STOLPERSTEINE GELSENKIRCHEN

Ausgrenzung erinnern


Stolpersteine Gelsenkirchen

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HIER WOHNTE

Verlegeort DAVID RABINOWITSCH

JG. 1894
DEPORTIERT 1942
RIGA
1944 STUTTHOF
1945 TODESMARSCH
LAGER RIEBEN
ERMORDET

HIER WOHNTE

Verlegeort JOHANNA RABINOWITSCH

GEB. CARMUSIN
VERW. LEWIN
JG. 1896
DEPORTIERT 1942
RIGA
1944 STUTTHOF
ERMORDET

HIER WOHNTE

Verlegeort ARTHUR LEWIN

JG. 1923
DEPORTIERT 1942
1943 RIGA
BEFREIT

Verlegeort: Kesselstraße 29 (8. Mai 2020)

HIER WOHNTE

Verlegeort BERTHOLD RABINOWITSCH

JG. 1922
ZWANGSARBEIT 1944
LAGER LENNE
BEFREIT

Verlegt am 18. Juni 2024, Gelsenkirchen, Kesselstraße 29

Ausweis von David Rabinowitsch, 1919

Abb.: Die Gesandtschaft der Ukrainischen Volksrepublik in Deutschland stellte 1919 diesen Ausweis für David Rabinowitsch aus.

David Rabinowitsch wurde als Sohn eines wohlhabenden Kaufmanns am 26. Mai 1894 in Tiraspol (Ukraine) geboren. Von 1896 bis 1916 lebte er mit den Eltern in Odessa. Dort besuchte David Rabinowitsch zunächst die Volksschule, es folgte dann die höhere Schule. Er schloss eine kaufmännische Ausbildung ab, wurde 1916 Soldat. Bei seinem ersten Fronteinsatz geriet er in deutsche Kriegsgefangenschaft. Vor dem Hintergrund seiner außergewöhnlich guten Deutschkenntnisse wurde er als Dolmetscher eingesetzt. Nach seiner Freilassung aus der Kriegsgefangenschaft eröffnete er in Lautenthal (Kreis Zellerfeld) eine Schuhmacherei. In Handarbeit wurden dort Wasserstiefel (Kanalstiefel) hergestellt, die vorwiegend an Braunschweiger Bauunternehmer verkauft wurden. David Rabinowitsch hatte in erster Ehe am 19. Februar 1921 in Lauthental die am 21. Juli 1894 in Ringelheim geborene evangelisch getaufte Meta Oppermann geheiratet. Meta war die Tochter des Geschäftsmannes August Oppermann. Aus dieser Ehe gingen zwei Kinder hervor, Berthold, geboren am 25. April 1922 in Lautenthal und Lieselotte, geboren am 11. Februar 1926 in Gelsenkirchen, wo die junge Familie bereits ab 1922 lebte.

Bereits kurz nach der Machtübergabe 1933 an die Nazis wurde David Rabinowitsch von den neuen Machthabern gezwungen, seine lukrative Tätigkeit als Handelsvertreter aufzugeben. Er musste dann für rund ein Jahr den Unterhalt für seine Familie als Bauhilfsarbeiter verdienen. Unter großen Schwierigkeiten gelang es ihm, in den Beruf des Handelsvertreters zurückzukehren, erzielte jedoch durch die gegen jüdische Menschen gerichteten Boykottmaßnahmen der Nazis nur noch etwa 50% seines normalen Verdienstes. Die Ehe von David Rabinowitsch mit Meta Oppermann wurde am 26. Februar 1937 geschieden. Nach der Pogromwoche im November 1938 wurde David Rabinowitsch bis zu seiner Deportation zur Ableistung von Zwangsarbeit im Tiefbau gezwungen. (Im Rahmen des neu eingeführten, von der Arbeitsverwaltung organisierten "Geschlossenen Arbeitseinsatzes" für erwerbslose Juden)

Von 1936-1938 machte Berthold Rabinowitsch in der Papiergroßhandlung des jüdischen Kaufmanns Kurt Schettmar eine Ausbildung zum Großhandelskaufmann, die er jedoch auf Weisung der Gestapo abbrechen musste, da er nach der damaligen 'Gesetzgebung' als "Jüdscher Mischling ersten Grades" galt und als solcher keinen Beruf erlernen durfte. Er blieb jedoch als Lagerarbeiter in der Firma Schettmar bis zu deren endgültigen Schließung bzw. Arisierung im Jahr 1939 dort angestellt.

