STOLPERSTEINE GELSENKIRCHEN

Ausgrenzung erinnern


Stolpersteine Gelsenkirchen

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HIER WOHNTE

Verlegeort JUDA ROSENBERG

JG. 1895
VERHAFTET 1939
"VERSTOSS GEGEN AUFENTHALTSVERBOT"
POLIZEIGEFÄNGNIS GELSENKIRCHEN
TOT 18.05.1940
SACHSENHAUSEN

HIER WOHNTE

Verlegeort ELISABETH MAKOWIAK

JG. 1912
VERHAFTET 1935
POLIZEIGEFÄNGNIS GELSENKIRCHEN
ENTLASSEN 1935
ÖFFENTLICH GEDEMÜTIGT
"PRANGERMARSCH" 1935

Verlegeort: Juda Rosenberg, Ringstraße 48, Gelsenkirchen (Nachverlegung von drei Stolpersteinen für Feibisch, Chana u. Josef Rosenberg geplant in 2025)
Ein Stolperstein für Elisabeth Makowiak wurde am 24. November 2017 vor ihrem Elternhaus in Gelsenkirchen, Florastr. 76 verlegt, die Patenschaft für diesen Stolperstein hat Klaus Brandt übernommen.

Julius Rosenberg, Gelsenkirchen

Abb.: Juda Rosenberg

Feibisch, geb. am 25. Dezember 1860 in Rozniatow / Galizien und Chana Rosenberg, geboren am 1. April 1861 in Solotwina / Galizien hatten sieben Kinder: Freida, geboren am 31. August 1892, Josef, geboren am 7. Januar 1898, Izzy, Max, Wolf (Das Geburtsdatum der Mutter und das von drei der Kinder konnten bisher nicht ermittelt werden) Juda (Julius), geboren am 25. Dezember 1895 und Malka, geboren am 15. März 1907. Malka verließ Gelsenkirchen Mitte 1934 und ging nach Frankreich, sie heiratete dort den aus Dortmund ebenfalls nach Frankreich geflohenen Jakob 'Jacques' Orlean.

In Dortmund wurde 2017 u.a. für Jakob Orlean ein Stolperstein verlegt. Jakob Orlean hatte sich nach seiner Flucht aus Nazi-Deutschland der Résistance angeschlossen und wurde verhaftet. Er hat Auschwitz überlebt und danach noch fünf weitere deutsche Konzentrationslager und drei Todesmärsche. Seine einzige Tochter Éliane Orléans-Gerstein war mit ihrer Familie zu dieser Stolpersteinverlegung eigens aus Kanada angereist.

Der Möbelhändler Juda Rosenberg, geboren in Rosulna bei Bohorodczany, Nadwórna, Galizien kam 1921 nach Gelsenkirchen. Juda Rosenberg wohnte an der Ringstraße 48. Die Brüder Juda (Juliua) und Josef Rosenberg betrieben gemeinsam einen Möbeleinzelhandel in Gelsenkirchen. Laut einem Adressbucheintrag von 1927 befand sich das Möbelhaus Gebr. Rosenberg zunächst an der Schalker Straße 22, das Gelsenkirchener Adressbuch aus dem Jahr 1934 verzeichnet die "Special-Möbelhandlung Gebr. Rosenberg" dann am Wiehagen 1, Ecke Bochumer Straße.

Julius Rosenberg, Gelsenkirchen

Abb.: Ausschnitt Adressbuch Gelsenkirchen, Ausgabe 1927

Juda Rosenberg hatte seit 1928 eine Liebesbeziehung mit der - wie es in den Akten des NS-Regimes heißt - "arischen Reichsangehörigen" Elisabeth Makowiak, die seit Oktober 1934 in Gelsenkirchen in der elterlichen Wohnung an der damaligen Franz-Seldte-Str. 76 (Heute Florastraße) lebte. Bereits kurz nach der Machtübergabe an die Nazis waren Juda Rosenberg wie auch Elisabeth Makowiak wegen ihrer Beziehung der Verfolgung und Diskriminierung durch die NS-Behörden ausgesetzt.

