STOLPERSTEINE GELSENKIRCHEN

Die Dabeigewesenen - Gelsenkirchen 1933–1945


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Von NS-Täter/innen, Profiteuren, Denunziant/innen, Schweigenden und Zuschauer/innen

Wilhelm Bester

Wilhelm Bester, zeitweise z. Schriftführer im Vorstand des FC Gelsenkirchen-Schalke 04, schilderte in seinem Entnazifizierungsverfahren seine Situation im Jahr 1933 und verdeutlichte damit auch Individuelle Zwangslagen - natürlich mit dem Ziel, sein Handeln zu rechtfertigen und zu entschuldigen.

Wilhelm Bester hatte am 21. Juli 1897 in Kaldenkirchen das Licht der Welt erblickt. Er hatte die Volksschule besucht und anschließend eine kaufmännische Ausbildung abgeschlossen. In Gelsenkirchen war er am 30. April 1931 bei den Mannesmann Röhrenwerken als Büro-Angestellter wegen Arbeitsmangels entlassen worden. Vom 1. Mai 1931 bis zum 30. April 1935 war Wilhelm Bester dann arbeitslos.

Er trat der NSDAP ab 1. Mai 1933 mit der Mitgliedsnummer 2.461.588 bei und wurde stellvertretender Schriftwart in der Ortsgruppe der Partei, wofür er geringfügig entlohnt wurde. Im Mai 1935 fand er durch Vermittlung der Partei als Hilfskraft Arbeit beim Gelsenkirchener Arbeitsamt. Von hieraus gelang es ihm ab 18. Oktober 1938, eine Stelle als Arbeitsvermittler beim Arbeitsamt Olpe zu erlangen. Am 29. November 1939 wurde Wilhelm Bester dann zur Marine (Flak) eingezogen. Entlassen aus britischer Kriegsgefangenschaft in Heide in Holstein, nahm er am 29. Juni 1945 seine Tätigkeit beim Arbeitsamt Olpe wieder auf. Dort wurde er wegen seiner Zugehörigkeit zur NSDAP am 30. November 1945 vom Dienst suspendiert. In einem Schreiben an den Bürgermeister von Olpe wegen seiner Entlassung beim Arbeitsamt, das auch in Teilen den Entnazifizierungsbehörden vorgelegt wurde, beschrieb Wilhelm Bester seine Situation: »Ende April 1931 wurde ich arbeitslos. Trotz, eifrigster Bemühungen gelang es mir nicht, wieder in Beschäftigung zu kommen. Da ich eine fünfköpfige Familie zu unterhalten hatte, traf mich das Los der Arbeitslosigkeit besonders hart. Die geringe Unterstützung reichte kaum für den notwendigsten Lebensunterhalt, so dass ich in meinen wirtschaftlichen Verhältnissen von Tag zu Tag weiter zurückkam.

Bis zum Jahre 1933 hatte ich mich um Politik nicht gekümmert. Nachdem die NSDAP die Regierung übernommen hatte, wurde ich von mir wohlgesinnten Bekannten darauf hingewiesen, dass es zweckmäßig sein würde, wenn ich mich der Partei anschlösse. Unter anderen Verhältnissen würde ich die Vorschläge zurückgewiesen oder sie zumindest einer eingehenden Prüfung unterzogen haben, da sie für mich wegen meines mangelnden politischen Interesses einen ungewöhnlichen Schritt zum Ziele hatten. In meiner damaligen verzweifelten Lage war ich jedoch für jeden Hinweis, der mir die Möglichkeit eröffnete, wieder eine auskömmliche Tätigkeit zu finden, besonders empfänglich. Ich ließ mich deshalb leicht von der Zweckmäßigkeit des Eintritts in die Partei überzeugen und erwarb die Mitgliedschaft ab 1. Mai 1933. Meine darauf gesetzten Hoffnungen erfüllten sich jedoch auch nicht. Ich wandte mich deshalb an den fürnich zuständigen Ortsgruppenleiter und bat diesen, mich in meinen Bemühungen zu unterstützen. Da mir dieser auch sofort nicht helfen konnte, bot er mir an, zunächst eine Beschäftigung als Schreibkraft bei der Ortsgruppe anzunehmen. Mit auskömmlichen Einkommen sei die Tätigkeit zwar nicht verbunden, doch sicherte sie mir eine kleine Nebeneinnahme von RM 10.- bis 15.- wöchentlich.

Da dieser Betrag für meine damaligen Verhältnisse sehr beträchtlich war, ging ich auf den Vorschlag ein und übernahm die Arbeit gegen Oktober 1933, damit verbunden war die Ernennung zum stellvertretenden Schriftwart. Wenn nun angenommen wird, dass ich in dieser Tätigkeit wichtige Aufgaben zu erledigen gehabt hätte, dann trifft das nicht zu. Dieses konnte schon deshalb nicht zutreffen, weil ich politisch ungeschult und an politisches Denken nicht gewöhnt war. Zwar befand ich mich tagsüber allein auf dem Ortsgruppenbüro, da der Ortsgruppenleiter beruflich tätig und nur in den Abendstunden anwesend war. Während seiner Anwesenheit erledigte er selbst alle wichtigen Vorfälle. Meine Aufgaben bestanden lediglich darin, telefonische Anrufe anzunehmen und soweit es sich um wichtige Angelegenheiten handelte, die Anrufer an den Ortsgruppenleiter zu verweisen. Etwaige Besucher der Ortsgruppe hatte ich in gleicher Weise abzufertigen. Ferner oblag mir die Laufendhaltung der Mitgliederkartei und die Erledigung der sonst vorkommenden, in jedem Fall aber unwesentlichen Arbeiten. Meine Arbeiten gaben mir keinerlei Gelegenheit, in interne Angelegenheiten der Partei einzudringen. Auch hatte ich keinerlei Vollmachten oder Befugnisse.

