STOLPERSTEINE GELSENKIRCHEN

Ausgrenzung erinnern


Stolpersteine Gelsenkirchen

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HIER WOHNTE

Verlegeort FRANZ NATHAN

JG. 1889
VERHAFTET 1938
SACHSENHAUSEN
ENTLASSEN 20.9.1938
FLUCHT BELGIEN
1938 PERU


HIER WOHNTE

Verlegeort MARTA NATHAN

GEB. BRAUN
JG. 1904
FLUCHT BELGIEN
1938 PERU

HIER WOHNTE

Verlegeort OSKAR NATHAN

JG. 1926
FLUCHT BELGIEN
1938 PERU


HIER WOHNTE

Verlegeort ROLF NATHAN

JG. 1928
FLUCHT BELGIEN
1938 PERU

Stolperstein-Paten gesucht. Geplanter Verlegeort: Liboriusstraße 61

Franz Nathan wurde am 14. April 1889 in Zeitz geboren. Im 1. Weltkrieg kämpfte er wie sein Bruder Richard als jüdischer Soldat in der deutschen Armee. Die jüdischen Soldaten hofften auch, durch den Kriegseinsatz für ihr Vaterland endlich Anerkennung in Deutschland zu finden. Sie wollten als Teil des Volkes, als echte Bürger, und nicht mehr als Fremdkörper angesehen werden.

Franz und Richard Nathan

Franz und Richard Nathan

Abb.1, links: Franz (3. v.l.) und Richard Nathan (rechtsaußen), als jüdische Soldaten in der deutschen Armee. Das Foto enstand in Zeitz um 1914. Abb.2: Franz Nathan (links) und Richard Nathan. Die Brüder Nathan gerieten im 1. Weltkrieg in Kriegsgefangenschaft, deutlich sind die Kennzeichnungen "PG" (Prisonnier de Guerre) auf den Uniformjacken zu erkennen.

Franz und Richard Nathan

Abb.1: Sterbeurkunde Walter Nathan

Am 25. November 1925 heiratete Franz Nathan die am 31. Dezember 1904 in Gelsenkirchen geborene Marta Braun, die nach der Hochzeit zum Judentum konvertierte. 1926 kam Franz Nathan, der von Beruf Dekorateur war, mit sei ner Ehefrau aus der damals noch eigenständigen Stadt Elberfeld nach Gelsenkirchen.

Das Ehepaar Nathan hatte drei Söhne, von denen Walter, geboren am 12. März 1929 in Gelsenkirchen, bereits im Alter von fünf Monaten starb. Sohn Rolf, geboren am 7. Januar 1928 in Gelsenkirchen, der später den zweiten Vornamen Gerth annahm, konnte im September 1938 über Belgien und Frankreich zusammen mit seinen Eltern und seinem Bruder Oskar (später Asher), geboren am 31. Oktober 1926 in Gelsenkirchen aus Nazi-Deutschland fliehen. In La Rochelle bestiegen sie ein Schiff, dass sie nach Lima/Peru brachte.

Franz Nathan war einer der frühen jüdischen Mitglieder, Förderer und Funktionäre des FC Schalke 04, er war vor der Machtübergabe an die Nazis mehrere Jahre Leiter des Presseausschusses. Als der DFB (Deutscher Fußball Bund) im April 1933 den Ausschluss von Juden als Trainer und Funktionäre aus den Vereinen beschloss, "verabschiedete" der FC Schalke 04 - ganz im Sinne der neuen Machthaber - auch Franz Nathan, weil er Jude war. Laut Adressbuch Gelsenkirchen, Ausgabe 1939 lebte Familie Nathan zuletzt an der Liboriusstraße 61 in Schalke. Zeitgleich wohnten dort auch ein Polizeibeamter Walter Bode und ein SS-Führer Arnold Hamke. Ob hier ein Zusammenhang mit Nathans Verhaftung besteht, bleibt in Dunklen.