Möbelhandlung Gebr. Rosenberg, Bochumer Straße Ecke Wiehagen, 1938

Abb.: Die Möbelhandlung Gebr. Rosenberg (Bildmitte), Bochumer Straße Ecke Wiehagen, 1938. Anlässlich des Gauparteitags der NSDAP vom 24.-26.06.1938 in Gelsenkirchen ist die Bochumer Straße (von der Bahnhofsunterführung aus gesehen) mit Hakenkreuzfahnen "geschmückt". Die Symbolik des Nationalsozialismus um das Hakenkreuz – Uniformen und Fahnen prägten das Straßenbild – war im Alltagsleben der "Volksgemeinschaft" omnipräsent. Das Foto wurde zur Verfügung gestellt vom Institut für Stadtgeschichte, Gelsenkirchen. ISG-Fotosammlung, 6018, Neg.-Nr. 2818. (Hier wird ein Ausschnitt aus dem Orginalfoto wiedergegeben.)

Rosenberg wird nach einer Denunziation bei den NS-Behörden während eines gemeinsamen Urlaubs mit Elisabeth Makowiak auf Norderney 1933 mit dem Vorwurf der so genannten "Rassenschande" erstmalig verhaftet und in so genannte "Schutzhaft" genommen.

Protokoll von 1933, Polizeiverwaltung Norderney Ausweisungsverfügung

Abb. 1+2: Protokoll der Polizeiverwaltung Norderney vom 11. August 1933. Im Protokoll heißt es u.a. : "(...) halte ich es für notwendig, dass R. entweder in ein Konzentrationslager gebracht, oder, wenn das nicht möglich sein sollte, als Ausländer aus dem Reichsgebiet verwiesen wird." (Dokumente zum Vergößern anklicken)


"Rassenschänder Juda Rosenberg"

Nachdem jüdische Einwohner und Badegäste durch Aufstellung der Tafeln "Juden unerwünscht" öffentlicher Diffamierung ausgesetzt waren, bereiteten die Reden Rusts und Münchmeyers eine weitere Eskalation in der "Judenpolitik" auf Norderney und anderen Nordseeinseln vor. Nach der Ankündigung des kommissarischen Bürgermeisters Müller, administrative Maßnahmen zur Vertreibung zu ergreifen, sorgte ein Fall von "Rassenschande" für eine erste antisemitische Aktion.

So berichtete die NBZ am 12. August 1933, dass der jüdische Möbelhändler Juda Rosenberg aus Gelsenkirchen in Schutzhaft genommen worden sei, weil er "mit einem 20jährigen Christenmädel aus dem Ruhrgebiet 2 durchgehende Zimmer" bewohnte. "Rosenberg ist polnischer Staatsangehöriger. Er wie auch das Christenmädel sind unverheiratet. Das Konzentrationslager wird noch eben gut genug für den Rassenschänder sein"

"Juda Rosenberg ist in das Gefängnis nach Norden überführt." Die polnische Staatsangehörigkeit Rosenbergs machte den Fall offensichtlich zur "unglaubliche(n) Frechheit". Ein Pamphlet in der NBZ vom 13. August 1933 repräsentierte die ideologische Untermauerung des absurden Vorwurfs "Rassenschande": "Nach den Gesetzen unserer Vorfahren (!) wurde die Rassenschande an beiden Teilen mit dem sofortigen Tode bestraft. Daß solche Gesetze wieder eingeführt werden müssen, ist klar und wird auch von jedem gesund denkenden Volksgenossen gebilligt. Zur Zeit müssen wir uns aber auf andere Weise gegen derartige Schweinereien schützen."

Abgesehen davon, dass die Behauptung nach vermeintlichen Todesurteilen wegen "Rassenschande" durch "Gesetze unserer Vorfahren" völlig ahistorisch sind, war bis zu den Nürnberger Gesetzen des Jahres 1935 noch nicht einmal definiert, wer eigentlich als Jude zu bezeichnen war. Die Festnahme Rosenbergs geschah also ohne jegliche gesetzliche Grundlage; sie war ein Akt der örtlichen Verantwortlichen, um das antisemitische Klima auf Norderney anzuheizen und die Einheimischen gleichzeitig abzuschrecken. Bezeichnenderweise drohte die Badezeitung im selben Pamphlet abschließend: "Dasselbe wird mit allen denjenigen geschehen, die das Gleiche tun." Nur wenige Tage vorher war im Kurhaus der Insel ein Schild mit der Aufschrift "Die deutsche Frau tanzt nicht mit einem Juden" angebracht worden.

