STOLPERSTEINE GELSENKIRCHEN
Die Dabeigewesenen - Gelsenkirchen 1933–1945

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Von NS-Täter/innen, Profiteuren, Denunziant/innen, Schweigenden und Zuschauer/innen
Nationalfeiertag: 1. Mai
Ab 1933 erklärten die Nationalsozialisten den 1. Mai zum "Tag der nationalen Arbeit". Ihr Ziel war es jedoch nicht, die Rechte freier Gewerkschaften zu fördern, sondern diese zu zerschlagen. Am 1. Mai 1933 riefen die Nationalsozialisten zu Massenkundgebungen im ganzen Reich auf. Am darauffolgenden Tag besetzten Polizei und SA die Gewerkschaftshäuser im gesamten Reich und verhafteten zahlreiche Gewerkschaftsfunktionäre. Diese beiden Tage markierten das Ende freier Maifeiern in Deutschland bis zum Ende der Herrschaft des Nationalsozialismus.
Nur drei Monate nach der Machtübergabe an Hitler beherrschten die Nationalsozialisten auch in Gelsenkirchen die Öffentlichkeit vollständig. Dies jedenfalls will die Presse mit ihrer Berichterstattung über den ersten "Tag der nationalen Arbeit" in Wort und Bild glaubhaft machen. Angeblich 100.000 Menschen, eine zuvor nie erreichte Teilnehmerzahl, beteiligten sich am Marsch durch die schwarz-weiß-roten und Hakenkreuzfahnen geschmückte Stadt zum Flugplatz, darunter zahlreiche Gruppen, die vorher nie auf die Idee gekommen wären, sich an Maifeiern zu beteiligen, wie die Besucher von Gottesdiensten aus allen Stadtteilen, der Stahlhelm und die Kriegsvereine. Auf dem Flugplatz lauschten die Massen einer Rundfunkübertragung der Maifeier aus dem Berliner Lustgarten.
Zuvor hatten örtliche Vertreter der NSDAP das Hohelied auf die 'Volksgemeinschaft' angestimmt, einer Gemeinschaft, die die Klassenauseinandersetzungen der Vergangenheit endgültig überwunden habe. Nach einer "Mittagspause" marschierten am späten Nachmittag erneut 100.000 Gelsenkirchener zum Flugplatz, um jetzt der Übertragung der Mairede Hitlers beizuwohnen.
Der "Tag der nationalen Arbeit" wurde 1933 bis 1935 jeweils mit einer zentralen Kundgebung auf dem Flugplatz Rotthausen begangen. Nach dem offensichtlich nicht so erfolgreichen Versuch von 1936, dezentrale Veranstaltungen in Ortsgruppen und Betrieben durchzuführen, fanden ab 1937 Maifeiern wieder zentral auf dem baulich entsprechend umgestalteten Wildenbruchplatz an der Ausstellungshalle statt. In Buer war die Löchterheide, in Horst die Rennbahn Austragungsort der Maifeiern.

Abb.1: Festwagen des "Bergarbeiterstandes" beim 1936 in Gelsenkirchen
So zählten zu den Veranstaltungen zum 1. Mai stets der der massenhafte 'Gemeinschaftsempfang' der Führerrede, aber auch große Betriebsappelle und Massenaufmärsche der "Batallione der Arbeit". Mit dem Aufmarsch von Berufsgruppen in ihrer Berufskleidung und mit Symbolen ihrer Werkzeuge bemühte man sich, die ständische Gliederung der 'Volksgemeinschaft' zu versinnbildlichen. Festwagen der Handwerkerinnungen, die im Maiumzug seit 1935 mitgeführt wurden, dürften der Maiveranstaltung fast karnevalsähnlichen Charakter verliehen haben, besonders auch, wenn die Bäckerinnung von ihrem Wagen Brezeln und Bonbons verteilte und die Fleischer Würstchen verschenkten. Weiterhin suchte man bei bei den Feiern zum "Tag der nationalen Arbeit" überkommenes deutsches Brauchtum einzubeziehen.
