STOLPERSTEINE GELSENKIRCHEN

Ausgrenzung erinnern


Stolpersteine Gelsenkirchen

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HIER WOHNTE

Verlegeort BENJAMIN SPIEGEL

JG. 1900
ABGESCHOBEN 1938
BENTSCHEN
1940 SACHSENHAUSEN
ERMORDET 28.5.1942

HIER WOHNTE

Verlegeort RUTH SPIEGEL

JAHRGANG 1937
FLUCHT 1942
BELGIEN
VERSTECKT ÜBERLEBT

HIER WOHNTE

Verlegeort SARA SPIEGEL

GEB. FINGER
JAHRGANG 1904
FLUCHT 1942
BELGIEN
VERSTECKT ÜBERLEBT

Verlegeort: Kirchstrasse 65, Gelsenkirchen

Benjamin Spiegel

Abb.: Benjamin "Benno" Spiegel

Benjamin "Benno" Spiegel war Sohn von Moshe und Esther Spiegel, geborene Horowitz. Er wurde am 6. April 1900 in Landestreu, Kreis Kalusch (Heute Selenyj Jar) geboren. 1924 ging er von Aachen nach Homberg, wo er zunächst bei seiner Schwester Netti an der Poststrasse 19 wohnte, von dort zog er 1929 nach Duisburg, wo er ab 1930 an der Kühlingsgasse 11 wohnte. 1935 zog Benjamin Spiegel schließlich nach Recklinghausen. Dort heiratete Benjamin Spiegel die am 23. Oktober 1904 in Gelsenkirchen geborene Sara Finger. Das Ehepaar hatte eine Tochter namens Ruth, geboren am 16. November 1937 in Gelsenkirchen. Benjamin Spiegel betrieb noch 1938 an der Bochumer Straße 192 in Recklinghausen-Süd ein Manufakturgeschäft. Am 28./29. Oktober 1938 wurde Familie Spiegel im Zuge der so genannten "Polen-Aktion" von Recklinghausen nach Bentschen (Zbąszyń) ausgewiesen. Sara Spiegels Name erscheint in einer Liste der ausgewiesenen Juden in Zbąszyń mit dem Vermerk: "Derzeitige Anschrift Zbąszyń, Senartoska 67". Es ist davon auszugehen, dass Tochter Ruth zusammen mit der Mutter nach Polen ausgewiesen worden ist. Auch Benjamin Spiegel befand sich bis Sommer 1939 im Internierungslager Zbąszyń (Bentschen). Die Familie "durfte" dann nach Deutschland zurückkehren, um die "Arisierung" ihres Geschäftes in Recklinghausen abzuwickeln.


Sara Spiegel, geb. FingerAbb.: Sara Spiegel, geborene Finger

Die Familie Benjamin Spiegel lebte ab dem 12. September 1939 an der Kirchstrasse 65 in Gelsenkirchen, zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt wurde die Familie in ein so genanntes "Judenhaus" Im Lörenkamp 2 eingwiesen. Die Geschichte der weitverzweigten Familien Finger und Spiegel ist untrennbar mit der Geschichte des Hauses verbunden.

→ Ein Haus und seine Bewohner - das "Judenhaus" im Lörenkamp 2

Benjamin "Benno" Spiegel wurde am 2. März 1940 in das KZ Sachsenhausen/Oranienburg deportiert. Als Reaktion auf den Brandanschlag der jüdischen Widerstandsgruppe um Herbert Baum auf die Propaganda-Ausstellung "Das Sowjetparadies" ließ der "Reichsführer-SS" Heinrich Himmler am 28./29.Mai 1942 im KZ Sachsenhausen 250 Juden ermorden, 154 aus Berlin und 96 bereits in Sachsenhausen inhaftierte Häftlinge. Benjamin Spiegel gehörte zu diesen 96 Häftlingen, die am 28. Mai 1942 in Sachsenhausen erschossen wurden.

Ruth Spiegel

Sara und Ruth Spiegel (Bild links) sind namentlich in einer Deportationsliste vom 27. Januar 1942 aufgeführt, jedoch nicht von Gelsenkirchen nach Riga deportiert worden. Beide sind in der Liste der Jüdischen Kultusgemeinde v. 4.6.1946, 'betr. Deportation vom 27. Januar 1942' mit dem Vermerk eingetragen: "Geflohen, Dezember 41 bzw. Januar 1942, spurlos verschwunden". In der o.g. Deportationsliste wird als letzte Wohnanschrift von Sara und Ruth Spiegel "Im Lörenkamp 2" angegeben, dort wohnten auch weitere Mitglieder der Familie Finger. Sara Spiegel konnte mit Tochter Ruth 1941/1942 nach Belgien fliehen. Sie lebten in Brüssel im Versteck, 1951 sind sie nach Israel ausgewandert. Ruth Eisenfeld, geborene Spiegel, lebt heute in Israel.


Georges Mandel-Mantello's Schutzbriefe

Salvadorianische Staatsbürgerschafts-Bescheinigung für Ruth und Sara Spiegel, ausgestellt von Georges Mandel-Mantello.