Antisemitismus auf Norderney, 1933

Antisemitismus auf Norderney. Anzeige in der Norderneyer Badezeitung (NBZ) am 5. August 1933

Aus: Ingeborg Pauluhn, Zur Geschichte der Juden auf Norderney, 2003. Seite 64,65 ff.

Der SS-Scharführer Kurt Grün aus Gelsenkirchen-Rotthausen und einige Nazi-Schergen lauerten dem Liebespaar am 6. August 1935 in Gelsenkirchen auf und "verhafteten" Julius Rosenberg und Elisabeth Makowiak. In seiner Aussage vom 7. August 1935 gab Kurt Grün an: "(...) In der Nacht zum Mittwoch sah ich die Makowiak allein die Vereinsstraße Richtung Elisabethplatz gehen. Ich verfolgte die M. mit mehreren Parteigenossen, weil wir ein Zusammentreffen der M. mit dem Juden vermuteten. Tatsächlich traf die M. den Juden Rosenberg und ging mit diesem den Kussweg entlang. Ob es zwischen den beiden zu einem geschlechtlichen Verkehr in dem dunklen Kussweg kam, haben wir nicht feststellen können, immerhin hatten beide ein zärtliches Benehmen und eine auffallend freundliche Unterhaltung. Unsere Verfolgung dauerte etwa 1 Stunde, bis dass es zu der erfolgten Festnahme kam. (...) Die Gemeinschaft eines Juden, besonders eines Ostjuden, mit einem christlichen Mädel, verstösst aufs Schärfste gegen die Auffassung des Nationalsozialismus."

Aussage des SS-Scharführeres Kurt Grün Ausweisungsverfügung

Abb. 3+4: Links: Aussage des Kurt Grün, rechts: Ausweisungsverfügung (Dokumente zum Vergößern anklicken)

Als die beiden am Nachmittag des nächsten Tages wieder entlassen werden, erwartet sie vor dem Gefängnis bereits eine Menschenmenge. Während das Paar bei den Verfolgungsbehörden festgehalten wurde, hatten die "eifrigen Volksgenossen" einen "Prangermarsch" organisiert. Juda Rosenberg und Elisabeth Makowiak wurden Schilder umgehängt, auf denen stand zu lesen: "Ich bin ein Rassenschänder, Jude J. Rosenberg, Ringstraße 48" und "Ich blonder Engel schlief bei diesem Judenbengel, Elisabeth Makowiak, Franz-Seldte-Straße 76". Rosenberg musste einen Hut mit der Banderole "Rassenschänder" tragen. Die Menge trieb das Paar über Bahnhof-, Bochumer-, Vereins-, Ring-, Kirch- und Roontraße durch die Gelsenkirchener Innenstadt zum Elternhaus von Elisabeth Makowiak an der damaligen Franz-Seldte-Straße 76 (heute Florastraße) Über die damalige Adolf-Hitler-Straße (heute Hauptstraße) ging es weiter zur so genannten "Kuhwiese". Juda Rosenberg wurde bei dieser gegen das Liebespaar gerichteten "Treibjagd" auch körperlich schwer mißhandelt.

Gestapo-Henker vor dem Richter

Die nachfolgend abgebildete Aktennotiz trägt die Unterschrift von Kriminalassistent Goray. Gustav Goray gehörte der Gelsenkirchener Schutzpolizei seit 1923 und der Kriminalpolizei seit 1930 an. Goray war in Gelsenkirchen die "rechte Hand" des berüchtigten Leiters der Gestapo in Gelsenkirchen und Recklinghausen, Kriminalrat Wilhelm Tenholt. 1948 kam es zu einem Strafprozess gegen Goray. In der "Westfalen-Post" vom 3. August 1948 heißt es in einem Artikel über den Prozess, Zitat: "(...) Das Gericht geißelte in scharfen Worten die niederträchtige und gemeine Gesinnung, die Goray bei seinen jede Menschenwürde mißachtenden Handlungen an den Tag gelegt hat und verurteilte ihn wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in 12 Fällen in Tateinheit mit Aussageerpressung und schwerer Körperverletzung im Amt zu 5½ Jahren Zuchthaus und 5 Jahren Ehrverlust." Mehr erfahren: Gestapo-Henker vor dem Richter, 5½ Jahre Zuchthaus für Goray