Im Krieg, erst recht mit der sich abzeichnenden Niederlage des "Dritten Reiches", verlor der 1. Mai an Bedeutung. Insbesondere ging es den Nationalsozialisten im Krieg darum, den 1. Mai nicht als Arbeitstag zu verlieren. Maifeiern wurden deshalb auf einen Sonntag vor oder nach dem 1. Mai verlegt, oder es wurde die Tradition der Mai-Vorabend-Feste aufgegriffen. Schon 1940 "begnügte man sich mit Betriebsappellen in den Werken" und Feiern der Ortsgruppen. Das gleiche gilt für 1941. Die Inhalte der während des Weltkrieges aus anlaß des 1. Mai gehaltenen Reden konzentrierten sich weniger auf die Propagierung des Volksgemeinschaftsgedankens, als vielmehr auf die Beschwörung der "deutschen Schicksalsgemeinschaft" und Durchhalteparolen angesichts der Belastung der Arbeitskräfte.
Am Vorabend des 1. Mai 1940 wurde von der NS-Gemeinschaft "Kraft durch Freude" in einer "Feierstunde des schaffenden deutschen Menschen" das "Oratorium der Arbeit" von Georg Böttcher im Saal des Gelsenkirchener Hans-Sachs-Hauses aufgeführt. In dem Stück wurde nach einer verherrlichenden Darstellung der Hand- bzw. Industriearbeit wie auch die Arbeit der Bauern - Arbeit allgemein als "Sinn des Lebens" bezeichnet und auf die vaterländische Bedeutung der Arbeit hingewiesen. Die Arbeit wurde mehr und mehr zum Dienst an der "Heimatfront" stilisiert. Und so wurde 1941 gelobt, "daß wir in unauslöschlicher Dankbarkeit gegenüber dem Führer und seinen Soldaten auch weiterhin unsere Pflicht erfüllen wollen". Im Sinne der Volksgemeinschaftsideolgie wies man besonders auf die insgesamt allerdings nur geringfügigen Verbesserungen in den Betrieben hin, die im Zusammenhang mit dem "Leistungskampf der Betriebe" erreicht worden waren. 1942 fand die Maifeier am 2. Mai statt. "Von öffentlichen Feiern wurde, der Zeit entsprechend, Abstand genommen". Viele Gelsenkirchener nutzten den Tag zur Erholung von der Überbenspruchung in den Betrieben, die für die Kriegsproduktion zahlreiche Sonderschichten fuhren. Als 1943 der 1. Mai auf einen Sonnabend fiel, wurde in weiteren Durchhalteappellen auf die Bedeuttung der Arbeit an der "Heimatfront" hingewiesen.
Vgl.: Stefan Goch, Tag der nationalen Arbeit - Inszenierung der Volksgemeinschaft, in: Heinz-Jürgen Priamus/Stefan Goch (Hg.), Macht der Propaganda oder Propaganda der Macht? Inszenierung nationalsozialistischer Politik im "Dritten Reich" am Beispiel der Stadt Gelsenkirchen, Essen 1992, S. 68-74;
* * *

Abb.2: NS-Propaganda im Spiegel der Lokalpresse, hier: Gelsenkirchener Allgemeine Zeitung v. 28. April 1937, Abschrift:
Der 1. Mai in Gelsenkirchen
Der Aufmarschplan zum Nationalen Feiertag-Gemeinschaftsempfang
auf dem Wildenbruchplatz
Alle Volksgenossen schließen sich an
Der Gemeinschaftsempfang am 1. Mai findet in diesem Jahre auf dem Wildenbruchplatz statt. Die Ortsgruppen treten nach nachstehendem Aufmarschplan an und haben unbedingt den Marschweg einzuhalten.
Aufmarschplan
10.30 Uhr: Ortsgruppe Feldmark - Sammelplatz Küppersbuschstraße. Zollverein-, Hindenburg-, Wildenbruchstraße. |
10.30 Uhr: Ortsgruppen Rotthausen Ost und Rotthausen West - Sammelplatz Rotthauser Markt. Steeler-, Rotthauser Straße, Wiehagen, Peter-, Wicking-, Vohwinkel-, Heinrich-, Wildenbruchstraße. |
10.30 Uhr: Ortsgruppe Heßler - Sammelplatz Ecke Feld- Haldenstraße. Herzog-, Wilhelminen-, Overweg-, Hindenburg-, Vohwinkel-, Heinrichstraße. |
11.00 Uhr: Ortsgruppen Altstadt und Wiese - Sammelplatz Wiese. Bismarckstraße, Neumarkt, Kirch-, Ring-, Wildenbruchstraße. |
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10.30 Uhr: Ortsgruppen Schalke und Schalke Ost - Sammelplatz Schalker Markt. Kaiser-, Franz-Bielefeld-, Luitpold-, Ring-, Kirch-, Heinrichstraße. |
11.00 Uhr Ortsgruppe Wildenbruch - Sammelplatz Heinrichplatz. Heinrich-, Wildenbruchstraße. |
10.30 Uhr: Ortsgruppen Bismarck und Bismarck West - Sammelplatz Bürgerplatz. Bismarck-, Schützen-, Wanner-, Heinrichstraße.