Sein weiterer Lebensweg führte ihn dann 1939 nach St. Andreasberg. Dort fand er in der Holzstoff-Fabrik H. Tietz Arbeit als Schleifer, bis dieser Betrieb 1941 schloss. Er arbeitete dann einige Monate auf Montage in Duisburg als Schweisser. 1941-1944 erfolgte sein Dienstverpflichtung als Schleifer bei der Firma O. Ruhl in St. Andreasberg. Es folgte eine kurze Zeit der Beschäftigung als Hilfsarbeiter bei der Licht- u. Kraftwerke Harz, Betriebsstelle St. Andreasberg. Am 17. Oktober 1944 wurde Berthold Rabinowitsch als "Jüdischer Mischling" verhaftet und im von der Organisation Todt (OT) geführten (Zwangs)Arbeitslager Lenne bei Vorwohle, Deckname "Hecht IV" im Landkreis Holzminden interniert. Am 7. April 1945 wurde er dort befreit.

Arbeitskarte, ausgestellt für Berthold Rabinowitsch

Abb.: Arbeitskarte, ausgestellt für Berthold Rabinowitsch

David Rabinowitsch lebte derweil mit seiner zweiten Frau Johanna, geb. Carmusin, geboren am 24. Mai 1896 (nach eigenen Angaben in Rotterdam) dann an der Kesselstraße 29 in Gelsenkirchen.[1, 2] Auch Meta Oppermann-Rabinowitsch blieb in Gelsenkirchen, lebte an der Bochumer Straße 100, wo ihr Sohn Berthold und auch Tochter Lieselotte Rabinowitsch zu diesem Zeitpunkt ebenfalls lebten. Metas weiterer Lebensweg ist nicht bekannt, wir wissen jedoch, dass ein weiteres Mal geheiratet hat und am 22. Dezember 1967 als Witwe von Julius Wedigk in St. Andreasberg verstorben ist. Lieselotte Rabinowitsch heiratete Carl Adolf Bertold Niebuhr, sie starb verwitwet am 20. Mai 2011 in Hamburg.

Bereits vor dem 17. Mai 1939 wurde das Ehepaar David und Johanna Rabinowitsch von den NS-Behörden zum Zwangsumzug in eines der so genannten Gelsenkirchener "Judenhäuser" an der damaligen Von-Scheubner-Richter-Straße 54 (heutige Ringstraße) gezwungen. Johanna Rabinowitsch, geb. Carmusin, verwitwete Lewin hatte aus erster Ehe einen Sohn, Arthur Manfred Lewin, geboren am 9. Juli 1923. Arthur war nach den Meldeunterlagen ebenfalls unter dieser Anschrift gemeldet.

Vom temporären "Judensammellager" in der Ausstellungshalle am Wildenbruchplatz wurden Arthur Lewin sowie David und Johanna Rabinowitsch mit dem ersten Gelsekirchener Deportationstransport am 27. Januar 1942 nach Riga in Lettland verschleppt. [3] Zunächst im Ghetto Riga gefangen, wurde David Rabinowitsch ab Juli 1943 in das Außenlager Spilwe des Stammlagers KZ Riga-Kaiserwald überstellt. Seine Frau Johanna musste nach den Erinnerungen des Holocaust-Überlebenden Hermann Voosen aus Gelsenkirchen [4] im Außenlager (Kasernierung) Armeebekleidungsamt (A.B.A 701) Zwangsarbeit leisten, Arthur Lewin wurde im KZ Riga-Kaisewald gefangen gehalten. Wie sein weiterer Leidensweg verlief, kann vor dem Hintergrund fehlender Dokumente nicht dargestellt werden, jedoch hat Arthur 1945 seine Befreiung an einem bisher nicht bekannten Ort erlebt. Bis zu seiner Auswanderung nach Uruguay im Frühjahr 1948 lebte Arthur Lewin im Jüdisches DP-Camp Bergen-Belsen [5]. 1963 lebte Arthur Lewin in Montevideo, Uruguay.[6]

Ausschnitt aus dem Einlieferungsbuch des KZ Stutthof

Abb. 1: Ausschnitt aus dem Einlieferungsbuch des KZ Stutthof, Johanna Rabinowitsch ist mit der Häftlingsnr. 61466 eingetragen worden.