Gelsenkirchen, 7. August 1935: Julius Rosenberg und Elisabeth Makowiak werden von Goray in so genannte 'Schutzhaft' genommen


Kriminalisierung, Ausgrenzung, Dehumanisierung, Mord - die Säulen des NS-Regimes

Öffentliche Treibjagd durch die Gelsenkirchener Innenstadt, 1935

Öffentliche Treibjagd, so genannter

Öffentliche Treibjagd durch die Gelsenkirchener Innenstadt, 1935

Abb. 5,6 u. 7: Juda Rosenberg und Elisabeth Makowiak werden durch die Gelsenkirchener Innenstadt getrieben - tausende "Volks- und Parteigenossen" begleiten den Prangermarsch. Auf dem oberen und mittleren Foto sind die Spuren körperlicher Mißhandlungen im Gesicht von Juda Rosenberg deutlich zu sehen.

Nationalzeitung vom 8. August 1935: Amtisemitische Propaganda in der NS-Presse

Abb.8: Nationalzeitung vom 8. August 1935: Bildunterschrift "Judenbengel und Judendirne am Pranger" - Amtisemitische Propaganda in der NS-Presse. Kriminalisierung, Ausgrenzung, Dehumanisierung, Mord - die Säulen des NS-Regimes.

Abschrift des vorstehenden Artikels:

Der Rassenschänder
                    Julius Rosenberg am Pranger

Die ehr- und artvergessene Elisabeth Makowiak als Judendirne - Tausende führen die Rassenschänder durch die Straßen Gelsenkirchens - Einmütige Zustimmung der Bevölkerung zu diesen drastischen Abwehrmaßnahmen - Reinerhaltung von Art und Blut ist unsere vornehmste Aufgabe

      Gelsenkirchen. Man hätte annehmen können, daß die Machtergreifung durch den Nationalsozialismus, der von Anbeginn seines Kampfes an den Kampf gegen Rassenschändung und für die Eeinerhaltung des deutschen Blutes auf seine Fahnen geschrieben hat, für das Judentum eine dringende Warnung gewesen wäre, nun von einem rassenschänderischen Treiben, dem in den Systemjahren jährlich Zehntausende von deutschen Mädchen und Frauen zum Opfer gefallen sind, abzulassen und endlich die Pflichten zu respektieren, die ein fremder Gast gegenüber seinen Gastgebern innehalten muß.
      Aber so wenig wie die Katze das Mausen läßt, so wenig denken auch die Juden daran, im Hitlerdeutschland die Ehre und das Blut deutscher Mädchen zu achten.

Einer der widerwärtigen Vertreter dieser Rassenschänder ist der Jude Julius R o s e n b e r g, in der Ringstraße 48 wohnhaft, der schon seit Jahren vornehmlich deutsche Frauen schändet, obwohl er ein "festes" Verhältnis mit der Verkäuferin Elisabeth Makowiak, genannt "Mack", Franz-Seldte-Straße 76, unterhält.
Erst im vorigen Jahr machte dieser Lüstling von sich reden, als er auf Grund seines schamlosen Verhaltens aus Norderney ausgewiesen wurde, wo er mit seinem Judenliebchen Makowiak zusammen sich einlogiert hatte, um seinen Urlaub zu verbringen. Diese Tatsache ging damals durch die gesamte Gelsenkirchener Presse, aber das hielt den Juden keineswegs ab, auch noch weiter seine rassenschänderischen Beziehungen zu der Makowiak aufrechtzuerhalten.
Seit Wochen schon bildeten die beiden, die sich fast Abend für Abend am Bahnhof trafen, um dann die Wohnung des Juden in der Ringstraße aufzusuchen. ein Ärgernis für die deutsch denkende Bevölkerung Gelsenkirchens, und so kam es am Dienstagabend dazu, daß sich die Kriminalpolizei veranlaßt sah, den Juden mit seiner Dirne in Schutzhaft zu nehmen, um ihn vor der erregten Bevölkerung, die das schamlose Treiben dieses Juden nicht mehr länger dulden wollte, zu schützen.
Als der Jude mit seinem Liebchen am Mittwochnachmittag wieder aus der Schutzhaft entlassen wurde, hatte sich vor dem Polizeiamt eine mehrere hundert Personen zählende erregte Menschenmenge angesammelt, die die beiden zwang, mit ihnen zu gehen und dem Juden ein Schild mit der Inschrift:

