STOLPERSTEINE GELSENKIRCHEN
Die Dabeigewesenen - Gelsenkirchen 1933–1945

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Von NS-Täter/innen, Profiteuren, Denunziant/innen, Schweigenden und Zuschauer/innen
Gerhard Maywald
 Abb.: Gerhard Kurt Maywald in SS-Uniform - die Kleidung, die er bei seinen Verbrechen trug. Die Fotografie stammt aus dem Winter 1941/1942 und wurde in einem Waldgebiet in der Nähe von Riga aufgenommen. Die Aufnahme ist überliefert in den Verfahrensakten gegen Maywald. (Fundort: Staatsarchiv Hamburg 0041 – 059, Nr. 79.)
Etwa eine Woche vor Beginn des Russlandfeldzuges am 22. Juni 1941 wurde Maywald durch Fernschreiben des Reichssicherheitshauptamtes von Zwickau nach Berlin befohlen. Sogleich nach seiner Ankunft in Berlin nahm er an einem Vortrag des SS-Brigadeführers Streckenbach, Amtschef im Reichssicherheitshauptamt, vor höheren SS-Führern über Probleme des bevorstehenden sicherheitspolizeilichen Einsatzes in Russland teil. Man kann sich vorstellen, was damit gemeint war ...
Es begann nunmehr Maywalds Osteinsatz. Was sich im Rahmen dessen abgespielt hat, stellt sich nach den Feststellungen in dem Urteil des Landgerichts Hamburg gegen Maywald vom 2. August 1977 so dar:
"Der Angeklagte war während der Zeit seines Osteinsatzes Angehöriger der Einsatzgruppe A. Diese war zuständig für den Operationsbereich der Heeresgruppe Nord (Litauen, Lettland, Estland), später auch für das Gebiet Weißruthenien mit der Hauptstadt Minsk. Sie war untergliedert in einzelne Einsatzkommandos. Der Führer der Einsatzgruppe war bis Ende März 1942 der SS-Brigadeführer Stahlecker. Die Einsatzgruppe A brach nach Beginn des Rußlandfeldzuges von Pretzsch und Schmiedeburg, wo die Einsatzgruppen gesammelt worden waren, auf und erreichte Anfang Juli 1941, kurz nach der Eroberung der Stadt durch die Wehrmacht, Riga. Hier wurden sogleich Ausschreitungen der lettischen Bevölkerung gegen die Juden, sogenannte ‘Selbstreinigungsaktionen’, gefördert und ausgelöst.
Das Einsatzkommando 2, verantwortlich für sicherheitspolizeiliche Maßnahmen im Gebiet Lettland, stellte lettische Kommandos auf und ließ diese bereits Mitte Juli 1941 Massenerschießungen jüdischer Männer in der Umgebung Rigas durchführen (sogenannte Sommerexekutionen). An einer dieser Erschießungen mußten die Angehörigen des Stabes der Einsatzgruppe A auf Befehl Stahleckers als Schützen teilnehmen. Wegen dieses Anklagepunktes ist das Verfahren gegen den Angeklagten gemäß § 154 StPO eingestellt worden. Im Tätigkeitsbericht der Einsatzgruppe A für die Zeit bis zum 15. Oktober 1941 (sogenannter Stahleckerbericht) heißt es:
"Es war von vornherein zu erwarten, daß allein durch Pogrome das Judenproblem im Ostlande nicht gelöst werden würde. Andererseits hatte die sicherheitspolizeiliche Säuberungsarbeit gemäß den grundsätzlichen Befehlen eine möglichst umfassende Beseitigung der Juden zum Ziel. Es wurden daher durch Sonderkommandos, denen ausgesuchte Kräfte – in Litauen Partisanentrupps, in Lettland Trupps der lettische Hilfspolizei - beigegeben wurden, umfangreiche Exekutionen in den Städten und auf dem flachen Land durchgeführt."