Aktion "Arbeitsscheu Reich"

Im Rahmen der so genannten "Aktion Arbeitsscheu Reich" wurden im April und im Juni 1938 bei zwei Verhaftungswellen mehr als 10.000 Männer als sogenannte "Asoziale" in Konzentrationslager verschleppt. Während der sogenannten Juni-Aktion wurden dabei auch rund 2300 Juden inhaftiert, die aus mannigfaltigen Gründen Vorstrafen erhalten hatten. In vielen Konzentrationslagern bildete die mit einem Schwarzen Winkel gekennzeichnete Häftlingsgruppe der so genannten "Asozialen" bis Kriegsbeginn die Mehrheit. Zu dieser Zeit setzte die SS-eigene Baustoffproduktion in und bei Konzentrationslagern ein, dafür wurden größere Häftlingskontingente benötigt. Wesentlicher als die Arbeitsleistung dieser inhaftierten angeblichen "Arbeitsscheuen" dürfte jedoch der abschreckende Effekt auf andere vorgebliche "Arbeitsbummelanten" gewesen sein. Die "Juni-Aktion" war zugleich die erste von der Sicherheitspolizei in Eigenregie durchgeführte Aktion, bei der eine große Zahl von deutschen Juden in Konzentrationslager verschleppt wurde. Ihre Einbeziehung in die Juni-Aktion geht auf Hitlers persönliche Anordnung zurück, die zu einer Anweisung vom 1. Juni 1938 führte.

Auch Franz Nathan wurde bei der "Juni-Aktion" am 14. Juni 1938 in Gelsenkirchen verhaftet [1] und wurde am Mittwoch, den 22. Juni 1938 als so genannter "Asozialer" in das KZ Sachsenhausen eingeliefert. [2] Er erhielt er die Gefangenennummer 5037. [3] Es ist davon auszugehen, dass auch Franz Nathan mit einem schwarzen Winkel auf der Häftlingskleidung markiert wurde, die Gefangenenen mit dem "schwarzen Winkel" bildeten in den KZ eigene Häftlingsgruppen, die in der KZ-Hierarchie ganz unten standen.

Als „asozial“ galt laut einem Grunderlass zur "Vorbeugenden Verbrechensbekämpfung" vom 14. Dezember 1937: "(...) wer durch sein gemeinschaftswidriges, wenn auch nicht verbrecherisches Verhalten zeigt, dass er sich nicht in die Gemeinschaft einfügen (...), sich der in einem nationalsozialistischen Staat selbstverständlichen Ordnung fügen will" (...). So wurden beispielsweise Bettler, Wohnungslose, Wandermusiker, Trinker, Prostituierte, Heimzöglinge, Fürsorgeempfänger oder Jugendliche und Frauen aus unteren Schichten als "Asoziale", "Gemeinschaftsfremde" und "Volksschädlinge" diffamiert, dazu gehörten auch Personen, die mit Unterhaltszahlungen im Rückstand waren (so genannte "säumige Nährpflichtige") und auch Homosexuelle.

Die Entscheidung, ob ein "gemeinschaftswidriges Verhalten" vorlag, lag dabei allein bei den Ordnungs- und Polizeibehörden. Betroffen waren somit alle Personen, die nicht in das Konzept der "NS-Volksgemeinschaft" passten – dass führte natürlich auch zu willkürlichen Einweisungen in die KZ. Als Einweisungsbehörde konnte die Kriminalpolizei tätig werden, ohne dass eine Straftat vorlag – allein ein Verdacht reichte aus. Damit war der Willkür Tür und Tor geöffnet.

Am 20. September 1938 wurde Franz Nathan dank einer eidesstattlichen Erklärung seines Bruders Richard Nathan, der bereits amerikanischer Staatsbürger war, mit der Auflage, Deutschland sofort zu verlassen, aus dem KZ Sachsenhausen entlassen.[3,4] Am 23./24. September 1938 ist die Familie über Belgien nach Frankreich geflohen und hat im Hafen von La Rochelle die rettende Schiffsreise nach Lima/Peru angetreten.[5]

Franz Nathan war in Peru als der Innenarchitekt tätig, arbeitete in verschiedenen Unternehmen und später selbständig. Sein letztes Geschäft war auf Gardinen und Teppiche spezialisiert. Seine beiden Söhne arbeiteten nach dem College mit in der Firma, ebenso wie ebenso wie seine Frau Martha, die angestellte Näherinnen beaufsichtigte. Franz Nathan starb am 25. Juni 1952 in Lima. [6] Seine Frau Marta starb am 14. Januar 1990.

