STOLPERSTEINE GELSENKIRCHEN
Ausgrenzung erinnern
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Briefe an die Projektgruppe Stolpersteine Gelsenkirchen
Spielunterbrechung
Sally Spiegel und seine jüngere Schwester Ruth waren Nachbarkinder, mit denen wir täglich im Hof spielten, Sie waren unsere Freunde. Eines mittags - im Jahre 1942 - fuhr ein Lastwagen vor das Haus, in dem die Familie Spiegel wohnte. Zwei Männer in brauner Uniform sprangen heraus, rannten auf Sally und seine Schwester zu und rissen beide mitten aus dem Spielgeschehen. Zwei weitere Männer schleppten die Eltern der Kinder, mit wenigen Habseligkeiten versehen, zum offenen Laster, auf den sie im Eiltempo auf Befehlston hochklettern mussten. Sally und seine Schwester wurden von den Schergen regelrecht "nachgeworfen".
Diese Blitzaktion erfolgte bei laufendem Motor, wahrscheinlich, um die Angstschreie zu übertönen. Wir starrten fassungslos dem davon brausenden Laster mit seiner "Menschenfracht" nach, der uns unsere Freunde weggenommen hatte ohne uns von ihnen zu verabschieden. Daß es für immer war, haben wir erst viel später begriffen. Es kam nie mehr ein Lebenszeichen von Sally und seiner Familie.
Der Kölner Künstler Gunter Demnig hat mit seinen "STOLPERSTEINEN" Zeichen gesetzt und die Namen der Opfer unter der Gewaltherrschaft in ihr früheres Lebensumfeld zurückgebracht, um dem "VERGESSEN" entgegenzuwirken. Mögen sich viele Paten finden für die Verlegung der STOLPERSTEINE und den Lebensweg der Menschen erforschen, an die kein Grabstein erinnert!
Frau N. aus Gelsenkirchen
(Anm.: Der Name der Einsenderin ist der Redaktion bekannt. Es handelte sich hier bei den beschriebenen Geschehnissen um die jüdische Familie Spiegel aus Gelsenkirchen)
Sehr geehrter Herr Jordan,
Ich möchte mich bei Ihnen bedanken für die Hilfe und das beisetzen der Stolpersteine. Ich erhielt von Frau C. am 14. schon den Film und ich bin sprachlos wie alles so Schnell mir zugeschickt wurde. Recht herzlichen Dank. 13.2.2010. Lore Buchheim, geborene Grüneberg
Hallo Herr und Frau Jordan,
dass Engagement von Herrn Demnig und Ihnen, mit all den anwesenden Helfern, hat uns sehr bewegt. Auch auf der Homepage zu lesen, dass nach dem Vortrag von Herrn Demnig in der Flora nun einige weitere Patenschaften übernommen wurden, freut uns für das Projekt. Wir würden uns freuen, wenn Sie Frau Buchheim einmal "von unbekannter Seite" grüßen würden. Wollten Ihnen allen auf diesem Weg ein weiterhin gutes Gelingen und natürlich auch noch viel mehr positive Resonanz zugunsten der "Stolpersteine", von Seiten der Gelsenkirchener Bürger wünschen.
Auch wenn wir im Laufe des Jahres umziehen werden, wollen wir das Projekt "Stolpersteine" weiter aufmerksam verfolgen. Denn, wie sie schrieben: " Jeder Name ist eine Person, jeder Name ist eine Seele." Die Erinnerung und Mahnung sind so wichtig, auch im Hinblick auf die Tatsache, dass es immer weniger Zeitzeugen gibt, die mit ihren Worten das unsagbar Geschehene beschreiben können.
(Anm.: Der Name der Einsenderin ist der Redaktion bekannt
Wie konnte dies geschehen?
Abb.: Karl-Heinz Klaiber, Jahrgang 1923
So fragten mich junge Menschen, weil sie mir ansahen, dass ich altersmäßig Zeitzeuge sein müsste, während Gunter Demnig in unserer Stadt am Main die Messingtafeln, auf denen die Namen und Schicksale der Opfer des nationalsozialistischen "Dritten Reichs" eingraviert sind, in die Gehsteige vor ihren damaligen Wohnungen verlegte. Auf ihre Frage konnte ich nur antworten, dass dieser Massenmord mangels jeglichen Unrechtsbewusstsein und humanen Orientierung, bei uns, einer damals mehrheitlich nationalistisch, deutschvölkisch-militaristisch, und antisemitisch gesinnten Generation geschehen konnte. Positiv vermerkten sie, dass mit diesen "Stolpersteinen" die Opfer, - Juden, Homosexuelle, Sinti und Roma, Zeugen Jehovas und politisch Verfolgte - aus der Anonymität der zahlreichen Denkmale und Gedenktafeln namentlich hervor treten. Ich sagte den Leuten aber auch, dass dank vieler privater Initiativen man sich auch an den militärischen Widerstands, einer bisher verschwiegenen und diskriminierte Opfergruppe, die Fahnenflüchtigen, Wehrkraftzersetzer und Kriegsdienstverweigerer erinnert, die sich dem Mordapparat Hitlers widersetzt haben, der Verbrecherfahne entflohen und deswegen ermordet wurden. Schon in vielen Städten hat Gunter Demnig Stolpersteine zur Erinnerung an diese mutigen Männer verlegt.
