STOLPERSTEINE GELSENKIRCHEN

Ausgrenzung erinnern


Stolpersteine Gelsenkirchen

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HIER ERMORDET

Verlegeort ERICH LANGE

JG. 1913
IM WIDERSTAND
ERMORDET 22.3.1933

HIER WOHNTE

Verlegeort ERICH LANGE

JG. 1913
IM WIDERSTAND
ERMORDET 22.3.1933

Verlegeorte: Erich Lange werden in Gelsenkirchen zwei Stolpersteine gewidmet - Am Ort des Mordes in der Ebertstraße/Am Rundhöfchen (Hier ermordet ...) und an der Schwanenstraße 6 (Hier wohnte ...).

Der Mord an Erich Lange in der Presse

"Kommunistischer Funktionär erschossen", titelte die Gelsenkirchener Allgemeine Zeitung am 23. März 1933. Der Schütze, ein SS-Mann, will in Notwehr geschossen haben. Erich Lange wurde an der Litzmannstrasse/Kreuzstraße, heute Ebertstraße/Am Rundhöfchen von SS-Leuten in der Nacht vom 21. auf den 22. März 1933 ermordet.


Erich Lange, geboren am 16.3.1913, war zunächst bis zum Sommer 1932 Mitglied der so genannten Schutzstaffel (1) der NSDAP. Lange stellte sich noch vor der Machtübergabe gegen die Nationalsozialisten. Frühzeitig wurde er Mitglied der KPD und des "Kampfbundes gegen den Faschismus". Die Nazis sahen darin einen "Verrat an der nationalen Sache" und ermordeten Erich Lange. Der Mord war ein Racheakt und Machtdemonstration, er geschah nach dem Fackelzug, der von der NSDAP als Siegeszug für den Wahlsieg bei den Stadtparlamentswahlen am 12. März 1933 veranstaltet worden war.

Der Antifaschist Erich Lange wurde auf dem Westfriedhof in Hessler beerdigt. Trotz des Terrors, den die SA und SS im Zuge der Beisetzung veranstaltete - so standen die Nazi-Schergen während des Trauerzuges Spalier - begleiteten etwa 200 Menschen den Sarg von Erich Lange, um so ihre Verbundenheit mit einem der ersten Naziopfer in Gelsenkirchen zu zeigen. Im Institut für Stadtgeschichte Gelsenkirchen finden sich keine Quellen und Dokumente zu der Person oder dem Schicksal von Erich Lange. Der frühere Gelsenkirchener Rechtsdezernent Wilhelm Mensing fand hingegen vor längerer Zeit auf einem Flohmarkt in Chemnitz einen Aufruf an "Werktätigen von Hassel". In dem Flugblatt werden diese zur "Öffentlichen Vollversammlung des Kampfbundes gegen den Faschismus" eingeladen. Als Redner wird der "zur 'Roten Front' übergetretene SS-Mann Erich Lange" angekündigt.

(1) Die Schutzstaffel der NSDAP (Abkürzung SS) wurde in der Weimarer Republik am 4. April 1925 als Sonderorganisation der NSDAP zunächst zum persönlichen Schutz Adolf Hitlers gegründet. Sie unterstand seit dem Reichsparteitag 1926 der Sturmabteilung (SA) und wurde nach dem vermeintlichen „Röhm-Putsch“ 1934 zu einer eigenständigen paramilitärischen Organisation der NSDAP, die zugleich den parteiinternen „Polizeidienst“ ausübte. In der Zeit des Nationalsozialismus war die SS maßgeblich am Holocaust beteiligt und wurde nach 1945 als verbrecherische Organisation verboten.

Abschrift aus einem Bericht der Zeitzeugin Rosa Eck:

"Einer meiner Freunde, Erich Lange der bis 1932 Mitglied der SS war, ist in der Nacht erschlagen, erschossen und zertreten worden. Wenn ich das so sage, dann klingt es vielleicht ein bischen hoch, aber es ist die Wahrheit. Es ist der einzige Tote, den wir noch sehen konnten. Er hatte auf der Wange den Abdruck eines SS-Stiefels und dadurch ist er noch getreten worden, als er schon tot war. Als Erich Lange beerdigt wurde, sprach ein Pastor auf dem Weg zum Heßler Friedhof. Dort standen Hunderte von SA-Leuten, wir sind trotzdem zum Grab gegangen und vom Pastor die Abschiedsworte waren: Jesus ist für die Menschheit gestorben, dieser Mann er starb für euch. Später haben wir oft das Grab von Erich Lange besucht, leider hört man heute nichts mehr davon."


