Abb.1: Ernst Papies, August 1945
Ernst August Papies, geboren am 28. Juni 1909 in Buer-Erle (heute Gelsenkirchen), Wilhelmstraße 63, Arbeiter, evangelisch, religiös; über Gütersloh (1927), Lingen und Fischerhude gelangte er 1931 nach Bremen, dort 1932 zu 1 Monat Gefängnis wegen seiner Liebe zu Männern verurteilt, 1934 durch die NS-Justiz erneut verurteilt zu einem Jahr und im Jahr 1936 zu drei Jahren Gefängnis wegen Verstoß gegen §175. Lagerhaft im Moorlager, nach Haftverbüßung willkürlich verhaftet, Deportation 1939 in das KZ Buchenwald, danach 1940 KZ Mauthausen in Österreich, im Dez. 1944 nach Auschwitz, im Januar 1945 zurück nach Mauthausen, dort befreit bei Kriegsende.
Alle Anträge auf Wiedergutmachung scheitern: Als Homosexueller sei er kein Verfolgter des Nationalsozialismus, der Entschädigung verlangen könne. Ab 1960 in Konstanz lebend, dort Eintritt bei den Zeugen Jehovas, gestorben in Konstanz am 16. Juni 1997 im Alter von 87 Jahren.
Was wissen wir von ihm?
Ernst Papies kam in Buer als Sohn des Bergmannes Rudolf P. (Lisken, Kreis Johannisburg, ehemals Ostpreussen 1884 – GE-Buer 1962) und seiner Ehefrau Ottilie P., geborene Prella, (Wilsdorf, Kreis Neidenburg, ehemals Ostpreussen 1887 – GE-Buer 1958) zur Welt. Die Eltern waren evangelisch, sie heirateten 1909 in Buer. Insgesamt hatten die Eheleute Papies 9 Kinder, eine Tochter starb 2jährig, 5 Söhne und 3 jüngere Töchter er- und überlebten die NS- und Kriegszeit.
Ernst verlies als junger Mann mit 17 Jahren die Herkunftsfamilie, gelangte 1931 nach Bremen, die wirtschaftliche Not war groß, mehrere tageweise Verurteilungen u.a. wegen Bettelns und Landstreicherei erfolgten. Eine erste Verurteilung zu einem Monat Gefängnis wegen homosexueller Kontakte gab es 1932. Die Nazis verschärften ab 1933 díe Verfolgung von Homosexuellen, eine zweite Verurteilung im Jahr 1934 hatte bereits ein Jahr Gefängnis zur Folge. 1936 folgte eine Verurteilung zu 3 Jahren Ge- fängnis, die jedoch im Moorlager im Emsland mit Zwangsarbeit vollstreckt wurde. Nach voller Verbüßung kam er als kranker Mann zur Genesung nach Buer zurück.
Ohne weitere Begründung, wahrscheinlich denunziert von einer Nachbarin der Eltern, verhaftete ihn die Kripo in Buer am 25. Juni 1939 und deportierte den 30jährigen, misshandelt und gefoltert, am 25. Juli 1939 in das KZ Buchenwald, wo er als sogen. „Berufsverbrecher“ und „175er“ im Strafkommando Steinbruch unter mörderischen Bedingungen schuften musste. Papies wurde am 15. April 1940 weiter in das KZ Mauthausen bei Linz/Österreich deportiert. Dort im Arbeitskommando von „175ern“ oder „Rosa Winkel-Häftlingen“ im Steinbruch, dem „Wiener Graben“, wurde er gezwungen, Granitstein abzubauen und zu transportieren unter den Schikanen, der Willkür und bedroht von gezielten Tötungsaktionen der SS-Wachmannschaften. Am 4. Dez. 1944 wurde P. mit über 1000 weiteren „Facharbeiter“- Häftlingen in ein Außenlager des KZ Auschwitz deportiert, dort wahrscheinlich eingesetzt zum Abtransport der Rüstungsproduktionsmaschinen, da die russische Armee bereits nahe vor Auschwitz angelangt war. Kurz vor der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz Ende Januar 1945 Rücktransport nach Mauthausen. Weitere Monate der schwersten Zwangsarbeit folgten, befreit wurde das KZ Mauthausen am 5. Mai 1945 durch amerikanische Soldaten. Jedoch erst 4 Monate später konnte er, halbwegs ernährt, als kranker Mann die weite, mehrmonatige Reise nach Buer zu den Eltern antreten.