Abb.: Salvadorianische Staatsbürgerschafts-Bescheinigung für Ruth und Sara Spiegel, ausgestellt von Georges Mandel-Mantello. Auch für die Familienmitglieder Fanny und Rosa Finger wurden solche Schutzbriefe ausgestellt.Zum Vergrößern anklicken

In Zusammenarbeit mit dem Generalkonsul El Salvadors in Genf, aber ohne Wissen der Regierung von El Salvador, stellte Georges Mandel-Mantello Tausende Staatsbürgerschafts-Bescheinigungen an Juden in Holland, Belgien, Frankreich, Polen und der Tschechoslowakei aus. (...) Mandel-Mantello knüpfte an die Ausstellung der Zertifikate keine Bedingungen. Ihm genügte der Name und das Geburtsdatum des Betreffenden. Die Schweiz hatte die Wahrnehmung der salvadorianischen Interessen übernommen und stellte die neuen Staatsbürger El Salvadors unter ihrem Schutz. Die Leitung einer gesonderten Abteilung zur Wahrnehmung der salvadorianischen Interessen unterlag bei Carl Lutz. Später übernahm auch Raoul Wallenberg den Schutz der salvadorianischen Staatsbürger.

Der schweizer Diplomat Carl Lutz über Mandel-Mantellos Hilfsmaßnahmen:

"Anfangs beurteilten wir die Lage der salvadorianischen "Staatsangehörigen" sehr skeptisch. Es mußte ja jeder wissen, daß sie keine echten Staatsbürger sein konnten. Wir telegraphierten also nach Bern, gaben an, daß wir in eine äußerst schwierige Situation geraten würden und fragten, ob wir die Interessen solcher Personen ernstlich vertreten dürften. Uns wurde geantwortet, Präsident Roosevelt selbst habe um die Intervention gebeten. Es gelang uns dann unter außerordentlichen Schwierigkeiten die Anerkennung der Papiere bei den Ungarn durchzusetzen. Nun, seit wir wußten, daß das State Departement der Vereinigten Staaten hinter der Aktion stand, konnten wir natürlich schon anders auftreten.

Wir ließen den über salvadorianische Zertifikate verfügenden Personen denselben Schutz angedeihen wie anderen Ausländern. In den Schutzbriefen wurde betont, die Personen und ihre Habe stünden unter schweizerischem Schutz; ihre Wohnungen versahen wir mit Warnungstafeln im gleichen Sinn. Ich weiß von etwa 5000 solchen Schutzbriefen in Ungarn, die die Betreffenden, soweit mir bekannt ist, völlig unentgeltlich erhielten. (...)

Die salvadorianischen Zertifikate sicherten den Betreffenden mehr Rechte als die mit Palästina-Zertifikaten bzw. mit Schweizerischen Schutzbriefen versehenen Personen genossen, da die letzteren ungarische Staatsangehörige blieben, wogegen die anderen salvadorianische Staatsangehörige geworden waren; so mußten sie keinen Stern tragen, wurden in ihrer Bewegungsfreiheit nicht beschränkt und auch ihr Besitz stand unter Schutz. Sie waren echte Ausländer geworden, die wir in vollem Maße beschützen konnten; sie waren also in einer viel vorteilhafteren Lage als die Besitzer von Palästina-Zertifikaten. (...)

Carl Lutz in Jeno Levai "Abscheu und Grauen", S. 429

Siehe: http://www.raoul-wallenberg.de/Retter/G._Mandel-Mantello/g._mandel-mantello.html (Abruf Juli 2011)

Von den Nazis abgeholt

Hier, in der Kirchstrasse 75, in der 1.Etage, wohnte Familie Spiegel, so die Zeitzeugin Ingrid Neumann

Abb.: "Hier, in der Kirchstrasse 65, in der 1. Etage, wohnte die Familie Spiegel", so die Zeitzeugin Ingrid Neumann.

Als Kind erlebte die alte Dame, wie Ihre jüdischen Spielkameraden von den Nazis abgeholt wurden: "Wir waren Nachbarn der Familie Benjamin Spiegel, die Kinder Sally (aus einem anderer Zweig der Familie Spiegel) und Ruth waren unsere Freunde, wir spielten täglich zusammen im Hof. Eines Tages fuhr plötzlich ein LKW in unsere Hofeinfahrt an der heutigen Kirchstrasse 65 und blieb dort mit laufendem Motor stehen. Im Eiltempo wurden die Erwachsenen aus der Wohnung geholt. Sie musstem mit wenigen Habseligkeiten versehen unter wüsten Beschimpfungen auf den LKW hochsteigen, die Kinder wurden wie Pakete regelrecht hinterher geworfen. Ich stand wie versteinert im Hof und beobachtete das Geschehen. Damals konnte ich noch nicht verstehen, was da vor meinen Augen geschah. Ich habe nie mehr was von der Familie Spiegel gehört." Ingrid Neumann hat die Patenschaft für einen Stolperstein übernommen, der an Sarah Spiegel erinnert, die Patenschaft für den Stolperstein, der Ruth Spiegel gewidmet wird, haben Astrid Becker und Jesse Krauß übernommen. Ulrich Krauß hat die Patenschaft für den Stolperstein übernommen, der Benjamin Spiegel gewidmet wird.

Biografische Zusammenstellung: Andreas Jordan, Juli 2011.

Quellen:
Stadtarchiv Duisburg
"Juden in Duisburger Stadtteilen" in Duisburger Forschungen, Bd. 56
"Geschichte der Duisburger Juden", Günther von Roden. Duisburg 1986
Stadtarchiv Recklinghausen
Stadtarchiv Gelsenkirchen
Internationaler Suchdienst (ITS) Bad Arolsen
Gedenkbuch Bundesarchiv
Gedenkstätte Sachsenhausen
Yad Vashem, Israel
United States Holocaust Memorial Museum (USHMM)

Projektgruppe STOLPERSTEINE Gelsenkirchen. Juli 2011.

Stolpersteine für Familie Spiegel, verlegt am 8. Oktober 2012

Stolpersteine Gelsenkirchen - Familie Spiegel

Stolpersteine Gelsenkirchen - Familie Spiegel


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