Oskar machte in Peru sein Abitur und wanderte danach 1948 nach Israel aus. Er änderte seinen Vornamen zu Asher, wollte nicht mehr ein "wandernder Jude" sein und fühlte, dass das einzige Land, das ihm Sicherheit und seinen Frieden geben würde, Israel war. Im Kibbuz Ein Hashlosha (Die drei Quellen) in der Nähe von Beer Sheva in der Negev-Wüste fand er seine neue Heimat. Der Kibbuz baute Weizen und Baumwolle an, produzierte Milch, züchtete Puten. 15 Jahre arbeitete Asher als Viehzüchter, dann wurde er Schatzmeister und Sekretär des Kibbuz. Nebenher studierte Asher an der Universität und erwarb einen Master in Internationalen Beziehungen. Asher arbeitete noch für die Kibbuz-Bewegung, redigierte Bücher und andere Veröffentlichungen, die sich mit Arbeit und Mission in Israel und anderen Ländern beschäftigen. Seine Frau Zehava Sharifker wurde am 8. Juni 1932 in Buenos Aires geboren. Sie haben 4 Kinder. Zehava ist gelernte Dozentin und Bibliothekarin und arbeitete an einer Universität als Archivmanagerin. Sie war auch an der Organisation der Archive des Kibbuz beteiligt, die in den letzten vier Jahrzehnten eher vernachlässigt wurden.[7]

Rolf betrieb in Peru eine Firma, die Goldketten größtenteils in die USA exportierte. Die Familie lebte in einer sehr strengen jüdischen Gemeinde mit einem eigenen Club, 4 Synagogen und einer jüdischen Schule und war eng mit der jüdischen Gemeinde verbunden. Gerth war 1966 – 1972 von Präsident des örtlichen jüdischen Clubs "Hebraica". 1989 nahm der "Club Hebraica" zum ersten Mal an der Makkabiade (Maccabia Games) in Israel teil. Rolf Gerth war auch Präsident der Zionistischen Organisation in Peru. Rolf Gerth Nathan starb am 21. August 2000. [8]

Grabstätte

Abb.4: Grabstätte auf dem jüdischen Friedhof in Lima, Peru. (Section AK556 Tomb E589)


Rolf Gerth Nathan Braun

7 - Enero 1928 Gelsenkirchen, Alemania
21 - Augusto 2000 Lima, Peru.

Que Dificil Es Hacerse Querer...

Que Facil Fue Quererte

Rolf Gerth Nathan Braun

7 Januar 1928 in Gelsenkirchen, Deutschland
21 August 2000 Lima, Peru.

Wie schwer ist es geliebt zu werden...

Wie einfach war es zu lieben


Quellen:
[1] ITS Archives, Bad Arolsen, Korrespondenzakte. Copy of 6.3.3.2 / 104677218
[2] ITS Archives, Bad Arolsen, Listenmaterial Sachsenhausen. Copy of 1.1.38.1 / 4093704
[3] Russisches Militärstaatsarchiv, Moskau. Bestand 1367: KZ- und Kriegsgefangene in Deutschland 1933-1945. Dank an Aaron Guttstein für den Hinweis.
[4] Familie Nathan, Peru
[5] ITS Archives, Bad Arolsen, Korrespondenzakte. Copy of 6.3.3.2 / 104677218
[6,7,8] Familie Nathan, Peru
Institut für Stadtgeschichte/Stadtarchiv Gelsenkirchen, Einwohnerkartei
Abbildungen:
Abb.1+2: Gabrielle Bibars
Abb.3: Sterbeurkunde, Institut für Stadtgeschichte/Stadtarchiv Gelsenkirchen
Abb.4: Erich Lewitus, mit freundlicher Genehmigung.
Literatur:
Jens Aaron Guttstein: Lebenswege – Die Shoa in Zeitz 1933-1945


Andreas Jordan, Projektgruppe STOLPERSTEINE Gelsenkirchen. Januar 2018

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