Nach 1945: Vergeblicher Kampf um Wiedergutmachung und Entschädigung für erlittenes Unrecht
Papies kämpfte ab Dez. 1945 vergeblich um Wiedergutmachung und Entschädigung für die erlittenen Schäden an Leib und Seele. Anträge, Schreiben an Bundeskanzler Adenauer, ein Besuch im Bundeskanzleramt, Schreiben an den Bundespräsidenten, zahlreiche Proteste und ein angestrengtes Gerichtsverfahren führten nicht zum Erfolg. Denn die Adenauer-Regierung hatte beschlossen, Homosexuelle weiterhin zu verfolgen als Straftäter und zwar mittels des von den Nazis im Jahr 1935 verschärften § 175, der in der Nazifassung bis 1969 (!!) galt. Homosexuelle waren und blieben für Regierungsparteien CDU und CSU und ihre Akteure Verbrecher. Man wollte sie – und damit auch Papies - nicht entschädigen für das erlittene Unrecht. Auch moralisch und gesellschaftlich betrieben die maßgeblichen Akteure in Politik, Justiz, im Beamtenapparat und in den Vereinigungen der ehemaligen Häftlinge, usw. die Ausgrenzung weiter. Lediglich die KZ-Haft blieb Homosexuellen nach 1945 „erspart“. Ernst Papies hatte noch bis 1975 versucht, Entschädigung zu erhalten. Vergeblich: Noch bei seinem Rentenantrag werden die Zeiten der Zwangsarbeit von 1936 bis 1945 nicht für die Rentenberechnung anerkannt.
Abb.2: Ernst Papies, um 1965
Ernst Papies verlies GE Mitte der 50er Jahre nach der Niederlage vor dem Landgericht. 1958 in Ravensburg vorübergehend ansässig, versuchte er erneut vergeblich eine Wiedergutmachung zu erlangen, stattdessen wurde gegen ihn polizeilich wegen angeblichen Wiedergutmachungsbetruges ermittelt. Das absurde Verfahren wurde eingestellt, aber als nunmehr bekannter „homosexueller Wiederholungstäter“ verlies er Ravensburg und lebte ab 1960 in Konstanz. Der kranke Mann wurde nie wieder richtig gesund, war dauerhaft auf finanzielle staatliche Unterstützung angewiesen.
Er wurde überzeugtes Mitglied der Zeugen Jehovas. Die „Opferrolle“ nahm er nicht an: Personen, die ihn kannten, beschreiben ihn noch heute als lebensfrohen, bescheidenen Menschen, der gerne unterwegs war, den man wegen seiner erzählfreudigen u. zugewandten Art gerne einlud zu Feiern und auch Reisen. Ernst Papies starb in Konstanz 1997 im Alter von 88 Jahren.
Er war einer von Zehntausenden Männer liebenden Männern, die während der NS-Zeit verfolgt wurden und die Verhöre, Folterungen, Zwangskastrationen, Gefängnis, Zuchthaus, KZ-Deportation oder Verbringung in Euthanasie-Anstalten oder den sozialen Tod im beruflichen und privaten Umfeld durch die juristische Verfolgung erlitten. Viele starben im KZ. Diejenigen, die überlebten, wurden nach dem 8. Mai 1945 weiter verfolgt.
"Ernst Papies war ein Verfolgter, kein Opfer"
Neben dieser kompakten Kurzfassung steht auch eine umfangreiche Langfassung der Dokumentation zur Verfügung. Zahlreiche Schriftstücke aus dem Nachlass an Verwaltungsbehörden, Gerichte und an die höchsten politischen Vertreter der Bundesrepublik, ergänzt mit persönlichen Fotos zeichnen den Lebens, Leidens- und Verfolgungsweg von Ernst Papies nach: → Stationen eines Lebensweges
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Der Strafrechtsparagraph 175 bestand in Westdeutschland in der verschärften Nazifassung bis 1969. Trotz heftigster Attacken u.a. der katholischen Kirche leitete 1968 der damalige Justizminister und spätere Bundespräsident Heinemann die Reform des §175 ein. Erst seit 1994 werden homosexuelle Männer in Deutschland nicht mehr strafrechtlich verfolgt: Der §175 wurde gestrichen. Bis heute sind allerdings die Urteile, die zwischen 1945 und 1969 nach dem Naziparagraphen 175 gefällt wurden, nicht aufgehoben. Die Bundesrepublik Deutschland hat mit den Urteilen nach 1945 schwerste Menschenrechtsverletzungen begangen. Auch Individuelle Entschädigungen wurden bis heute nicht geleistet.
Initiative, Recherchen und Bericht zum Leben und Tod von Papies stammen von Jürgen Wenke, ehrenamtlicher Mitarbeiter des gemeinnützigen Vereins Rosa Strippe e.V., Beratungsstelle für Lesben, Schwule und deren Familien. Die Patenschaft für den Stolperstein hat die Europaabge- ordnete der „Grünen“, Frau Terry Reintke übernommen. Der Stolperstein für Ernst Papies wurde am 14. August 2015 vor dem Wohnhaus Cranger Straße 398 in GE-Buer verlegt. Das Wohngebäude hat den Bombenkrieg überstanden.
Weitere Stolpersteine für Menschen, die als Homosexuelle verfolgt wurden, sind in Bochum, Dortmund, Düsseldorf, Duisburg, Essen, Gelsenkirchen, Hattingen, Velbert, Witten und Wuppertal bereits verlegt worden. Weitere werden folgen. Infos unter www.rosastrippe.de oder orga(ätt)rosastrippe.de
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