"Ich bin ein Rassenschänder
Jude Julius Rosenberg, Ringstraße 48"

und der Judendirne ein solches mit der Inschrift:

"Ich blonder Engel schlief bei diesem Judenbengel,
Elisabeth Makowiak, Franz-Seldte-Straße 76"

umhängte. Außerdem wurde der Hut des Juden mit der großen Inschrift "Rassenschänder" geziert. Immer wieder hörte man Stimmen aus der nach Tausenden zählenden Volksmenge, die sich ansammelte:

"So ist es recht, das wird hoffentlich den anderen Juden eine heilsame Lehre sein."

      Durch die B a h n h o f s t r a ß e, die B o c h u m e r S t r a ß e, die V e r e i n s-, R i n g-, K ir c h- und die R o o n s t r a ß e bewegte sich der immer mehr anschwellende Zug durch die F r a n z - S e l d t e - S t ra ß e an der Wohnung der Eltern der Makowiak vorbei, denen die Schande ihrer Tochter so vor Augen geführt wurde. Durch die Adolf-Hitler-Straße kam der riesige Zug auf der "Wiese" an, auf der sich ebenfalls zahlreiche Volksgenossen versammelt hatten, die den jüdischen Rassenschänder mit seiner abgrundtiefen Häßlichkeit und die Judendirne mit verachtenden Blicken straften. Zur eigenen Sicherheit bat das saubere Paar die Polizei, es in Schutzhaft zu nehmen. Überall erregte der Zug das Aufsehen, daß notwendig ist, um alle deutschen Väter und Mütter, vor allem aber die w e i b l i c h e   J u g e n d   G e l s e n k i r c h e n s,   d a r a u f   a u f m e r k s a m   z u   m a c h e n,   d a ß   d e r   J u d e   d i e   g r ö ß t e   G e f a h r   f ü r   d a s   d e u t s c h e   B l u t   d a r s t e l l t   u n d   d a ß   e r   w i e   d i e   P e s t   z u   m e i d e n   i s t.

      Wir, die wir den Juden und seine hemmungslose Gier nach der Ehre und dem Blut deutscher Mädchen und Frauen kennen, wir wissen freilich, daß der Jude auch durch solche Methoden nicht gebessert werden kann. Das konnte man auch dem J u d e n   J u l i u s   R o s e n b e r g am Gesicht ablesen, daß er nur einen Gedanken hatte, sich für diese Prozedur bitter an uns zu rächen. Aber wenn wenigstens durch diese drastische Maßnahme erreicht wird, daß die dutschen Frauen und Mädchen über das rassenschänderische Treiben der Juden aufgeklärt werden, dann hat sie vollkommen ihren Zweck erfüllt.

      Und so rufen wir den Eltern unserer weiblichen Jugend und ihr selbst zu: "Hütet euch vor dem Juden, er ist der Verderber des Leibes und der Seele der deutschen Frau! Haltet euer Blut rein, denn es ist das kostbarste Blut, daß ihr im Interesse der Zukunft der Nation sauber und rein zu bewahren habt."


