STOLPERSTEINE GELSENKIRCHEN

Die Dabeigewesenen - Gelsenkirchen 1933–1945


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Von NS-Täter/innen, Profiteuren, Denunziant/innen, Schweigenden und Zuschauer/innen

Wilhelm Gansel

Während der Beamte, der 1938/39 das Gelsenkirchener Polizeiamt leitete, nur vorübergehend in Gelsenkirchen arbeitete, wurde die tägliche Arbeit von „kleinen Beamten" versehen, die in der Regel auch ihre Arbeitsstellen selten oder nie wechselten und meist auch nur einen begrenzten Aufstieg erlebten. In Gelsenkirchen war Wilhelm Gansel der Beamte, der die tägliche Arbeit vor Ort zu erledigen hatte und dabei auch direkt bei der Verfolgung der Sinti und Roma mitwirkte.

Wilhelm Gansel wurde am 8. Dezember 1895 in Gelsenkirchen geboren und entstammte einer evangelischen Arbeiterfamilie. Er besuchte in den Jahren 1901-1909 die Volksschule in Gelsenkirchen. Nach dem Abschluß der Volksschule schlug Wilhelm Gansel keineswegs sofort eine Beamten- oder Polizeilaufbahn ein. Unter den Bedingungen des preußisch-deutschen Obrigkeitsstaates war dies zunächst nicht der berufliche Weg, den ein Arbeiterkind einschlagen konnte. So absolvierte Wilhelm Gansel von 1909 bis 1912 zunächst eine Schlosserlehre und arbeitete dann bis zum Ersten Weltkrieg in seinem erlernten Beruf. Offenbar mit Beginn des Weltkrieges wurde Wilhelm Gansel zum Militär eingezogen. Von dort kehrte er erst 1919 zurück. Noch im gleichen Jahr heiratete Wilhelm Gansel am 18. Dezember. Aus der Ehe gingen zwei Söhne (1920 und 1939) hervor. Erneut arbeitete er in seinem erlernten Beruf als Schlosser.

Zum Polizeidienst kam er dann in der im ganzen Ruhrgebiet recht chaotischen Zeit zu Beginn der 1920er Jahre. Während der französisch-belgischen Ruhrbesetzung wurde Gansel bei der kommunalen Ersatzpolizei am 2. Juli 1923 als Ersatz-Polizist eingestellt. Da die deutschen Behörden in ihrer Auseinandersetzung mit den Franzosen nicht nur zum schließlich gescheiterten passiven Widerstand aufriefen, sondern in vielen Fragen versuchten, den deutschen Rechtsstandpunkt aufrechtzuerhalten, wurde Gansel mit der Einstellung als Ersatz-Polizist aufgrund der weiteren Behandlung der Polizei als staatliche Behörde Staatsbediensteter. Wilhelm Gansel nutzte diese Chance, in den Staatsdienst zu gelangen, und absolvierte 1924 in Bochum einen Kriminalpolizeianwärter-Lehrgang. Ab 1. September 1924 wurde Gansel als planmäßiger Kriminal-Betriebs-Assistent eingestellt und konnte seinen Schlosserberuf nun aufgeben. Innerhalb der nach dem Abmarsch der Besatzungstruppen ja reorganisierten (staatlichen) Kriminalpolizei stieg Gansel 1929 zum Kriminalassistenten auf.

Die "Säuberung" der öffentlichen Behörden durch die an die Macht gelangten Nationalsozialisten überstand Wilhelm Gansel ohne Probleme. Er schloß sich 1933 zunächst der SA an und trat 1936 der NS-Volkswohlfahrt bei. 1937 wurde er dann auch Mitglied der NSDAP. Die mit seinem Beitritt zu NS-Organisationen dokumentierte politische Zuverlässigkeit scheint allerdings den beruflichen Aufstieg Gansels nicht wirklich wesentlich beschleunigt zu haben, Gansels Beförderungen entsprachen wohl dem normalen Berufsweg. 1937 avancierte er zum Kriminaloberassistenten und 1939 zum Kriminalsekretär. Wie in einigen Fällen zu belegen ist, war Wilhelm Gansel bei seinem Polizeidienst auch für die Überwachung der in Gelsenkirchen lebenden Sinti und Roma zuständig.

Während der Berufsweg Gansels in den geregelten Bahnen des Dienstrechts verlief, stieg Gansel innerhalb der SA auf und wurde 1944 SA-Hauptsturmführer. Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus bereitete vor allem dieser hohe SA-Rang, der militärisch dem Rang eines Hauptmanns entsprach, Wilhelm Gansel jahrelange Schwierigkeiten beim Versuch, in der Nachkriegsgesellschaft wieder Fuß zu fassen. Zunächst wurde er von der britischen Besatzungsmacht vom 8. August 1945 bis zum 7. April 1947 im Internierungslager in Recklinghausen inhaftiert. Der deutsche Entnazifizierungsausschuß in Gelsenkirchen reihte Wilhelm Gansel dann in die Kategorie III ("Minderbelastete") ein. Das bedeutete in der Konsequenz für Wilhelm Gansel nach den Entnazifizierungsvorschriften: "Ist von obigem Amt zu entfernen und hat jegliches Recht auf eine Pension verwirkt; verboten, irgendeine Richtung weisende [!] oder übergeordnete Position zu bekleiden oder sonst irgendeine Position, welche mit der Anstellung oder Entlassung von Personal in öffentlichen oder halböffentlichen Ämtern oder in irgendeinem bedeutenden Privatunternehmen zu tun hat."