Die Einsatzgruppe A hat dementsprechend in Lettland bis Mitte Oktober 1941 30.025 Juden erschossen, während 5.500 Juden in Lettland und Litauen in diesem Zeitraum Pogromen zum Opfer gefallen sind (Anlage 8 zum Stahleckerbericht). Diejenigen Juden Rigas und Umgebung, die den Pogromen und ersten Exekutionen entgangen waren, wurden ab Ende August 1941 zwangsweise in einen geschlossenen Wohnbezirk in der Moskauer Vorstadt, das Rigaer Getto, umgesiedelt. Das Getto wurde am 25. Oktober 1941 geschlossen; im November 1941 lebten hier 29.602 Juden (…). Bereits in den Monaten September und Oktober 1941 waren durch die Zivilverwaltung einschneidende Verordnungen gegen die Juden erlassen worden. Diese liefen nach dem Vorbild der antijüdischen Reichsgesetzgebung darauf hinaus, den Juden alle bürgerlichen Rechte zu nehmen. Im übrigen bereiteten sie den Weg ihrer endgültigen Vernichtung vor. Dies kommt in der (verlesenen) Präambel der ‘Vorläufigen Richtlinien’für die Behandlung der Juden vom 13. August 1941 (…) zum Ausdruck:
"Diese vorläufigen Richtlinien haben nur die Aufgabe, dort und solange Mindestansprüche der General- und Gebietskommissare sicherzustellen, wo und solange weitere Maßnahmen im Sinne einer endgültigen Lösung der Judenfrage nicht möglich sind."
Im Oktober 1941 wurde in Berlin beschlossen, 50000 Juden aus dem Altreich, der Ostmark und dem Protektorat Böhmen und Mähren nach Riga und Minsk zu transportieren. Um für die ankommenden Juden Platz zu schaffen, wurde Ende November/ Anfang Dezember 1941 unter der Leitung des Höheren SS- und Polizeiführers Ostland und Rußland-Nord, des SS-Obergruppenführers Jeckeln, das Rigaer Getto von den lettischen Juden geräumt und in einer mehrtägigen Aktion mindestens 25.000 Juden in den Wäldern außerhalb Rigas erschossen. Nur etwa 4500 Juden der lettischen Bewohner des Gettos blieben von dieser Aktion verschont. Sie bewohnten in der Folgezeit das sogenannte kleine oder lettische Getto.
Anfang Dezember 1941 kamen die ersten Transporte von Juden aus dem Reich auf dem Güterbahnhof Riga-Schirotawa an. Sie wurden entweder im Getto (im großen oder reichsdeutschen Getto), im Männerarbeitslager Salaspils oder auf dem SS-Gut Jungfernhof untergebracht. Viele dieser sogenannten "Reichsjuden" sind infolge der katastrophalen Lebensbedingungen, insbesondere im Lager Salaspils, bereits im Laufe des Winters 1941/42 verhungert oder erfroren. Viele andere, die wegen ihres Alters oder aus anderen Gründen nicht mehr arbeitsfähig waren, wurden in mehreren Aktionen im Getto und auf dem Gut Jungfernhof, die zum Teil Gegenstand der Anklage sind, ausgewählt und in den Wäldern in der Umgebung Rigas erschossen.
Die Lebensverhältnisse im Lager Salaspils sind von allen hierzu gehörten jüdischen Zeugen, insbesondere den eidlich vernommenen Zeugen Alfred Winter, Leo Oppenheimer, Helmut Fürst, Kurt Mendel, Alex Salm und Arthur Sachs, übereinstimmend als besonders schlimm geschildert worden. Primitive Unterbringung in halbfertigen Baracken bei großer Kälte, schlechtes und unzureichendes Essen sowie die Ahndung geringfügigster Vergehen mit der Todesstrafe haben nach den glaubhaften Angaben dieser Zeugen zu einer hohen Zahl von Toten in diesem Lager geführt.