Die öffentlichen "Anprangerungen" der "Rassenschänder"

Die "Anprangerungen" waren ein öffentliches Ritual, wobei die Initiatoren - SS oder SA - davon auszugehen schienen, dass die Bevölkerung nicht einschreiten würde. Sie setzten somit in einem frühen Stadium der nationalsozialistischen Herrschaft die Erosion rechtsstaatlicher Normen voraus. Diese Demonstrationszüge waren mit fünf unterschiedlichen Bedeutungsebenen verknüpft: Sie verfolgten erstens das Ziel, "deutsch-jüdische" Beziehungen zu ächten und ein gesetzliches Verbot der Ehen und Liebesverhältnisse durchzusetzen. Sie prägten zweitens das Bild vom männlichen jüdischen "Rassenschänder" und der von ihm "verführten" "deutschblütigen" Frau. Obwohl die tatsächliche Verfolgungsrealität ein vollkommen anderes Bild widerspiegelte, war dieses Axiom - wenn nicht für die Entscheidungen der Gerichte selbst, so doch zumindest für die Semantik der Urteile - präjudizierend. Ein wesentliches Moment dieser Form antisemitischer Gewalt war drittens die Dehumanisierung des Einzelnen im öffentlichen Raum: Die körperliche Versehrung des jüdischen Mannes und seiner Partnerin, die zum einen bereits durch die öffendiche "Zurschaustellung" des Paares vorgenommen und zum anderen durch das Johlen, die Schläge und Tritte der SA-Horden (und in diesem Fall der Parteigenossen) verstärkt wurde, macht deutlich, dass Übergriffe gegen die körperliche Integrität des Individuums nach 1933 ein wesendiches Instrument antisemitischer Exzesse waren.

Die Verletzung der persönlichen Intimität wurde außerdem durch die Veröffentlichung der "Anprangerung" sogar noch in Gestalt von Photos, Namenslisten und Zeitungsartikel verstärkt. Auch waren hier meistens die Adressen der betroffenen Personen vermerkt. Die Markierung des Einzelnen als "Jude" führte zu einer "Konkretisierung" und "Verbildlichung" der vom Judentum ausgehenden "Gefahr". Der einzelne Jude und die durch ihn"entehrte" Frau wurden hiermit "vogelfrei".

Diese Beobachtung leitet über zur vierten Bedeutungsebene: Die "Prangerumzüge" waren ein öffentliches Spektakel, das seine Wirkung nur dadurch entfalten konnte, dass breitere Bevölkerungsschichten als Zuschauer in den Stigmatisierungsprozess eingebunden waren. Die Demonstrationszüge fanden am hellichten Tage vor den Augen von Passanten statt und führten zu markanten Plätzen im Zentrum der Städte oder Orte. Die Lageberichte sowie die beigefügten Photographien dokumentieren einen fünften, von der historischen Forschung tabuisierten Themenkomplex: die Freude an der Gewalt. Diese Beobachtung lässt sich sicher nicht für alle der beteiligten Instanzen - SA, SS, HJ und NSDAP oder auch die Zuschauer - zu jedem Zeitpunkt bestätigen; allerdings belegt sie, dass bereits vor dem Novemberpogrom 1938 eine potenzielle Bereitschaft zu gewalttätigen Übergriffen gegenüber Juden in der deutschen Gesellschaft existierte.

Aus: Alexandra Przyrembel, "Rassenschande". Reinheitsmythos und Vernichtungslegitimation im Nationalsozialismus, S.71,72

Gelsenkirchen-Schalke: Friedel Vogelsang und Gustav Heidt am Pranger

In einem weiteren Fall einige Tage nach dem Prangermarsch, zu dem Juda Rosenberg und Elisabeth Makowiak gezwungen wurden, kam es in Gelsenkirchen-Schalke auf der König-Wilhelm-Straße (Heutige Schalker Meile) zu einem weiteren Fall öffentlicher, antisemitischer Schmähungen durch einen Mob aus der Ausgrenzungsgesellschaft, jedoch kam es in dabei nicht zu einem Prangermarsch: Weil die Gelsenkirchener Unternehmerin Friedel Vogelsang weiter mit jüdischen Geschäftspartnern zusammenarbeitete, wurde sie 1935 öffentlich an den Pranger gestellt. Die NS-Presse beschimpfte sie als "Judendirne". Artikel lesen: Antisemitismus im Spiegel der NS-Presse: Friedel Vogelsang und Gustav Heidt am Pranger