Im Laufe der Zeit und mit dem aufkommenden Kalten Krieg wurden die Entnazifizierungsvorschriften aber immer weiter gelockert. So gelang es schließlich auch Wilhelm Gansel, am 27. Juli 1951 eine endgültige Entlastung durch den Sonderbeauftragten für die Entnazifizierung in Düsseldorf zu erlangen. Damit sah er seine Chance gekommen, wieder in den Polizeiberuf zurückzukehren. So richtete er am 20. August 1951 einen Antrag auf Wiedereinstellung in den Polizeidienst an den Regierungspräsidenten. Zu dieser Zeit schlug sich Wilhelm Gansel als Hilfsarbeiter bei Küppersbusch durch. Diese Arbeit, mit der er wohl an seinen alten Schlosserberuf anknüpfte, übte er nur bis zum 4. Februar 1952 aus. Nach seinem Ausscheiden bei Küppersbusch konnte sich Wilhelm Gansel aber weiter über Wasser halten, weil er seit seiner Entlastung nach dem "Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art. 131 fallenden Personen" vom 11. Mai 1951 ein Ubergangsgeld gezahlt bekam.

Eine Wiedereinstellung lehnte die "Polizeibehörde der Stadt Gelsenkirchen - Chef der Polizei", der in der Frühphase des Landes Nordrhein-Westfalen bzw. der Bundesrepublik noch kommunalen Polizei, aber ab. Sprachlich recht ungeschickt begründete man die Verweigerung der Wiedereinstellung damit, daß "er [Gansel] von 1933-1945 der SA in Gelsenkirchen und seit 1944 als Hauptsturmbannführer angehört hat. Außerdem war er für den Nationalsozialismus sehr aktiv tätig. Dieses ist sowohl der Polizeibeamtenschaft als auch einem Teil der Gelsenkirchener Bevölkerung bekannt. Eine Wiedereinstellung des G. würde weder von der Polizeibeamtenschaft sowie von einem Teil der Gelsenkirchener Bevölkerung verstanden werden."

Erst nach der schrittweise erfolgten und mit dem "Gesetz über die Organisation und die Zuständigkeit der Polizei im Lande Nordrhein-Westfalen" vom 11. August 1953 abgeschlossenen neuerlichen Verstaatlichung der Polizei, die wieder unter Landeshoheit organisiert wurde, besserten sich die Chancen Wilhelm Gansels zur Wiedereingliederung in den Polizeidienst. Nach einem erneuten Wiedereinstellungsgesuch wurde der Leiter der Gelsenkirchener Kriminalpolizei zur Stellungnahme aufgefordert. In dessen Antwort hieß es dann am 16. Juni 1955: "Gansel ist eine gereifte, ausgeglichene Persönlichkeit mit einwandfreiem, offenem und ehrlichem Charakter. Seine dienstlichen Leistungen sind den alten Beamten der Behörde noch gut in Erinnerung. Hervorzuheben sind seine stete Einsatzbereitschaft und seine umfassenden Orts- und Personenkenntnisse in Gelsenkirchen. In dienstlicher und privater Hinsicht hat Gansel während seiner etwa 25jährigen Dienstzeit bei der Kriminalpolizei keinen Anlaß zu Beanstandungen gegeben. Seine Wiedereinstellung wird voll befürwortet."

Nach dieser positiven Stellungnahme stellte man Wilhelm Gansel nach einer "Wartezeit" vom 9. Mai 1945 bis 30. Juni 1955 ab 1. Juli 1955 als Kriminalsekretär beim Gelsenkirchener 5. Kommissariat wieder ein. Etwas mehr als ein Jahr später, am 7. September 1956, erhielt er seine Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit. Noch kurz vor dem Eintritt in den Ruhestand wurde Gansel 1956 zum Kriminalobersekretär befördert. Am 31. März 1957 erfolgte dann die Versetzung des Polizeibeamten Wilhelm Gansel in den Ruhestand. Wilhelm Gansel verstarb schließlich am 6. Juni 1966.

Quelle: Stefan Goch "Mit einer Rückkehr nach hier ist nicht mehr zu rechnen" - Verfolgung und Ermordung von Sinti und Roma während des "Dritten Reiches" im Raum Gelsenkirchen, Essen 1999. Kriminalsekretär Wilhelm Gansel, S.40-43.


Andreas Jordan, Projektgruppe STOLPERSTEINE Gelsenkirchen. Juli 2017.

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