Auf dem Jungfernhof waren die Verhältnisse zwar insgesamt besser. Auch hier gab es jedoch nach der - sicherlich nicht übertriebenen - verlesenen Aussage des ehemaligen Lagerkommandanten Seck vom 17.Dezember 1949 im Winter durchschnittlich 1-3 Tote täglich. Vor diesem allgemeinen Hintergrund muß die Tätigkeit des Angeklagten in Riga gesehen werden, die sich nach seinen eigenen Angaben so darstellte: Maywald fuhr mit einer kleinen Gruppe von Angehörigen des Stabes der Einsatzgruppe A, zu der unter anderem der SS-Sturmbannführer Dr. Rudolf Lange, die Zeugen Trühe und Münch gehörten, von Pretzsch über Elbing nach Riga. Dort traf er Anfang Juli 1941 ein, als die kämpfende Truppe die Stadt bereits verlassen hatte. Maywald blieb zunächst im Range eine SS-Untersturmführers bis Mai 1942 in Riga. Sein unmittelbarer Vorgetzter war Dr. Lange, dem bis zu seiner Ernennung zum Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD die Abteilungen IV (Gestapo) und V (Kripo) beim Stab der Einsatzgruppe A unterstanden. Maywald selbst gehörte formell der Abteilung V an. Er hatte ein gemeinsames Vorzimmer mit Dr. Lange, in dem der Zeuge Münch saß.
Maywald erhielt von Dr. Lange den Auftrag, mit der lettischen Kriminalpolizei zusammenzuarbeiten und diese nach deutschem Vorbild zu organisieren. Da es auf diesem Gebiet für den Angeklagten aber kaum etwas zu tun gab, widmete er sich zunächst überwiegend organisatorischen Aufgaben. Er beschaffte Unterkünfte und richtete Werkstätten mit jüdischen Handwerkern, die er sich aus dem Gefängnis geholt hatte, ein. Öfter unternahm der Angeklagte auch mehrtägige Kurierfahrten nach Königsberg. Dieser Zustand dauerte bis in den Herbst 1941 an. Im Oktober 1941 wurde Maywald von Dr. Lange darüber informiert, daß demnächst Judentransporte aus dem Reich in Riga eintreffen würden. Er erhielt von Dr. Lange den Auftrag, für diese Juden ein großes Lager zu errichten. Mit Hilfe eines Flugzeuges suchte er zusammen mit Dr. Lange einen geeigneten Platz mit Eisenbahnanschluß etwa 20 km südöstlich von Riga in der Nähe der Düna aus und ließ dort das Lager Salaspils errichten. Das Holz für die Baracken wurde über die Düna herangeflößt und mit einem vom Angeklagten beschafften Sägegatter geschnitten. Zum Bau des Lagers wurden von Maywald zunächst lettische Bauhandwerker und russische Kriegsgefangene, später jedoch in ständig wachsendem Maße Juden herangezogen, die sich der Angeklagte selbst aus dem Rigaer Getto und von dem Gut Jungfernhof holte. Häufig erschien Dr. Lange zu Inspektionen im Lager. Maywald unterrichte ihn bei diesen Gelegenheiten über den Stand der Bauarbeiten. Auch das Gut Jungfernhof hat der Angeklagte öfter zusammen mit Dr. Lange besucht. Der Aufbau des Lagers Salaspils dauerte bis zum Frühjahr 1942.
Etwa im April 1942 wurde der Angeklagte nach Minsk versetzt, um dort ein Gut zu bewirtschaften. Endgültig ging er erst Anfang oder Mitte Mai 1942 aus Riga weg, da er zuvor noch Vieh auf Viehmärkten in Lettland aufgekauft und Landmaschinen aus Königsberg geholt hatte. In Minsk erkrankte der Angeklagte, nachdem er dort unter anderem im Partisanenkampf eingesetzt war, an Flecktyphus. Im Oktober 1942 wurde er schließlich als nicht tauglich für den Osteinsatz über Riga ins Reich zurückgeschickt. Diese Feststellungen beruhen auf den eigenen, insoweit glaubwürdigen Angaben des Angeklagten.