Nationalzeitung Gelsenkirchen, 8. August 1935Abb. 9: Foto aus der "Nationalzeitung" Gelsenkirchen vom 8. August 1935. Die "Nationalzeitung" war das offizielle Presseorgan des Gaues Westfalen-Nord der NSDAP

Am nächsten Tag berichtete die Gelsenkirchener "Nationalzeitung" ausführlich über die öffentliche Treibjagd. In dem Bericht hieß es u.a.: "Überall erregte der Zug das Aufsehen, das notwendig ist, um (...) vor allem die deutsche Jugend Gelsenkirchens darauf aufmerksam zu machen, dass der Jude (...) wie die Pest zu meiden ist."

Juda Rosenberg erhielt eine Ausweisungsverfügung mit dem Vorwurf der "Rassenschande", die jedoch zunächst nicht vollstreckt wird, Rosenberg hatte "Rechtsmittel" eingelegt und so die Ausweisung verzögern können. Nach der so genannten "Reichskristallnacht" wurde er gezwungen, dass Möbelgeschäft am Wiehagen "aufzugeben". Elisabeth Makowiak verließ lt. der Eintragung in der Gelsenkirchener Einwohnerkartei am 6. Oktober 1936 Gelsenkirchen, zog nach Kassel und lebte dort zunächst an der damaligen Hohenzollernstr. 23. Ein weiterer Umzug nach Frankfurt ist dokumentiert, ihr weiterer Lebensweg ist jedoch nicht bekannt.

 Auswanderung nach Chile

Abb. 9: Rosenberg plant seine Auswanderung nach Chile, das Dokument ist von Rosenberg unterzeichnet.

Mit dem ständig zunehmenden Verfolgungsdruck durch die NS-Behörden wird Juda Rosenberg zunächst im August 1939 in das so genannte "Judenhaus" an der Von-der-Recke-Straße 4, dann in das "Judenhaus" an der Ringstraße 54 zwangseingewiesen. Es ergeht ein Aufenthaltsverbot, auch dagegen legt er Widerspruch ein. Zeitgleich bemüht sich Juda Rosenberg um die Auswanderung nach Chile.

Am 31. Oktober 1939 wurde Juda Rosenberg in Gelsenkirchen verhaftet und in das KZ Sachsenhausen eingewiesen, dort starb er am 18. Mai 1940, über die Umstände seines Todes ist nichts bekannt. Rainer Kleinau hat die Patenschaft für den Stolperstein übernommen, der Juda Rosenberg gewidmet wird.

Quellen:
Stadtarchiv Gelsenkirchen, Meldekarte(n) Makowiak
Totenbuch Sachsenhausen, beurkundet durch Standesamt Oranienburg, Reg. Nr.2615/40
Gedenkbuch Bundesarchiv
Abb.: Möbelhandlung Gebr. Rosenberg, Bochumer Straße. Foto: StA Ge Fotosammlung, 6018, Neg.-Nr. 2818. (Hier wird ein Ausschnitt aus dem Orginalfoto wiedergegeben)
Abb. 1,2,3,4,9 u. 10: "Ausländerakte" Juda Rosenberg, StA 32/715)
Abb. 5,6 u.7: Stadtarchiv Nürnberg, E39, 1747/17-20
Abb. 8: StA Ge, Nationalzeitung v. 8. August 1935

Literatur:
Alexandra Przyrembel, "Rassenschande". Reinheitsmythos und Vernichtungslegitimation im Nationalsozialismus
Ingeborg Pauluhn, Zur Geschichte der Juden auf Norderney
Volkhard Knigge, Rikola-Gunnar Lüttgenau und Jens-Christian Wagner im Auftrag der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora: Begleitband zur Internationalen Wanderausstellung "Zwangsarbeit. Die Deutschen, die Zwangsarbeiter und der Krieg", S.26-29

Biografische Zusammenstellung: Andreas Jordan, Projektgruppe STOLPERSTEINE Gelsenkirchen. Oktober 2012