Am Rundhöfchen

Abb.: Am Rundhöfchen in der Gelsenkirchener Innenstadt. Hier wurde der Antifaschist Erich Lange von den Nazis ermordet. Die Patenschaften haben Bündnis 90/Die Grünen Gelsenkirchen und die VVN/BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der AntifaschistInnen) übernommen.

Die Schwanenstrasse im April 2011, auf der rechten Seite stand das Haus Nummer 6

Abb.: Die Schwanenstraße im April 2011, auf der rechten Seite stand das Haus Nummer 6

→ Fotostrecke von den Verlegungen der STOLPERSTEINE Am Rundhöfchen und Schwanenstrasse 6


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Nachtrag 5/2022 auf Basis neuer Recherchen: 

Täter angeklagt: Aktenfund bringt Licht ins Dunkel

Jüngst stieß Historiker Andreas Jordan (Gelsenzentrum e.V.) bei Recherchen zur Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit in NRW zwischen 1946-1949 jedoch auf eine Archivsignatur, die auf ein Strafverfahren vor dem Schwurgericht Essen gegen zwei SS-Angehörige hinwies, die einen ehemaligen Kameraden auf offener Straße in Gelsenkirchen erschossen hatten. Schnell stand fest, das es sich bei den Angeklagten um die Personen handelt, die 1933 Erich Lange getötet hatten. Die nun erfolgte Auswertung der Akte aus dem Bundesarchiv bringt mehr Licht in eines der Verbechen in der frühen Phase der NS-Gewaltherrschaft in Gelsenkirchen.

NS-Verbrechen: Gebot der Gerechtigkeit erforderte Verurteilung

NS-Verbrechen: Gebot der Gerechtigkeit erforderte Verurteilung

Seit 2011 erinnern in Gelsenkirchen zwei Stolpersteine an den Widerständler Erich Lange - der eine am letzten selbstgewählten Wohnort in der Schwanenstraße, ein weiterer am Rundhöfchen, dem Ort seines gewaltsamen Todes in der Gelsenkirchener Altstadt.

Erich Lange war zunächst Mitglied der so genannten Schutzstaffel der NSDAP. Er stellte sich jedoch noch vor der Machtübergabe 1933 gegen die Nationalsozialisten, wurde Mitglied der KPD und des "Kampfbundes gegen den Faschismus". In den Augen der Nazis war Erich Lange somit ein "Verräter an der nationalen Sache".

Am 23. März 1933 titelte die Gelsenkirchener Allgemeine Zeitung "Kommunistischer Funktionär erschossen" - das Opfer war Erich Lange. Der Schütze, ein SS-Mann, will in Notwehr geschossen haben. Mehr war bisher über das Verbrechen bisher nicht bekannt, beim Institut für Stadtgeschichte Gelsenkirchen (ISG) fanden sich keine Archivalien zur Person oder dem Schicksal von Erich Lange.

Der Akte ist zu entnehmen, dass die beiden Angeklagten Erich Schneider und Wilhelm Dudek während ihrer Zugehörigkeit zur SS im Sommer 1932 Erich Lange kennengelernt haben. Lange war ebenfalls Mitglied der SS und gehörte wie die Angeklagten dem selben SS-Sturm an. Lange trat jedoch im November 1932 wieder aus der SS aus und wurde Mitglied der KPD. Das war den Angeklagten bekannt.

In der Nacht vom 21. auf den 22. März 1933 suchten die Angeklagten in SS-Uniform gemeinsam mit anderen SS-Männern die Wirtschaft "Stadtkeller" in der Gelsenkirchener Altstadt auf. Beide trugen eine Pistole. Kurze Zeit später betrat auch Erich Lange das Lokal. Es dauerte nicht lange, da kam es zu einem Wortwechsel zwischen den Angeklagten und Erich Lange, der in eine Schlägerei mündete. Die Angeklagten Schneider und Dudek schlugen mit ihren Koppeln auf Erich Lange ein, bis dieser aus dem Lokal floh. Der Angeklagte Dudek verfolgte ihm mit zwei weiteren uniformierten Männern. Sie holten Erich Lange in Höhe des Hotels "Monopol" in der Nähe der "Hubertusbar" ein und schlugen erneut massiv auf ihn ein, sodass er laut um Hilfe schrie. Als Lange dann loslief, um den Schlägen zu entgehen, gab Dudek aus einer Entfernung von etwa 2-3 Metern drei Schüsse aus der Dienstpistole auf ihn ab. Von Kugeln getroffen fiel Erich Lange zu Boden. Das geschah gegen 5.10 Uhr. Die Verfolger suchten das Weite, ohne sich weiter um Lange zu kümmern.