In den Augen seiner Kameraden jener Zeit – der Zeugen Trühe, Münch, Kirste und Auerswald – erscheint Maywald als junger unauffälliger Kommissar, der sich den üblichen Trinkgelagen des Etappenlebens fernhielt, eine gewisse Außenseiterrolle spielte, sich aber zugleich als Organisationstalent hervortat und insoweit auch seinem Vorgesetzten Dr. Lange auffiel. Dr. Lange war ein harter Nationalsozialist und fanatischer Antisemit. Er hatte maßgeblichen Einfluß auf die gesamte Judenvernichtung im Bereich des Reichskommissariats Ostland. Ihm unterstand ein lettisches Sonderkommando, das nicht nur bei den sogenannten Sommerexekutionen, sondern auch bei vielen weiteren Judenerschießungen eingesetzt wurde. Er war verantwortlich für das Schicksal der aus dem Reich nach Riga transportierten Juden. Die besondere Bedeutung Dr. Langes im Rahmen der Endlösung der Judenfrage kommt auch darin zum Ausdruck, daß er als Vertreter der Sicherheitspolizei und des SD für das Reichskommissariat Ostland an der Wannseekonferenz in Berlin am 20. Januar 1942 teilgenommen hat. An dieser von dem Chef der Sicherheitspolizei und des SD, des SS-Obergruppenführers Heydrich, geleiteten Konferenz über die Endlösung der Judenfrage haben, wie die Teilnehmerliste ergibt, neben Dr. Lange nur ranghöhere SS-Führer und hohe Verwaltungsbeamte teilgenommen. Dr. Rudolf Lange war darüber hinaus nicht nur Befehlsgeber, sondern hat auch eigenhändig aus nichtigem Anlaß Juden getötet.
Der Angeklagte unterstand, obwohl er formell dem Stab der Einsatzgruppe A angehörte, während seines gesamten Aufenthaltes in Riga Dr. Lange, auch nachdem dieser Anfang Dezember 1941 zum Kommandeur der Sicherheitspolizei ernannt worden war. Der Angeklagte Maywald wußte nach Überzeugung des Gerichts von Anfang an, was in Riga mit den jüdischen Einwohnern geschah. Die Kammer hält es für ausgeschlossen, daß er als enger Mitarbeiter Dr. Langes, den er nach eigenen Angaben oftmals begleitete, die seit Juli 1941 entfaltete Tätigkeit der Einsatzgruppe A im Zusammenhang mit der Judenvernichtung nicht zur Kenntnis genommen hat. Der Angeklagte wußte, daß Dr. Lange ein lettisches Sonderkommando unter sich hatte und daß dieses laufend zur Judenerschießung eingesetzt wurde. Ihm ist nach seinen eigenen Angaben auch alsbald klar geworden, daß Dr. Lange ein fanatischer Judenhasser war. Er hat miterlebt, wie Dr. Lange ein älteres jüdisches Ehepaar aus deren Wohnung getrieben und dabei dem Ehemann einen Fußtritt gegeben hat, so daß dieser vom Treppenabsatz stürzte. Maywald hat in der Hauptverhandlung erklärt, er sei damals gegenüber diesem brutalen Verhalten Dr. Langes völlig fassungslos gewesen. Daß die dortigen Befehlshaber buchstäblich vor nichts zurückschreckten, hatte die sogenannte Jeckelnaktion dem Angeklagten deutlich gemacht, bei der Ende November/Anfang Dezember 1941 mindestens 25.000 lettische Juden erschossen wurden."
Nach seinem Osteinsatz kam Maywald – wie bereits dargestellt im Oktober 1942 – zunächst wieder zurück zu seiner Heimatdienststelle nach Zwickau, wurde aber kurze Zeit später zur Kriminalpolizei nach Oppeln versetzt, wo er bis Anfang 1945 verblieb und mit Wirtschafts- und Vermögensdelikten befasst war. Gegen Ende des Krieges beim Rückzug seiner Dienststelle verschaffte sich Maywald falsche Papiere auf die Personalien "Gerd Hansen, geb. am 16.4.1913 in Kiel" und versuchte unterzutauchen. Er geriet jedoch bald in amerikanische Kriegsgefangenschaft und wurde zunächst in Brüx im Sudetenland, dann in Leuna bis Anfang Mai 1945 interniert. Von Leuna wurde er nach Hamburg entlassen. Hier lebte er bis Anfang 1950 unter dem falschen Namen Gerd Hansen, erstattete dann aber Anzeige gegen sich wegen falscher Namensführung, wobei er seinen sicherheitspolizeilichen Einsatz in Riga und Minsk – natürlich – ebenso verschwieg wie bei seiner – im Übrigen erfolglosen – Bewerbung um Wiedereinstellung in den öffentlichen Dienst im Jahre 1956, bei der er lediglich angab, von 1940 bis 1942 Angehöriger der Kriminalpolizeistelle Zwickau und von 1942 bis 1945 bei der Kriminalpolizeistelle Oppeln tätig gewesen zu sein.
