STOLPERSTEINE GELSENKIRCHEN

Ausgrenzung erinnern


Stolpersteine Gelsenkirchen

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HIER WOHNTE

Verlegeort JOSEF WESENER

JG. 1903
VERHAFTET 1940
GEFÄNGNIS GELSENKIRCHEN
VERURTEILT § 175
1943 NEUENGAMME
1944 BUCHENWALD
MITTELBAU-DORA
BEFREIT

Verlegeort: Josefstraße Höhe Hausnr.30/Einmündung Knappenstraße, Gelsenkirchen
Das Haus Josefstraße 32 (Im NS "Von-der-Pfordten-Straße") existiert heute nicht mehr.

Wir erinnern an Josef Wesener

Josef Wesener, geboren am 22. Januar 1903 in Gelsenkirchen, Lokführer und Bergmann von Beruf, wohnhaft 1940 in der Josefstraße 32 in Gelsenkirchen, verurteilt als Homosexueller zu 2 ½ Jahren Gefängnis, nach Verbüßung Deportation in das KZ Neuengamme bei Hamburg, danach KZ Buchenwald, danach KZ Mittelbau- Dora, überlebte die NS-Verfolgung, Tod in Düsseldorf 20. August 1987

Was wissen wir von ihm?

Josef Wesener wurde in Gelsenkirchen geboren in der Ackerstraße 17 (heute Mühlenbruchstraße) am 22. Januar 1903 als Sohn des Bergmannes Theodor Wesener (Henrichenburg 1859 – Gelsenkirchen 1939) und seiner Ehefrau Bernhardine Wesener, geb. Scheppmann (Gelsenkirchen 1863 – 3. August 1945). Aus deren Ehe gingen 10 weitere Kinder hervor: Wilhelmine *1883, Elisabeth *1885, Heinrich 1888-1953, Anna 1891-92, Dorothea 1892-1892, Maria 1894-1979, Anna 1895-1899, Anton 1898-1916, Theodor 1900-1973, und Johanna 1906-2001. Im Jahr 1918 zogen die Eheleute Wesener von der Ackerstraße in die Josefstraße 32, dort lebte Josef nach der Rückkehr aus dem KZ bis 1981, bevor der nach Gelsenkirchen-Buer verzog und anschließend nach Düsseldorf.

Über Josef Wesener ist wenig bekannt aus der Zeit vor der NS-Verfolgung. Er wurde Lokführer von Beruf, war ledig, katholisch. Am 5.11.1940 verhaftete ihn die Kripo Gelsenkirchen, er wurde wegen homosexueller Kontakte nach §175 (in der verschärften Nazifassung von 1935) zu 2 ½ Jahren Gefängnis verurteilt. Nach voller Verbüßung der Strafe kam er jedoch nicht in Freiheit, sondern die Kripo Recklinghausen nahm ihn in sogen. Schutzhaft und deportierte ihn Mitte 1943 in das KZ Neuengamme bei Hamburg. Man stempelte ihn als „175er“ und „Berufsverbrecher“ ab.

Die Bezeichnung „BV175“ wurde denjenigen Männern „angeheftet“, die im Sprachgebrauch der Nationalsozialisten mehr als einen Mann „verführt“ hatten. Der SS-Reichsführer Heinrich Himmler hatte dazu am 12. Juli 1940 pauschal bestimmt:

„Ich ersuche, in Zukunft Homosexuelle, die mehr als einen Partner verführt haben, nach der Entlassung aus dem Gefängnis in polizeiliche Vorbeugehaft zu nehmen.“

Dieser Befehl hatte zur Folge, dass diejenigen, die ihre Strafe verbüßt hatten nicht entlassen wurden, sondern unmittelbar in ein KZ deportiert wurden. So wurde auch mit Josef Wesener verfahren.

In Neuengamme wurde er am 12.6.1943 zum Häftling mit der Nummer 21962 (Homo). Er musste also den Rosa Winkel als Zeichen seiner Ausgrenzung tragen. Am 5.3.1944 wurde er weitertransportiert in das KZ Buchenwald, wurde hier Häftling Nr. 45586. Die homosexuellen Häftlinge in Buchenwald wurden meist im Strafkommando Steinbruch zu Tode geschunden.