| 11.00 Uhr: Ortsgruppe Ückendorf - Sammelplatz Dessauerstraße. Ückendorfer-, Hohenzollern-, Wildenbruchstraße. |
10.30 Uhr: Ortsgruppen Bulmke und Hüllen - Sammelplatz Schalker Verein. Wanner-, Hohenzollern-, Wildenbruchstraße. |
11.00 Uhr: Ortsgruppe Aschenbruch - Sammelplatz Almastraße. Ückendorfer-, Hohenzollern-, Wildenbruchstraße. |
| 11.00 Uhr: Ortsgruppe Neustadt - Sammelplatz Rheinelbestraße. Bochumer-, Dessauer-, Ückendorfer-, Hohenzollern-, Wildenbruchstraße. |
| 11.00 Uhr Ortsgruppe Wildenbruch - Sammelplatz Heinrichplatz. Heinrich-, Wildenbruchstraße. |
Alle Volksgenossen, die keiner Betriebsgemeinschaft angehören, wollen sich innerhalb ihres Ortsgruppenbereiches der Ortsgruppe anschließen. Kriegsbeschädigte und Arbeitsopfer können gegen Ausweis Karten für Sitzgelegenheiten bei der Geschäftsstelle der
NSKOV*, Heysestraße 1, in Empfang nehmen. *NS-Kriegsopferversorgung

Abb.3: NS-Propaganda im Spiegel der Lokalpresse, hier: Gelsenkirchener Allgemeine Zeitung v. 3. Mai 1937, Abschrift:
Fahnen / Fröhlichkeit / Freude
Der Nationalfeiertag 1937 im NSDAP.- Kreis Buer - Der Aufmarsch der sieben Ortsgruppen
Auch im NSDAP.-Kreis Buer war der Nationalfeiertag des deutschen Volkes ein neuer Anlaß für ein gemeinsamemes Bekenntnis der ganzen Bevölkerung zur nationalsozialistischen deutschen Volksgemeinschaft. Anstelle einer geschlossenen Großfeier des Kreises fanden sich in jeder Ortsgruppe eigene Festveranstaltungen statt. Bei dieser Gelegenheit konnten in verschiedenen Ortsgruppen Freikarten für die in Kürze stattfindende Moselfahrt der NS-Gemeinschaft "Kraft durch Freude" verlost werden.
Bereits am Vortage klangen in allen Ortsgruppen die Lieder der Jugend durch die Straßen. HJ und BDM zogen mit ihren Maibäumen zu den Maifestplätzen. Froher Tanz unter den flatternden Wimpeln des Maibaums schloß den der Jugend gehörenden Vorabend des Nationalfestes. Aber auch am Morgen des Nationalfeiertages war die Jugend es wieder, der der Tag zuerst gehörte. Während in den zahlreichen Betrieben die Gefolgschaften zum festlichen Betriebsappell antraten, marschierte die Jugend zum Gemeinschaftsempfang der Reichsjugendkundgebung auf.
In Buer-Mitte I versammelten sich die nationalsozialistische Jugend zum Gemeinschaftsempfang im Schauburgtheater. Vor Beginn der Reichsübertragung nahm NSDAP-Ortsgruppenleiter Heimann die Auszeichnung der Reichsberufswettkampfsieger des Ortsgruppenbereiches vor. Während die Jugend dann die Berliner Kundgebung anhörte, marschierten auf dem Neumarkt die Politischen Leiter, die Gliederungen und Formationen der Partei, die Gefolgschaften der verschiedenen Behörden und Betriebe usw. auf. Unter klingendem Spiel setzte sich alsbald von hier aus ein stattlicher Festzug, in dem auch vier prächtig geschmückte Wagen mitgeführt wurden, in Bewegung, der nach etwa einstündigem Marsch schließlich zum Buerschen Stern führte, wo der abschließende Vorbeimarsch vor dem Kreisleiter erfolgte
Danach begaben sich die Tausende in zwei großen Gruppen in die Schauburg und in das NB-Theater zum Gemeinschaftsempfang des Berliner Staatsaktes mit der Führeransprache.