Seinen Lebensunterhalt verdiente Maywald nach dem Kriege vorwiegend als Kaufmann in der Kosmetik-Branche. Er hat zweimal geheiratet. Die erste Ehe, aus der der am 20. August 1942 in Kiel geborene Sohn Werner hervorgegangen ist, wurde im September 1965 geschieden, nachdem die Eheleute seit Kriegsende bereits getrennt gelebt hatten. Im Dezember 1965 heiratete Maywald erneut. Kinder sind aus dieser Ehe nicht hervorgegangen.
Es bleibt noch zu erwähnen – was bei dieser Art von Verfahren auch immer seine indizielle Bedeutung hat –, dass Maywald seit 1925 dem Deutschen Jugendbund Bismarck angehört hatte, der 1933 in die Hitler-Jugend überführt wurde, am 1. August 1933 in die SA eingetreten war und 1935 dem NSKK – das ist das Nationalsozialistische Kraftfahrerkorps – in Kiel überwiesen wurde. Ab 1. Mai 1937 war Maywald Mitglied der NSDAP, allerdings weder in der Partei noch in der SA aktiv.
Mit der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Hamburg - damals noch Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Hamburg - wurden Maywald insgesamt sieben Fälle des Mordes als Täter und ein Fall von Beihilfe zum Mord – also als Gehilfe handelnd – zur Last gelegt. So auch der Fall vom 5. Februar 1942, mit dem Maywald vorgeworfen wurde, im Rigaer Getto als Täter zusammen mit Dr. Lange und weiteren Angehörigen der Dienststelle des KdS Lettland "eine Vernichtungsaktion gegen mindestens 2.000 zumeist nicht mehr arbeitsfähige Juden - Männer, Frauen und Kinder –, denen man vorgetäuscht hatte, sie fänden in einer Fischkonservenfabrik des Küstenorts Dünamünde leichtere Arbeit, geleitet, persönlich Juden zur Erschießung selektiert und den Abtransport der Opfer auf das Exekutionsgelände im Bickernicker Wald überwacht zu haben."
Diesen Fall hebe ich deswegen besonders hervor, weil er der einzige ist, der zur Verurteilung Maywalds zu einer Freiheitsstrafe von 4 Jahren geführt hat durch das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 2. August 1977, und zwar zur Verurteilung als Gehilfe, nicht als Täter. In allen anderen Fällen erfolgten Freisprüche, ein Fall – der, in dem Maywald als Angehöriger des Stabes der Einsatzgruppe A und des Einsatzkommandos 2 Beihilfe zum Mord an mindestens 150 lettischen Juden in den Wäldern der Umgebung Rigas Mitte bis Ende Juli 1941 zur Last gelegt worden war - wurde nach Paragraph 154 der Strafprozessordnung eingestellt. Das ist möglich und dann angebracht, wenn – und so lautet es im Gesetz – : "... die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt ..."