Stolperstein für Juda Rosenberg, verlegt am 29. April 2013

Stolpersteine Gelsenkirchen - Juda Rosenberg

Stolpersteine Gelsenkirchen - Juda Rosenberg Stolpersteine Gelsenkirchen - Juda Rosenberg Stolpersteine Gelsenkirchen - Juda Rosenberg

Stolpersteine Gelsenkirchen -  Juda Rosenberg

Stolperstein für Elisabeth Makowiak, verlegt am 24. November 2017

Stolpersteine Gelsenkirchen - Elisabeth Makowiak Stolpersteine Gelsenkirchen - Elisabeth Makowiak Stolpersteine Gelsenkirchen - Elisabeth Makowiak

Stolpersteine Gelsenkirchen - Elisabeth Makowiak

 

Rede von Klaus Brandt am 24. November 2017 anlässlich der Stolperstein-Verlegung an der Florastr. 76:

"Ich rechne mich der Verantwortungsgemeinschaft der Täter zu. Also den Leuten, die hinter dem Liebespaar stehen, dem versonnenen blickenden Mann mit Fliege, der jungen Frau mit Schürze. Vorn links zeigt ein junger Mann ein wenig sympathisches Grinsen. Aber er ist der einzige. Der Junge auf dem Mauervorsprung: Ich bin von 1937, um etwa zwölf Jahre versetzt könnte ich das gewesen sein. Der Jahrgang 1925 ist bei uns nicht ausgestorben, kann es sein, dass dieser Junge noch lebt? Dass er sich erinnert? Kann man ihn oder andere seines Jahrgangs zum Erzählen bringen? Natürlich nicht, um jetzt ihn an den Pranger zu stellen. Sondern um der gemeinsamen Erinnerung willen.

Kein Vergleich mit Clausnitz (um nur dies eine Beispiel zu nennen). Allerdings, damals wurde nicht gefilmt. Gut möglich auch, dass sich die Szene auf dem Wege zu dem Ort, an dem wir hier stehen – und danach - hochgeschaukelt hat. „Wehret den Anfängen!“ Heißt es in manch erbaulicher Sonntagsrede. „Fangt endlich an“ – „Schluss zu machen mit dieser verfluchten Gleichgültigkeit.“ Das muss hinzukommen.

Ein Vermerk der Gestapo, nachzulesen bei Gelsenzentrum, erinnert an den „Bäder-Antisemitismus“. Er war seit Ende des 19. Jahrhunderts im Schwange. „Borkum war bereits zur Jahrhundertwende eine Hochburg des Antisemitismus“, schreibt die Wikipedia.

„Doch wer dir naht mit platten Füßen,
mit Nasen krumm und Haaren kraus,
der soll nicht deinen Strand genießen,
der muss hinaus, der muss hinaus“. - Das habe ich noch in diesem Jahrzehnt in Gelsenkirchen singen hören, musikalisch korrekt intoniert und mit einem leidenschaftlichen Ton auf „hinaus“.

Das Wort „Judenhure“ ist mir mehrmals begegnet. Einmal in Brechts „Ballade von der Judenhure Marie Sanders“, 1935 geschrieben:

„Der Streicher spricht heut Nacht.
Großer Gott, wenn sie ein Ohr hätten,
wüssten sie, was man mit ihnen macht.“ - Zum zweiten Mal an einem Hauseingang in Horst. Ich war mir sicher: Jetzt werden sie sich melden, der Oberbürgermeister, die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, der Leiter des Instituts für Stadtgeschichte, die gesamte „demokratische“ Initiative. Der Bürgersteig wird die Menschen nicht fassen. Ebenso bei den jüngsten Morddrohungen gegen eine Gelsenkirchener Ratsfrau und der Bombendrohung gegen das „Treff International“ an der Hauptstraße. Beide Male bin ich einem Irrtum erlegen.

„Als die die Kommunisten holten,
habe ich geschwiegen,
ich war ja kein Kommunist.
Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen,
ich war ja kein Sozialdemokrat.
Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen,
ich war ja kein Gewerkschafter.
Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“
Martin Niemöller (Theologe und Widerstandskämpfer, † 1984)

 


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