STOLPERSTEINE GELSENKIRCHEN

Ausgrenzung erinnern


Stolpersteine Gelsenkirchen

Stolpersteinverlegung in Gelsenkirchen am 20. August 2011
Redebeitrag von Anke Sauerbaum

Stolperstein Astrid Steiner

- Es gilt das gesprochene Wort -

Wir sind heute hier zusammen gekommen, um an Astrid Steiner zu erinnern. Astrid Steiner wurde am 04. Juni 1932 in Gelsenkirchen mit dem Down-Syndrom geboren. Zwischen ca. 1936 und 1942 lebte sie mit Ihren Eltern im hinter uns befindlichen Gebäude an der Polsumer Straße 158. Zu den Kindern Ihrer Nachbarschaft gehörte die „Iri“, wie sie gerufen wurde, immer dazu. Fangen und Verstecken waren Spiele, die Sie gerne mochte. Sie war ein liebes, sehr fröhliches und besonders anhängliches Mädchen, welches wohl behütet und geliebt aufwuchs und sich einzelnen Kindern in ihrem damaligen Lebensumfeld gerne anschloss. Im Frühjahr 1942 verschwand sie für Ihre Spielkameraden jedoch sehr plötzlich und niemand von den Erwachsenen wollte oder konnte genauer erklären, wo sie war.

Hintergrund Ihres, aus der Perspektive Ihrer damaligen kindlichen Spielgefährten plötzlichen Verschwindens, war das höchst perfide organisierte nationalsozialistische "Reichsausschußverfahren zur Tötung von Kindern". Diesem beschönigend als „Euthanasie“ bezeichneten Verfahren, lag ein umfassendes Meldepflichtsystem zugrunde, welches zuletzt (also ab 1941) die gesamte Ärzteschaft dazu verpflichten sollte, über ihre Patienten anhand eines Meldebogens zum Zwecke der Aussonderung und Einweisung bestimmter Personengruppen in sog. Kinderfachabteilungen, Auskunft zu geben.

Bestimmte, genau definierte Krankheiten sowie Missbildungen jeder Art sollten gemeldet werden. Ein besonderes Augenmerk wurde dabei auch auf psychisch Kranke, Arbeitsunfähige später auch auf Kriegsversehrte und Senile gelegt.

Aufgrund vorliegender Dokumente kann man wohl davon ausgehen, dass sich Astrids Eltern vehement gegen die Einweisung gestellt haben. Ab September 1941 wurden sich weigernde Eltern jedoch generell massiv unter Druck gesetzt, gerade von den Hausärzten,so dass Astrids Eltern sich diesem vehementen Druck schließlich gebeugt haben müssen.

Aus Akten, die heute noch in den Archiven des LWL Münster vorliegen, geht hervor, dass sie am 27. März 1942 wegen damals sogenannter "mongoloider Idiotie" in die Provinzialheilanstalt Aplerbeck eingewiesen wurde. Am 3. September 1943 wurde Astrid von dort in die Provinzialheilanstalt Marsberg (Niedermarsberg, St. Johannes Stift) verlegt. Die Unterbringungssituation, die hygienischen Verhältnisse und die Ernährungssituation in den Anstalten nahm ab 1943 katastrophale Formen an. Die Sterberate der Patienten stieg in der Folge sehr deutlich an.

Schließlich verstarb Astrid Steiner am 27. August 1945 in der Provinzialheilanstalt Marsberg (Niedermarsberg, St. Johannes Stift). Als Todesursache wird in Ihre Akte "Herzschwäche bei angeborener Körperschwäche" geschrieben. Astrid Steiner ist als ein nationalsozialistisches Psychiatrie-Opfer zu bezeichnen, ein Kind, welches einem moralisch höchst verwerflichen Meldepflichtsystem ausgesetzt war, dem sich unzählige Ärzte, wie auch der damalige Hausarzt der Familie verpflichtet fühlten.


Projektgruppe STOLPERSTEINE Gelsenkirchen. August 2011

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