STOLPERSTEINE GELSENKIRCHEN
Die Dabeigewesenen - Gelsenkirchen 1933–1945

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Von NS-Täter/innen, Profiteuren, Denunziant/innen, Schweigenden und Zuschauer/innen
Hugo König
SS-Mann König zu 3½ Jahren Gefängnis verurteilt
Milde Strafe für sadistische Quälereien im Jahre 1933
Angeklagter enthüllt "Liquidierung" eines höheren SA-Führers auf dem Reichsparteitag 1938
Unter Vorsitz des Landgerichtsdirektors Rüdlien fällte die Strafkammer 4 des Landgerichts Essen in eintägiger Verhandlung das Urteil gegen den des Verbrechens gegen die Menschlichkeit angeklagten ehemaligen SS-Mann Hugo König aus Buer, Westerholter Straße 30. Die Anklage legt ihm zur Last, Im Jahre 1933 in mindestens 11 Fällen politische Gegner unmenschlich mißhandelt zu haben. 11 Zeugen, die meist heute noch an den Folgen dieser Mißhandlungen leiden, belasteten den Angeklagten erheblich. Das Urteil lautete auf. 3½ Jahre Gefängnis wegen schwerer Körperverletzung in 6 Fällen; §§ 223 und 223a StGB, in Verbindung mit Verordnung Nr. 10 (Verbrechen gegen die Menschlichkeit).
Die I C der damaligen SA-Sturmbanne III und IV hätte im Jahre 1933 Im Rathaus Buer, Zimmer 71, ihre sogenannte Exekutive aufgeschlagen. Hier waren Sturmbannführer Schroth und der Erler SA-Führer Jakubek unumstrittene Herrscher über Leben und Tod ihrer politischen Gegner. Den Antifaschisten aus Buer und Umgebung schwebten die Begriffe "Exekutive" und "Zimmer 71" wie ein Damoklesschwert drohend und beunruhigend über den Köpfen. Ein kahles Zimmer mit einem Tisch, darauf eine Schreibmaschine, vor dem Tisch ein Prügelbock, und an der Wand hängend Gummischläuche aller Größen waren der Schauplatz unzähliger Quälereien. König sagte aus: "Die Prügelei ging am laufenden Band" und "es wurde ziemlich fest geschlagen".
Der Angeklagte, der als SS-Mann zur "Auslese der arischen Rasse" gehörte, erweckt die Vorstellung, als habe man einen Urmenschen vor sich. Der bloße Anblick des unförmigen Kopfes mit der niedrigen fliehenden Stirn auf "einem riesigen ungeschlachten Körper, kann allein schon Furcht erwecken. Und dazu wurde König, der freiwillig als emsiger SS-Mann unter den SA-Leuten dieser I C an den Prügeleien teilnahm, auch benutzt. Wenn ein Opfer nicht aussagen wollte, wie es Sturmbannführer S c h r o t h wollte, hieß es: "Sehen Sie sich mal den König an, der nimmt Sie gleich in die Kur. Und der König tat dies nur zu gern.
Den Zeugen W i e c h e r t schlug er so brutal, daß er heute, noch ein Schatten seines früheren Seins ist und sich mühevoll an zwei Krücken vorwärts schleppen muß. Anderen ist es ähnlich ergangen, so u. a. dem Zeugen Drechsel, der als Mitglied der KPD vor 1933 oft mit König in offener anständiger Art über politsche Fragen debattiert hatte. Besonders in diesem Falle hat das Gericht entschieden zu milde geurteilt. Aus den Zeugenaussagen ging hervor, daß König die Absicht hatte, Drechsel zu ermorden. Um dies in möglichst schmerzhafter Form zu vollziehen, sollte die Ermordung nicht mit einer Pistole, sondern mittels Stahlruten und Polizeigummiknüppeln erfolgen. Als nach der Tat Drechsel noch lebend, in einer Zelle auf dem Boden lag, sagte König: "Das Schwein ist noch immer nicht kaputt". Nur In diesem Falle gab der Angeklagte zu, geschlagen zu haben. Alle weiteren Fälle bestritt er.
Im Laufe der Verhandlung gab König zu verstehen, daß er 1939 aus der SS ausscheiden wollte, weil er beim Reichsparteitag 1938 zu viel gesehen hätte. Unser Berichterstatter, hatte in einer Verhandlungspause Gelegenheit, den Angeklagten zu sprechen und erfuhr von ihm, daß er Zeuge der "Liquidation" eines höheren SA-Führers gewesen sei... von dem es hinterher hieß, er sei spurlos verschwunden.
Quelle: Zeitungsartikel aus Westfälisches Volks-Echo vom 13. Juni 1947 in "Gelsenkirchen im Nationalsozialismus: Katalog zur Dauerausstellung der Dokumentationsstätte Gelsenkirchen (Schriftenreihe des Instituts für Stadtgeschichte (ISG) - Materialien, Bd.5), 1. Auflage, November 2000"
Die Nazi-Folterkammer im Rathaus Buer
Aburteilung des SS-Verbrechers Hugo König

Quelle: Zeitungsartikel aus Westfälische Rundschau vom 14. Juni 1947 in "Gelsenkirchen im Nationalsozialismus: Katalog zur Dauerausstellung der Dokumentationsstätte Gelsenkirchen (Schriftenreihe des Instituts für Stadtgeschichte (ISG) - Materialien, Bd.12), 1. Auflage, August 2017,S.249 "
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Die Namen folgender, im Rathaus Gelsenkirchen-Buer im Jahr 1933 von SA und SS-Angehörigen im Zimmer 71 gequälten und misshandelten politisch Andersdenkenden und Regimegegner sind bekannt:
1. Fall Willi Ruschinski
Der Zeuge Ruschinski wurde im Sommer 1933 von der Gestapo mit einem Brief zum Zimmer 71 geschickt. Dort wurde er über einen Tisch geworfen und, nachdem man ihm einen Mantel über den Kopf geworfen hatte, von 5 Personen, unter denen sich der Angeschuldigte befand, bis zur Besinnungslosigeit mit Gummiknüppeln geschlagen.
