Abb.: Adressbuch Gelsenkirchen, Ausg. 1927. Das "E" hinter der Hausnummer weist August Kahn als Eigentümer des Hauses aus
Der Metzgermeister August Kahn, geboren am 22. Mai 1869 in Mayen, war mit Rosa Kahn, geb. Weber, geboren am 12. März 1872 in Andernach, verheiratet. August Kahn betrieb bereits 1925 seine Metzgerei an der Gewerkenstr. 68 [1] August Kahn war dem FC Schalke 04 auf vielfältige Weise verbunden, viele Spieler unterhielten persönliche Kontakte zu ihm. Bei ihm in der Wurstküche stärkten sich die Spieler nach dem Training. 1933 wurde er als Jude aus dem Verein ausgeschlossen.
Abb.: Aufruf zum Boykott am 1. April 1933 gegen Geschäfte, Praxen und Kanzleien jüdischer Eigentümer
Auch August Kahn war in der Folgezeit von den Boykottmaßnahmen und Repressionen der neuen Machthaber betroffen. Unter den jüdischen Menschen erkannten einige in diesen Maßnahmen ein Signal, dass die Nazis nicht bei ihrem bisher verbal zum Ausdruck gebrachten Antisemitismus stehen bleiben würden und bereiteten ihre Flucht aus Deutschland vor. August Kahn hingegen war wie viele andere seiner Glaubensbrüder zunächst noch davon überzeugt, dass der "Keilov" - Jiddisches Wort für Hund, damit gemeint war Hitler, ihm nicht viel anhaben könne.
Noch bis 1938 hing in seinem Schaufenster ein Plakat "Ich bin Frontkämpfer des Weltkrieges und Träger des EK I" [2] Möglicherweise hoffte August Kahn, mit der offensiven Demonstration seiner nationalen Gesinnung noch Einfluß auf drohendes Unheil nehmen zu können. Doch wie viele andere jüdische Handel- und Gewerbetreibende verlor auch Familie August Kahn in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre Betrieb und persönlichen Besitz durch die staatlich legitimierte Ausplünderung ("Arisierung"). Bis zur Zwangseinweisung in eines der Gelsenkirchener "Judenhäuser" an der Klosterstr. 21 [3] lebte das Ehepaar Kahn an der Gewerkenstraße 68.[4] Die so genannte 'Theresienstädter Liste' nennt eine davon abweichende letzte Wohnanschrift vor der Deportation: Franz-Seldtestr. 84 (heutige (heute Florastrasse). [5] Auch das Haus aus dem Besitz der jüdischen Familie Spanier wurde von den Verfolgungsbehörden als so genanntes "Judenhaus" genutzt.
Abb. 3: Todesfallanzeige Rosa Kahn aus dem Ghetto Theresien- stadt
August und Rosa Kahn wurden am 31. Juli 1942 von Gelsenkirchen über Münster mit einem so genannten "Alterstransport" nach Theresienstadt verschleppt. Der Deportationstransport XI/1 (Reichsbahn-Kürzel Da 77) war ab Münster eingesetzt, dorthin wurden die zur Deportation bestimmten Menschen mit Zügen, LKW oder Bussen transportiert und gesammelt. Insgesamt befanden sich schließlich 901 jüdische Menschen in dem Transportzug XI/1, der am 1. August 1942 das Ghetto Theresienstadt erreichte.
"Untergebracht" war Rosa Kahn laut dem Eintrag in der Todesfallanzeige im Gebäude L124 /Seestrasse 24, Zimmer 21. Ein kümmerlicher Raum, in dem Rosa Kahn unter katastrophalen hygienischen und sanitären Umständen bis zu ihrem Tod dahinvegetieren musste. Das so genannte "Schleusenkrankenhaus" war in einem alten Schulgebäude untergebracht, das zunächst als "Schleuse" gedient hatte. "Schleuse" hieß die Sammelstelle für ankommende bzw. abfahrende Deportierte, die nach einem Aufenthalt von mehreren Stunden bis zu einigen Tagen von hier im Lager einquartiert bzw. zum Deportationszug (Folgetransport) geleitet wurden. Viele der Deportierten starben bereits auf dem Transport oder dann an den Folgen der Bedingungen in Theresienstadt. August Kahn starb am 11. Oktober 1944 im Ghetto Theresienstadt [6], seine Frau Rosa starb bereits am 4. September 1942.[7] Laut der "Todesfallanzeige" aus dem Ghetto starb Rosa Kahn angeblich an Lungenentzündung. Vermerk auf dem Dokument unter "Krankheit": "Herzerweiterung, Lungenödem, sterbend eingeliefert".
Die Menschen aus diesem Transport wurden dann mit Folgetransporten weiter nach Auschwitz, Treblinka, Maly Trostinez und andere Vernichtungslager verschleppt und dort ermordet - von den 901 Menschen in diesem einen Tansport wurden 835 ermordet. Von den darunter befindlichen 44 nach Theresienstadt deportierten Gelsenkirchener Juden haben nur 4 die NS-Verfolgung überlebt.
Biografische Zusammenstellung: Andreas Jordan, August 2011.
Die beiden Stolperstein-Patenschaften für das Ehepaar August und Rosa Kahn hat Frau Ingeborg Mayr-Matthaei übernommen.
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