Auch David und Johanna Rabinowitsch wurden mit dem Näherrücken der Roten Armee und der darauf erfolgenden Auflösung des KZ Kaiserwald und seiner Neben- und Außlager am 9. August 1944 auf dem Seeweg in das KZ Stutthof bei Danzig verschleppt [7], wo Johanna schließlich ermordet wurde. Ende Januar 1945 wurde schließlich die "Evakuierung" des KZ Stutthof befohlen. Etwa 11.000 Häftlinge wurden in Kolonnen von jeweils etwa 1000 Menschen auf einen Todesmarsch in das etwa 140 Kilometer entfernte Lebork (Lauenburg) befohlen. Eine Kolonne, in der sich auch David Rabinowitsch befand, erreichte schließlich das bereits geräumte Zivilarbeiterlager Rybno (Rieben) in Pommern, dass ab dem 3. Februar 1945 als Auffanglager für Häftlinge aus Stutthof diente. Noch vor der Befreiung des Lagers Rieben am 10. März 1945 ist David Rabinowitsch dort zwischen dem 18. und 22. Februar umgekommen, die genauen Umstände seines Todes sind nicht bekannt.[8] Das Ehepaar Rabinowitsch wurde nach 1945 für tot erklärt, als Todestag wurde der 8. Mai 1945 festgelegt. [9]

Quellen:
[1] ITS Digital Archive, Arolsen Archives, 6.3.3.2 / 97642341; Korrespondenzablage T/D - 344 735
[2] Mapping the Lives, https://www.mappingthelives.org Angaben aus der Volkszählung: (1.1) Bundesarchiv, R 1509 (Reichssippenamt). Volks-, Berufs- und Betriebszählung am 17. Mai 1939.ID-Nr. aus der 1939 Volkszählung: VZ328482
[3] Deportationslisten Gelsenkirchen in: Andrea Niewerth, Gelsenkirchener Juden im Nationalsozialismus, Essen 2002, S. 357-365, 370-385
[4] Yad Vashem, Aufzeichnungen Hermann Voosen vom 10. Oktober 1945
[5] ITS Digital Archive, Arolsen Archives, Nachkriegszeitkartei 3.1.1.1 / 68038218
[6] Leo Baeck Institut New York, Namensliste Stadt Gelsenkirchen, Stadtamt 50/1, Wiedergutmachung/BEG: lfd. Nr. 618 Lewin, Arthur
[7] ITS Digital Archive, Arolsen Archives, 1.1.41.1 / 4398995, Einlieferungsbuch des KL Stutthof
[8] ITS Digital Archive, Arolsen Archives, 6.3.3.2 / 97642341; Korrespondenzablage T/D - 344 735
[9] ebda.

Abbildungen:
[1] ITS Digital Archive, Arolsen Archives, 1.1.41.1 / 4398995, Einlieferungsbuch des KL Stutthof
Ausweis David Rabinowitsch, privat
Arbeitskarte Berthold Rabinowitsch, privat

Enkelin stellt Dokumente aus der Familie zur Verfügung

Im April 2023 stellte uns eine Enkelin von David Rabinowitsch eine Auswahl von Dokumenten und Fotos aus der Familie zur Verfügung. In die vorliegende Dokumentation wurden nun die teilweise bisher nicht bekannten Details zur Familiengeschichte eingepflegt.

Biografische Zusammenstellung: Andreas Jordan, Dezember 2019, eddit. 4/2023

Stolpersteine für David und Johanna Rabinowitsch und ihrem Sohn Arthur Lewin. Verlegt 2020 - am 75. Jahrestag der Befreiung und dem Ende des zweiten Weltkrieges in Europa

Stolpersteine Gelsenkirchen - David und Johanna Rabinowitsch und ihrem Sohn Arthur Lewin

Stolperstein für Berthold Rabinowitsch, verlegt am 18. Juni 2024

Stolpersteine Gelsenkirchen - Felix Fröhling


Biografische Zusammenstellung: Projektgruppe STOLPERSTEINE Gelsenkirchen. Dezember 2019

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