Eine mir im Laufe der Beschäftigung angebotene Tätigkeit bei der Deutschen Arbeitsfront habe ich abgelehnt, da mir die Arbeit in einem Parteibüro nicht zusagte und ich mir eine Dauer Beschäftigung auf diesem Gebiet nicht vorstellen konnte. Die Tätigkeit bei der Ortsgruppe gab ich Ende April 1935 auf, da ich ab 1. Mai 1935 auf Grund eigener Bewerbung als Angestellter beim Arbeitsamt eingestellt wurde. Bei meinem Ausscheiden stellte mir der Ortsgruppenleiter das im ersten Absatz erwähnte Zeugnis aus. Wenn er darin meine Fälligkeiten und Leistungen sowie auch meine politische Zuverlässigkeit besonders hervorhob, dann geschah das lediglich in der Absicht, mir zu helfen. Durch zuverlässige und pünktliche Friedigung der mir von ihm übertragenen Arbeiten, hatte ich sein Wohlwollen erworben. Die Fassung des Zeugnisses hatte deshalb nur den einen Zweck, mir nach vierjähriger Arbeitslosigkeit den Weg zu einer auskömmlichen Dauerbeschäftigung zu ebnen. Das Zeugnis stellt das dar, was man für gewöhnlich unter einer Gefälligkeitsbescheinigung versteht. Beim Arbeitsamt Gelsenkirchen blieb ich bis zum 17.10.1938, ab 18.10. wurde ich zum Arbeitsamt Olpe versetzt. Seit diesem Zeitpunkt sind von mir keine Parteibeiträge mehr bezahlt worden. Eine Ummeldung zur Ortsgruppe Olpe ist nicht erfolgt, ich bin dieser als Parteimitglied überhaupt nicht bekannt geworden. An Parteiveranstaltungen in Olpe habe ich in keinem Fall teilgenommen. Mit Ausbruch des Krieges wurde ich zur Wehrmacht - Marine - einberufen. Bis Kriegsende blieb ich Soldat, und wie eingangs dieser Berufung bereits erklärt, am 29.6.1945 aus britischer Kriegsgefangenschaft entlassen. Auch während der Zugehörigkeit zur Wehrmacht habe ich mich in keiner Weise um Politik bekümmert, sondern lediglich meine soldatische Pflicht erfüllt. [...] Dass ich 1938 meine Verbindung mit der ev. Bekenntniskirche löste, erklärt sich daraus, dass meine jetzige Frau, mit der ich damals verlobt war, gottgläubig war. Obwohl sie selbst darin keine Befriedigung fand, erschien uns der Zeitpunkt für den Wiedereintritt in die Kirche wegen meiner Stellung im öffentlichen Dienst zu ungünstig. Da wir jedoch in Kürze zu heiraten gedachten, erklärte ich mich bereit, um die religiöse Übereinstimmung herbeizuführen, ebenfalls aus der Kirche auszutreten. Dieses geschah von vornherein in der Absicht, der Kirche wieder beizutreten, sobald es die Umstände erlauben würden. Ich habe dann auch nach meiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft die erforderlichen Schritte eingeleitet und gehöre jetzt der ev. Bekenntniskirche wieder an. [...] Die obigen Ausführungen lassen m.E. klar erkennen, dass die durch meine Dienstentlassung erfolgte harte Bestrafung unbegründet ist und deshalb zu Unrecht besteht. Die Mitgliedschaft bei der Partei war aus der Not geboren, sie wurde beendet, als diese im Wesentlichen beendet war und ich an ihrem Fortbestehen kein Interesse mehr haben konnte. Dem Erlöschen habe ich nicht nur nicht entgegengewirkt, sondern ihre Beendigung bewusst herbeigeführt, gleiches gilt auch für die politische Betätigung. Eindeutiger kann man nach meiner Ansicht der formale Charakter sowohl der Mitgliedschaft als auch der politischen Tätigkeit nicht bewiesen werden.«

Der Entnazifizierungs-Kreis-Ausschuss kam zu dem Ergebnis »Bester kann als nur nominelles Mitglied der NSDAP bezeichnet werden. Als aktiver Nationalsozialist ist er nie in Erscheinung getreten.«

Quelle: Stefan Goch, Norbert Silberbach: Zwischen Blau und Weiß liegt Grau. Der FC Schalke 04 in der Zeit des Nationalsozialismus, Essen 2005. S.122-124


Andreas Jordan, Projektgruppe STOLPERSTEINE Gelsenkirchen. Juli 2017.

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