STOLPERSTEINE GELSENKIRCHEN

Die Dabeigewesenen - Gelsenkirchen 1933–1945


Stolpersteine Gelsenkirchen

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Von NS-Täter/innen, Profiteuren, Denunziant/innen, Schweigenden und Zuschauer/innen

Tippmann, Christian

Bei den Recherchen 2010 anlässlich der geplanten Stolperstein-Verlegung in Gelsenkirchen-Horst für den Widerständler Andreas Schillack jun., Angehöriger der Widerstandsgruppe Zielasko und verwandt mit Christian Tippmann, gab es telefonisch einen vertraulichen Hinweis auf Christian Tippmann. Die Angaben der hinweisgebenden Person, die nicht genannt werden wollte, ließen den Schluss zu, das Tippmann um 1943, inzwischen SS-Anghöriger und NSDAP-Mitglied, der Gestapo den entscheidenen Hinweis zur Zerschlagung der Widerstandsgruppe um Franz Zielasko gab. Auch habe sich Tippmann nach dem Krieg eine Tätowierung unter dem linken Oberarm entfernen lassen, er habe noch lange nach Krieg dem immer wieder im Verwandten- und Bekanntenkreis nach Fotos, Dokumenten und Briefen rund um seine Person gesucht, die er angeblich im Rahmen seiner "Zeithistorischen Forschungen" brauche. Daraufhin veröffentlichte der Verein Gelsenzentrum e.V. auf seiner Internetpräsenz einen Artikel mit folgendem Inhalt:

Die Karriere des Christian Tippmann

Christian Tippmann, Jahrgang 1908, ist in der Gemeinde Horst-Emscher geboren. Er hat eine Bergmännische Ausbildung abgeschlossen. Tippmann war zunächst KPD-Mann. Nach der Machtübergabe an die Nazis wandelte sich seine politische Gesinnung, so trat Tippmann 1933 in die SS ein. Tippmann machte in der NS-Zeit Karriere. 1939 ging er nach Herringen. Auf der Zeche Heinrich Robert in Herringen wurde Tippmann Fahrsteiger und war dann später langjährig als Leiter der Ausbildungsabteilung tätig. Ein Genosse aus der KPD-Zeit in Horst-Emscher flüchtete Anfang der 1940er Jahre vor den Nazis aus Gelsenkirchen nach Pelkum. Dort war auch Andreas Schillack sen. aktiv im Kommunistischen Widerstand tätig. So soll Tippmann mit einer Denunzierung bei der Gestapo maßgeblich an der Verhaftung der gesamten Gruppe, die um Franz Zielasko auch in Gelsenkirchen tätig war, beteiligt.

Auch nach 1945 machte Christian Tippmann dann erneut schnell Karriere, verfügte er doch über gute Verbindungen zu alten Seilschaften aus der NS-Zeit. 1950 beauftragte ihn die damalige Militärregierung zum Amtsvertreter, so begann die politische Nachkriegs-Karriere des Christian Tippmann. Er wurde 1952 stellvertretender Bürgermeister, 1956 Bürgermeister. Von 1968-1974 war er Bürgermeister der Großgemeinde Pelkum-Herringen. 1968 wurde ihm das Bundesverdienstkreuz verliehen. Er war Mitglied im Kreistag Unna von 1959-1974, zeitweilig Stellvertretender Landrat. Ab 1975-1984 war er dann Bezirksvorsteher von Hamm-Herringen.

Christian Tippmann starb im Alter von 85 Jahren am 15. Mai 1993. Er wurde auf dem evangelischen Friedhof in Hamm-Herringen beigesetzt. Am 20. Januar 2006 wurde der Marktplatz in Hamm-Herringen nach dem ehemalige Angehörigen der Waffen-SS und Mitglied der NSDAP Christian Tippmann benannt.


2013 wurde ein Redakteur des "Westfalen-Anzeiger" auf diese Veröffentlichung des Gelsenzentrum e.V. im Internet aufmerksam, ein daraufhin veröffentlichter Artikel im "Westfalen-Anzeiger" sorgte für Empörung in Hamm. Der Unmut richtete sich vornehmlich gegen den Verein Gelsenzentrum und dessen Vorsitzenden Andreas Jordan. Von posthumen "Rufmord" war die Rede, es folgten anonyme telefonische Drohungen und Verunglimpfungen, gerichtet gegen Andreas Jordan, Geschäftsleiter und Vorsitzender des Gelsenzentrum e.V.. Tenor: Tippmann sei ein "untadeliger SPD-Mann" gewesen, die Veröffenlichung solle umgehend gelöscht werden, andernfalls würden "weitreichende Konsequenzen" folgen.

Christian Tippmann in Uniform der SSAbb.: Christian Tippmann in Uniform der Waffen-SS

Gleichwohl begannen Verwaltung und Lokalpolitik in Hamm, die Lebenswege von Christian Tippmann einer genaueren Betrachtung zu unterziehen. Auch der Redakteur des Westfalen-Anzeiger recherchierte weiter, es folgten diverse Presseartikel. Die Stadt Hamm gab ein Gutachten zu Tippmanns Werdegang in Auftrag. Das war der Tatsache geschuldet, das der Marktplatz in Hamm-Herringen in "Cristian-Tippmann-Platz" benannt worden war. Es blieb in der Folge eine zeitlang ruhig um Tippmanns Vergangenheit, bis dem "Westfalen-Anzeiger" anonym ein Foto zugespielt wurde, das Christian Tippmann in Uniform der Waffen-SS zeigte.

Weitere Ungereimtheiten in Tippmanns Vita kamen zu Tage, so hatte Tippmann im Entnazifizierungsverfahren Tatsachen verschwiegen bzw. unwahre Angaben gemacht, so gab er u.a. an, sein direkter Vorgesetzter sei ein "Feldwebel Israel" gewesen. In einem Entschädigungsverfahren nach dem BEG als vorgeblich "NS-Verfolgter" hatte Tippmann auf Grundlage einer augenscheinlichen "Gefälligkeitsbescheinigung" der SPD Gelsenkirchen, Ortsgruppe Horst-Süd eine hohe Summe erhalten - 5000 DM. Nach der Schluss-Novelle des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) 1965 war Tippmann sofort wieder zur Stelle und erhielt weitere 5000 DM "Entschädigung".

In der Folge beschloss die Herringer Bezirksvertretung 2016 schließlich die Rückbenennung des "Christian-Tippmann-Platzes" in "Herringer Marktplatz". Das hat nicht jedem gefallen, der Vorsitzende des Ortsvereins der SPD erhielt eine anonyme Ansichtskarte, die zwei Kamele zeigte. Auf der Rückseite stand zu lesen: "Wenn einmal Gras über eine Sache gewachsen ist, kommt ein Kamel, das es wieder runterfrisst".


Projektgruppe STOLPERSTEINE Gelsenkirchen. September 2018.

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