2. Fall Gustav Wiechert
Der Zeuge Wiechert wurde am 23.11.1933 von drei SA-Männern aus seiner Wohnung geholt und zum Zimmer 71, von dort zum Polizeigefängnis gebracht. Hier wurde er von mehreren Personen über einen Tisch geworfen und so mit Gummiknüppeln zugerichtet, das er 14 Tage nur auf dem Bauch liegen konnte. Der Angeschuldigte hat sich an der Misshandlung beteiligt.
3. Fall Paul Fischer
Der Zeuge Fischer wurde am 3.11.1933 zu einer Vernehmung auf Zimmer 71 bestellt. Da er die Beschuldigungen abstritt, wurde er von mehreren Personen aber einen Tisch geworfen und mit Gummiknüppeln besinnnungslos geschlagen. Als er nach einem Wasserguss wieder zu sich kam, begann die Misshandlung in derselben Weise von neuem. Dar Angeschuldigte war daran massgeblich beteiligt.
4. Fall Rudolf Puls
Der Zeuge Puls wurde am 3.11.1933 von zwei SA-Männern festgenommen und zum Zimer 71 gebracht. Hier befanden sich etwa sechs Personen, darunter der Angeschuldigte. Da der Zeuge gegen seine Festnahne protestierte, wurde er wie in den Fällen 1-3 besinnungslos geschlagen.
5. Fall Hermann Drechsel
Der Zeuge Drechsel wurde Mitte Oktober 1933 von drei SA-Männern festgenommen und zum Zimmer 71 gebracht, wo er Angaben über kommunistische Funktionäre machen sollte. Da er sich weigerte, wurde er in Abständen zwei Stunden lang in der geschilderten Weise mit Totschlägern und Gummiküppeln misshandelt. Der Hauptbeteiligte war der Angeschuldigte.
6. Fall Franz Lech
Anfang Oktober 1933 drang der Angeschuldigte mit drei SA-Männern in die Wohnung des Zeugen Lech ein und durchsuchten sie nach Waffen und Schriften. Einer der SA-Männer versetzte dem Zeugen mit einem Gummiküppel vier Schläge über Kopf und Schulter.
7. Fall Gustav Siebert
Anfang Oktober 1933 durchsuchte der Angeschuldigte mit drei SS-Männern die Wohnung des Zeugen Siebert nach Schusswaffen. Hierbei wurde dieser von allen vieren mit Gummiknüppeln besinngslos geschlagen.
8. Fall Wilhelm Kolozeizick
Der Zeuge Kolozeizick wurde Ende Oktober 1933 aus seiner Wohnung geholt und zum Zimmer 71 gebracht. Da er keine Aussage machte, wurde er mit Gummiknüppeln bis zur Bewusstlosigkeit geschlagen An der Misshandlung hat sich der Angeschuldigte beteiligt.
9. Fall Johann Balzer
Nach dem Reichtagsbrand 1933 wurde der Zeuge Balzer von der Gestapo in Buer vernommen. Da er Fragen nicht beantwortete, wurde er von dem Angeschuldigten und zwei SA-Männern mit Gummiknüppeln niedergeschlagen.
10. Fall Eduard Schuler
Der Zeuge wurde Anfang Oktober 1933 aus seiner Wohnung geholt und zur Vernehmung zum Zimmer 71 gebracht. Als er keine Aussage machte, wurde er mit Gummiknüppeln geschlagen. Während der Misshandlung kam der Angeschuldigte ins Zimmer und beteiligte sich daran.
11. Fall Otto Hellwig
Der Zeuge Hellwig wurde im März oder April 1934 von dem Angeschuldigten und mehreren SA-Männern aus dem Bett geholt und zur Vernehmung zum Hotel Würzburger Hofbräu* gebracht. Hier wurde er über einen Bock gelegt und mit Gummiknüppeln misshandelt. Der Angeschuldigte hat sich hierbei besonders hervorgetan.
Die vorstehende Auflistung der Fälle ist zu finden in: LAV NRW, Abt. Rheinland, Rep. 0105 Nr. 262 ./. Kaufmann Hugo König aus Gelsenkirchen-Buer wegen Misshandlung von Kommunisten, Aktenzeichen: 29 KLs 5/47
* Im Fall von Otto Hellwig weicht der Tatort ab, Hellwig wurde nach eigenen Angaben von der SA im Hotel Monopol, Springestraße in Gelsenkirchen-Buer (Würzburger Hofbräu) gefoltert.)
Andreas Jordan, Projektgruppe STOLPERSTEINE Gelsenkirchen. August 2017. Edit. (8/2022)
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