Unrecht als ihr Aushängeschild angesehen werden kann."
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Abb. 3: Geschäftsräume des Möbelhändlers Albert Heiland, Eingang zur Abt. II 'Herde, Öfen, Waschmaschinen, Kinderwagen u. Fahrräder' in Gelsenkirchen, Von-Der-Recke-Straße, um 1938
Bis zu ihrer Deportation am 27. Januar 1942 nach Riga lebten Hugo Broch und seine Frau Theresa nach Einwohnermeldekartei an der Von-der-Recke-Straße 11 in der Gelsenkirchener Altstadt. Es ist nicht auszuschließen, dass das Ehepaar Broch noch kurz vor der Deportation in eines der so genannten "Judenhäuser" Gelsenkirchens zwangseingewiesen worden ist und ein entsprechender Eintrag in der Einwohnermeldekartei schlicht "vergessen" wurde. Im Adressbuch von 1934 ist unter dieser Anschrift Von-der-Recke-Straße 11 auch Sohn Josef verzeichnet. In der Adressbuch-Ausgabe von 1939 ist Hugo Broch noch als Eigentümer des Hauses genannt. In der Einwohnermeldekartei ist festgehalten, dass Josef Broch am 22. Januar 1940 "nach C.S.R." (das so genannte Reichsprotektorat Böhmen und Mähren) abgemeldet wurde. 1941 wird Josef Broch in das Ghetto Zamosc (Distrikt Lublin, Polen) deportiert. Dort verliert sich seine Spur.
Nach Berichten Überlebender wurden Hugo und Theresia Broch im November 1943 im Zuge der Auflösung und Räumung des Ghetto Riga ermordet.[6] Im November 1953 wurden Hugo, Theresa und Josef Broch vom Amtsgericht Gelsenkirchen für tot erklärt. Als Todeszeitpunkt wird der 31. Dez. 1945 (24 Uhr) festgesetzt.
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