Als sich kurz nach dem Vorfall der Zeuge Funke dem Tatort näherte, traf er mit mehreren SA-Männern zusammen. Diesen teilte er seine soeben gemachte Beobachtung mit, Lange sei von einem SS oder SA-Mann erschossen worden. Diese entgegneten, das seien keine Uniformierten gewesen. Funke musste mit zur Polizeiwache, dort wurde er von Kriminalkommisar Wilhelm Tenholt vernommen. Funke konnte gegen 8 Uhr gehen, er ist in dieser Angelenheit nicht wieder verhört worden.

Nach dem letzten Schuss erschien der sich auf dem Weg zur Arbeit befindliche Zeuge Pruschinski am Tatort und konnte nur noch - wie zuvor Funke - den Tod des Erich Lange feststellen. Ein auftauchender SS-Mann mit gezogener Pistole forderte den Zeugen mit den Worten "Was ist den hier los, mach das du wegkommst, lass das Schwein liegen" auf, zu verschwinden.

Am nächsten Morgen mussten die beiden Angeklagten zur Sturmbann-Dienststelle kommen. Dudek schilderte den Sachverhalt. Daraufhin ordnete der Leiter der Dienststelle Schulz mit den Worten "Wir müssen die Sache drehen" an, das der Angeklagte Schneider als Hilfsbeamter der Polizei Lange erschossen habe, weil dieser sich seiner Festnahme durch Flucht habe entziehen wollen. Schneider sollte die Tat auf sich nehmen, hatte dann jedoch zunächst Bedenken, das Vernehmungsprotokoll zu unterschreiben, da er sich einer Tötung bezichtigte. Doch ihm wurde sofort versichert, das es bei dieser einen Vernehmung bleiben werde und er nichts zu befürchten habe.

Vater des Opfers brachte Nachkriegsprozess ins Rollen

Tatsächlich sind dann keine weiteren Ermittlungen getätigt worden, der nun Mitangeklagte Dudek ist seinerzeit nicht verhört worden. Nach dem Krieg wurde auf die Anzeige des Vaters von Erich Lange am 19. Juni 1948 ein Verfahren gegen die mutmaßlichen Täter Dudek und Schneider eingeleitet.

In der Verhandlung stellte das Schwurgericht fest, das sich der Angeklagte Schneider der gefährlichen Körperverletzung, der Angeklagte Dudek der vorsätzlichen Tötung sowie der gefährlichen Körperverletzung schuldig gemacht haben. Obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits verjährt, war zu prüfen, ob auf Grund der Verordnung zur Beseitigung natinalsozialisticher Eingriffe in die Strafrechtspflege vom 23. Mai 1947 noch eine Betrafung möglich war. Diese Frage hat das Schwurgericht Essen in der Verhandlung vom 21. September 1949 bejaht, denn dass das Verbrechen der Tötung auch nach 16 Jahren eine Sühne verlangt, erfordere das Gebot der Gerechtigkeit. Schneider wurde erstinstanzlich zu zwei Monaten Gefängnis, Dudek zu vier Jahren Gefängnis verurteilt.

Gegen das Urteil legte Schneiders Rechtsanwalt wie auch die Staatsanwaltschaft Revision ein. Im Januar 1950 ergeht ein Beschluss des I. Strafsenats des Obersten Gerichtshofes für die britische Zone, das Verfahren - soweit es Erich Schneider betrifft - einzustellen. Der Revision Dudeks wird stattgegeben und das Verfahren an das Schwurgericht Essen zurückverwiesen. Im April 1950 wird Wilhelm Dudek erneut vom Schwurgericht des Landgerichts Essen wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit in Tateinheit mit Totschlag und gefährlicher Körperverletzung zu einer Gefängnisstrafe von vier Jahren verurteilt.

Biografische Zusammenstellung: Andreas Jordan, April 2011. Editiert 5/2022


Projektgruppe STOLPERSTEINE Gelsenkirchen, April 2011.

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