Buer-Mitte II sah die Jugend am Freitagabend auf dem Speilplatz an der Ecke Sedan- und Moltkestraße versammelt, wo die Jungen und die Mädel nach dem Maibaumsetzen den Tag mit fröhlichem Tanz und Spiel beschlossen. Wiederum trat dann die Jugend zu Füßen des Maibaumes zusammen zum Gemeinschaftsempfang der Reichskundgebung.
Zwischen die Jugendkundgebungen und den Staatsakt eingeschaltet war auch in Buer-Mitte II ein Festzug zur Ludgerischule, auf deren Schuhlhof die Bevölkerung, die sich zumeist aus Arbeitskameraden der Hugo-Schächte zusammensetzt, der Gemeinschaftsempfang des Staatsaktes erfolgte
Erle hatte gleichfalls alles getan zu einer würdigen Ausgestaltung des Tages. Der Marktplatz war sowohl am Freitagabend anläßlich des Maibaumpflanzens wie am Sonnabendmorgen und am Sonnabendnachmittag der Mittelpunkt für das schaffende Volk zwischen Forsthaus und Grenzstraße. Zwischendurch sah die Bevölkerung, soweit sie zu Hause geblieben war, einen stattlichen Festzug durch die fahnen- und grüngeschmückten Straßen von Erle-Middelich marschieren, der auf dem Festplatz am Markt endete.
Buer-Resse als die älteste Ortsgruppe des Kreises wie des ganzen Gaues Westfalen-Nord versammelte sich am Freitagabend mit der Jugend um den auf dem Marktplatz aufgestellten Maibaum, wo auch die Jugendkundgebung und der Gemeinschaftsempfang stattfanden. Ganz Resse zeigte zu diesem Tage reichsten Fahnen- und Grünschmuck überall.
Buer-Beckhausen bot ein überaus festliches Bild. Am Vorabend pflanzte die Jugend auf dem Marktplatz den Maibaum. Ein prachtvolles, von der Feuerwehr Beckhausen betreutes Feuerwerk vor Tausenden von Volksgenossen beendete den Vorabend. Am Morgen des Festtages fand im Saale Hatterscheidt der Gemeinschaftsempfang der Jugend statt, wobei Ortsgruppenleiter Böhm die Sieger des Reichsberufswettkampfes auszeichnete. Vor Beginn der Übertragung des Berliner Staatsaktes sprachen Ortsgruppenleiter Böhm und DAF-Ortsobmann Peters zu der Gemeinschaft des schaffenden Volkes.
Buer-Hassel feierte den Nationalfesttag ebenfalls unter Anteilnahme der gesamten Bevölkerung. Vor dem Zechengasthaus stand der bunte Maibaum. Hier fand sich auch die junge Generation zum Gemeinschaftsempfang der Reichsjugendkundgebung zusammen, nach der ein Marsch durch die Siedlungstraßen unternommen wurde. In langen Kolonnen marschierten nachher die Politischen Leiter, die Formationen und Gliederungen der Bewegung und viele weitere schaffende Volksgenossen zum Gemeinschaftsempfang des Staatsaktes auf dem Marktplatz auf, während die Gefolgschaft der Schachtanlage Bergmannsglück zur gleichen Stunde auf dem Zechenplatz versammelt war, wo vor Beginn der Staatsübertragung die Auszeichnung der Reichsberufswettkampfsieger erfolgte.
Auf dem Scholvener "Stern", an der Ecke Feldhauser- und Nienkampstraße, wurde Freitagabend der Maibaum aufgerichtet. Und auch am Morgen des Festtages marschierte die Jugend wieder hierhin, um am Lautsprecher der Berliner Jugendkundgebung beizuwohnen. Kurze Zeit danach setzten sich dann die Gefolgschaften der Scholvener Großbetriebe mit den Politischen Leitern, den Gliederungen und Formationen in Marsch zum Gemeinschaftsempfang, vor dessen Beginn Ortsgruppenleiter Erlemann eine kurze Ansprache hielt.
Am Abend des 1. Mai fanden dann zum fröhlichen Ausklang des Tages in sämtlichen Gaststätten Feiern der Gefolgschaften statt.
Abbildungen:
1: Stadtarchiv Gelsenkirchen, Foto Müller
2+3: Zeitungsportal NRW, Abruf 1/2025
Andreas Jordan, Projektgruppe STOLPERSTEINE Gelsenkirchen. Januar 2025.
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