Bei seinen Freisprüchen in den Fällen, bei denen es immerhin darum ging, dass Maywald eigenhändig Juden erschossen haben sollte oder aber an drei Vernichtungsaktionen mit insgesamt 8.000 jüdischen Opfern in Form von Selektierung oder Überwachung beteiligt gewesen sein sollte, kam das Schwurgericht in Hamburg in seinem Urteil im Wesentlichen zu den Feststellungen, dass der Zeugenbeweis im einzelnen Fall nicht ausreichend sei, die Zeugen in ihrer Darstellung zu unzuverlässig gewesen seien oder aber die Aussage des Hauptbelastungszeugen wegen seines Todes nur habe verlesen werden können; das Gericht somit nicht in die Lage versetzt gewesen sei, sich von diesem Zeugen ein zuverlässiges Bild zu verschaffen. Die Verurteilung Maywalds, in dem einen Fall als Gehilfe, nicht als Täter, wovon die Anklageschrift ja ausgegangen war, begründete das Gericht wie folgt:
"Indem er die zum Tode durch Erschießen bestimmten jüdischen Menschen am 5. Februar 1942 ausgewählt hat, hat sich Maywald der Beihilfe (§ 27 I StGB) zum Mord (§ 211 II StGB) schuldig gemacht. Die Tötung geschah aus niedrigen Beweggründen im Sinne des § 211 StGB in der auch damals geltenden Fassung. Sie war Teil der sogenannten Endlösung der Judenfrage, die die Vernichtung der Juden ihrer Rasse wegen zum Ziele hatte. Täter dieser Tötung aus niedrigen Beweggründen waren die Träger der Reichsführung (Hitler, Himmler und Heydrich), die die Ausführung des Mordes auf dem Befehlswege veranlaßten. Das Aussondern der (mindestens) 320 Juden zum Zwecke der Tötung war Teil der Tötungshandlung. Der Angeklagte hat an dieser Tötungshandlung teilgenommen, indem er die zur Tötung bestimmten jüdischen Menschen ausgewählt hat. Seine Handlungsweise ist als eine (Beihilfe-) Handlung im Rechtssinne anzusehen, sie war der einleitende Teil einer Aktion, die den Zweck verfolgte und erreichte, die ausgewählten Opfer als Gruppe zur gleichen Zeit und am gleichen Ort zu töten. Dem entspricht das äußere Bild des Ablaufes: Die ausgewählten jüdischen Menschen wurden zusammen in Kraftfahrzeuge verladen und gemeinsam zur Tötung abtransportiert.
Maywald ist wegen dieser Handlungsweise als Gehilfe, nicht als Täter zu verurteilen. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, daß er ohne Befehl, d.h. in eigener Initiative gehandelt hat. Er hatte in Riga keine Rechtsstellung und Funktion, die es ihm gestattete, eine solche Aktion aus eigenem Entschluß in die Wege zu leiten und durchzuführen. Muß hiernach davon ausgegangen werden, daß Maywald auf Befehl, vermutlich Dr. Langes, gehandelt hat, so ergibt sich hieraus bereits ein erhebliches Indiz für das Fehlen seines Willens, als Täter zu handeln. Diese für eine Beihilfehandlung des Angeklagten sprechende Erwägung wird nicht durch die Handlungsweise oder durch Äußerungen während der Aussonderung selbst in Frage gestellt. Es muß angenommen werden, daß das wahre Ziel der Aussonderung, nämlich die anschließende Tötung der Ausgesonderten in der Umgebung von Riga, verheimlicht werden sollte, um einen möglichst reibungslosen Ablauf der Aktion sicherzustellen. Dem entspricht es, daß neben alten, kranken und gebrechlichen Juden vereinzelt auch solche ausgesondert wurden, die augenfällig nicht als arbeitsunfähig anzusehen waren und daß den Transporten zum Zwecke der Täuschung der Opfer und ihrer zurückgebliebenen Angehörigen auch Pflegepersonal beigegeben wurde, wie z.B. die Mutter des Zeugen und Nebenklägers Welles, die Maywald auf Frage nach ihrem Beruf erklärt hatte, sie sei in einem Altenheim tätig gewesen. Deshalb kann aus dem Umstand allein, daß Maywald nicht nur Alte und Kranke zum Abtransport ausgewählt hat, nicht geschlossen werden, er habe aus eigener Überzeugung von der Notwendigkeit und Richtigkeit der Tötung jüdischer Menschen um ihrer Rasse willen mehr getan, als ihm kraft Befehls aufgegeben war. Andere Indizien für eine Handlungsweise oder innere Einstellung, die Maywald als Täter erscheinen lassen, sind in der Hauptverhandlung nicht in einer Weise hervorgetreten, die für diesen Zusammenhang bedeutsam ist.