Header Gelsenzentrum e.V. Gelsenkirchen

Abb.: Häftlingspersonalkarte Josef Wesener, Copy of 1.1.5.3 / 7407572 in conformity with the ITS Archives, Bad Arolsen; Individuelle Unterlagen Buchenwald

Doch Wesener wurde erneut „verfrachtet“: Bereits am 6.9.1944 deportierte man ihn in das damalige Buchenwald-Außenlager Dora in der Nähe von Nordhausen in Thüringen, das im Herbst 1944 zum eigenständigen Lager Mittelbau wurde. Im KZ Mittelbau-Dora wurden die Häftlinge überwiegend in unterirdischen Stollen dazu gezwungen, in der Endphase des Krieges die von Hitler erhoffte „Wunderwaffe“, die Rakete „V2“ zu produzieren. Unter den miserablen Lebens- und Arbeitsbedingungen, ständig unter Tage, war die Todesrate bei den Häftlingen hoch. Wie Wesener die Leistung vollbrachte, die jahrelange KZ-Internierung zu überleben, ist unbekannt. Fest steht, dass er nach Ende der Nazi-Herrschaft wieder nach Gelsenkirchen zu seiner 82jährigen Mutter zurückkehrte. Die Mutter starb am 3. August 1945 in ihrer Wohnung. Josef meldete ihren Tod an das Standesamt.

Unterschrift Josef Wesener

Abb.: Von Josef Wesener existiert kein Foto, auch kein persönliches Dokument. Lediglich seine Unterschrift auf der Sterbeurkunde seiner Mutter ist überliefert.

Aus den überlieferten Dokumenten geht hervor, dass das Leben von Josef Wesener durch die Verfolgung in der NS-Zeit so sehr „aus der Bahn“ geraten und belastet war, dass er seinen Beruf als Lokführers nicht mehr ausüben konnte, sondern Bergmann wurde. Die erlittene Traumatisierung als KZ-Häftling trug sicherlich mit dazu bei, dass er psychisch erkrankte. Es folgten in den 1970er Jahren zahlreiche, sehr lange Aufenthalte in psychiatrischen Kliniken. Später wurde die Betreuung durch einen Vormund notwendig, eine Demenz entwickelte sich. Sein letztes Lebensjahr verbrachte Wesener, der ein Taubenliebhaber war, auf Initiative seines Vormundes bei dem Ehepaar K. in Düsseldorf. In deren Haus starb er am 20. August 1987 im Alter von 84 Jahren.

* * *

Schätzungen gehen von 5 bis 15 Tausend ermordeten Homosexuellen in den Konzentrationslagern aus. Mehr als 50.000 Männer wurden mittels des von den Nationalsozialisten verschärften § 175 kriminalisiert. Nach 1945 setzte sich die Verfolgung in der BRD bis 1969 unvermindert fort, da erst 1969 (!!) die Nazi-Fassung des §175 entschärft wurde und damit einvernehmliche Beziehungen zwischen erwachsenen Männern straffrei waren. Die DDR hatte die strafrechtliche Verfolgung bereits in den 50er Jahren eingeschränkt und im Jahr 1968 den §175 gestrichen. Erst im Jahr 1994 wurde der § 175 im Zuge der Wiedervereinigung insgesamt aufgehoben.

Während die Urteile, die nach dem Paragraphen 175 in der Zeit von 1933 bis 1945 gefällt wurden, vom Bundestag im Jahr 2002 aufgehoben wurden, sind die Urteile, die zwischen 1945 und 1969 gefällt wurden nach dem Paragraphen 175 in derselben Nazifassung, bis heute nicht aufgehoben. Die Bundesrepublik hat sich damit schwerster Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht.

Der Stolperstein für Josef Wesener wurde von dem Künstler Gunter Demnig am 6. Okt. 2016 verlegt: vor dem Haus in der Josefstr. 32 in der Gelsenkirchener Südstadt. Weitere Stolpersteine in Bochum, Essen, Dortmund, Düsseldorf, Duisburg, Hattingen, Gelsenkirchen, Remscheid, Witten, Wuppertal und Velbert zur Erinnerung an Männer, die als Homosexuelle verfolgt wurden, sind verlegt worden, Weitere werden folgen.

Die Initiative, Recherchen und Bericht zum Leben und Tod von Josef Wesener stammen von Jürgen Wenke, ehrenamtlicher Mitarbeiter des gemeinnützigen Vereins „Rosa Strippe e.V.“, Beratungsstelle für Lesben, Schwule und deren Familien. Die Patenschaft für den Stolper- stein hat dankenswerterweise der „Familienverband Wesener e.V.“ übernommen. Weitere Infos: rosastrippe.de

Stolperstein für Josef Wesener, verlegt am 6. Oktober 2016

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Projektgruppe STOLPERSTEINE Gelsenkirchen. Juni 2016. Nachtrag Oktober 2016

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