Maywald kann schließlich auch nicht deshalb als Täter verurteilt werden, weil ihm die Aussonderung der zu tötenden Opfer übertragen worden war und er damit zugleich die tatsächliche Macht hatte, einzelne durch Nichtaussonderung zu verschonen. Diese tatsächliche Machtposition machte ihn zwar - insbesondere aus der Sicht der Opfer - zum ‘Herrn über Leben und Tod’. Diese Entscheidungsbefugnis nahm seinem Verhalten aber nicht die Qualität eines Handelns auf Befehl, und ihre Ausübung hielt sich im Rahmen des ihm erteilten Befehls, und zwar auch dann, wenn ihm die Entscheidung über das jeweilige Auswahlkriterium, soweit es zur Täuschung
über den Zweck der Aktion bestimmt und notwendig war, im Einzelfall überlassen blieb. Etwas anderes müßte nur gelten, wenn Maywald auch über die Gesamtzahl der Opfer in dem Sinne disponieren durfte, daß es ihm möglich gewesen wäre, ohne Verstoß gegen den ihm erteilten Befehl eine geringere Anzahl auszuwählen. Dafür hat die Beweisaufnahme keinen Anhaltspunkt ergeben.
Die Beweisaufnahme hat auch keinen hinreichend zuverlässigen Anhaltspunkt dafür erbracht, daß Maywald sich den Rassenhaß der Befehlsgeber zu eigen gemacht und selbst aus (eigenen) niedrigen Beweggründen gehandelt hat. Eine solche innere Einstellung des Angeklagten müßte allerdings angenommen werden, wenn die Hauptverhandlung den Beweis für die dem Angeklagten vorgeworfenen spontanen Erschießungen dreier Juden, nämlich eines taubstummen Juden am Bahnhof Schirotawa und zweier Juden im Lager Salaspils erbracht haben würde. Denn diese Vorwürfe gingen von einer Handlungsweise des Angeklagten aus, die die Annahme spontaner, nicht auf Befehl von dritter Seite angewiesener Bereitschaft zur Tötung jüdischer Menschen aus nichtigem Anlaß nahegelegt hätte. Diese Vorwürfe können jedoch zur Kennzeichnung des Angeklagten nicht verwendet werden, weil seine Identifizierung als Täter
(Handelnder) nicht hinreichend bewiesen ist. Auch hier kann zugunsten des Angeklagten nicht unberücksichtigt bleiben, daß mehrere Zeugen, insbesondere Herbert Schultz und Gutmann, ihn in einer Weise beschrieben haben, die eine eigenständige Motivation des Angeklagten zur willkürlichen Tötung jüdischer Menschen unwahrscheinlich macht."
Und damit sind wir an einem wesentlichen Punkt angelangt im Bereich der Verfahren wegen nationalsozialistischer Gewaltverbrechen: 60 Jahre NSG-Justiz in Hamburg heißt auch 60 Jahre Kampf um den Nachweis der Täterschaft des Einzelnen, Argumentieren in dem empfindlichen Bereich der Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme. Es ging ja nicht allein darum, überhaupt die Beteiligung des jeweiligen Angeklagten zu beweisen, sondern vielmehr auch darum, den Täter im Rechtssinne als solchen zu überführen. Und in diesem Punkte haben wir Staatsanwälte – nach allen meinen Erfahrungen – die größten Schwierigkeiten gehabt. Der Nachweis der Täterschaft war wichtig für die Höhe der Strafe. Für den Mörder-Täter war – und ist – lebenslange Freiheitsstrafe vorgesehen. Die Strafe des Gehilfen richtet sich zwar nach der Strafdrohung für den Täter, sie ist aber zu mildern. Der Der Strafrahmen bei Beihilfe zum Mord ist danach 3 bis 15 Jahre.
Vgl.: Vortrag von Jochen Kuhlmann OStA a.D. (Hamburg): Maywald, Arajs und andere... 60 Jahre NSG-Justiz in Hamburg
Andreas Jordan, Projektgruppe STOLPERSTEINE Gelsenkirchen. Dezember 2024.
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