Karl-Heinz Klaiber (Jahrgang 1923) 97084 Würzburg
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Warum ich die Patenschaft für zwei Stolpersteine vor dem Haus der jüdischen Schwestern Bermann in der Goethestraße 13 in Würzburg übernehme
Meine Kindheit verbrachte ich bei meiner Großmutter an meinem Geburtsort Weißenhorn bei Ulm. Dort besuchte ich die Volksschule in den Jahren 1929 bis 1933. In besonderer Erinnerung an diese Schuljahre ist mir geblieben, dass unser Deutsch- und Geschichtslehrer, ehemals Leutnant des 1. Weltkriegs, der, - wie er es auszudrücken pflegte - "seinen rechten Arm an der Somme dem Vaterland opferte" - alljährlich zur Frohnleichnahm einen Zug der Reichswehr aus der Garnison Ulm zur Prozession einlud. Wir Buben mussten dann hinter den Soldaten marschieren. Voraus flatterten die gelb-weiße Fahne der katholischen Kirche, die weiß-blaue Fahne Bayerns, die Reichskriegsflagge und die schwarz-weiß-rote Fahne. Und schon bei der Prozession im Jahr 1933 marschierte eine Truppe SA-Männer mit der Hakenkreuzfahne mit. Danach verbrachte ich noch ein Jahr in der Sexta des Gymnasiums, im Klaretinerkolleg Weißenhorn.
Bild: Anneliese und ich, 1940
Nach der Wiederverheiratung meiner Mutter in Mailand ging ich in den Jahren 1935 bis 1940 in Mailand zur Schule, von der Quinta bis zur Obertertia im Istituto Giulia in der Via Boscovich, ein von deutschen Ordens- schwestern geführtes Gymnasium mit internationaler Schülerschaft. In meiner Klasse waren Italiener, Franzosen. Engländer, ein Amerikaner und zwei jüdische Mädchen aus Deutschland, Esther Rasmussen und Anneliese Rosenberg (Rosenberger?). Allmorgendlich, vor Unterrichtsbeginn ministrierte ich in der Schulkapelle bei der Messe für die Ordensschwestern. Und mehrmals in der Woche eilte ich am frühen Abend ins "Deutsche Haus", in der Nähe des Mailänder Doms, zum Heimabend der "Hitlerjugend". Bis zum Jahr 1936 hatte ich nur zwei italienische Freunde in der Nachbarschaft, der Via Natale Battaglia 21, wo wir wohnten. Gianni und Gianfranco in der Via Settembrini, deren Eltern eine "Vetreria" (Glaserei) betrieben. Dann zogen Robert und Werner, zwei jüdische Buben mit ihrer Mutter, gleich über der Straße von uns in eine Wohnung in der Via Settembrini. Wir fünf wurden und blieben die ganzen Jahre unzertrennliche Freunde. Ab der Obertertia, dem Schuljahr 1938/39 mussten wir "Reichsdeutschen" Schüler und Schülerinnen vom Istituto Giulia in die staatliche Oberschule für Auslandsdeutsche in der Via Savona wechseln. Die meisten von uns waren ja schon in der Hitlerjugend, dort aber bekamen wir neben dem normalen Unterricht das nationalsozialistische Gedankengut von unseren Lehrern eingepaukt.
Und schon im September 1939, sechzehnjährig, meldete ich mich freiwillig zur Kriegsmarine und wurde dann im Herbst 1940 nach Wilhelmshaven in die Jachmann-Kaserne eingezogen. Nach der Grundausbildung und einem Funkerlehrgang in Aurich ging es nach Holland auf die Insel Texel, - wir wollten ja "nach Engeland fahren". Anfang 1942 wurde unsere Flottille von der Nordsee, ins Mittelmeer, von Den Helder nach Tripolis verlegt. Im Frühjahr 1942 bekam ich den Marschbefehl nach Benghasi, mit Erlaubnis die Eisenbahnfahrt in Würzburg zu unterbrechen. Während dieser Tage, zu Besuch bei meinem Onkel, Medizinalrat Dr. Edmund Günder (Bruder des Regierungspräsidenten Dr.hc. Bruno Günder von 1929-1933) und Tante Ida wohnhaft in der Goethestraße 2, begegnete ich zweimal einem Menschen mit dem "Davidstern" am Anzug. Im Spätsommer 1942 musste unser Boot in die Werft... Von Tobruk aus, über Kreta, Griechenland und durch den Kanal von Korinth erreichten wir den Hafen von Neapel. Werftliegezeit war immer mit ein paar Wochen "Heimaturlaub" verbunden.
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Bild: Gianfranco, Robert und Werner, August 1940
Nach knapp zwei Jahren Abwesenheit war ich wieder zu Hause in Mailand. Sogleich traf ich mich mit Gianfranco und Gianni - sie waren keine Soldaten Mussolinis - sie begrüßten mich überschwänglich, meinten aber auch, "Quando hai levato quest' uniforma ci ricontriamo nella Bar e prendiamo un cafe." (Zieh erst mal diese Uniform aus, dann treffen wir uns in der Bar und nehmen einen Espresso.)
Als wir dann zusammen waren, wollte ich wissen "Dove sono i nostri amici Robert e Werner" (sagt mir wo sind unsere Freunde Robert und Werner). Ihre Mienen erstarrten und die Antwort war vorwurfsvoll: "I soldati tedeschi Ii hanno preso e tranportati via su un camion con gli aitri ebrei.." (Deutsche Soldaten haben sie aus der Wohnung geholt und auf einem Lastwagen zusammen mit anderen Juden abtransportiert.)
Im Haus am Corso Buenos Aires habe ich nach Anneliese gefragt, in der Via Manzoni nach Esther und beide Male bekam ich die gleiche Antwort. Jetzt wusste ich, was es mit der "Endlösung der Judenfrage" auf sich hatte. Gianfranco und ich begegneten uns noch einmal im Sommer 1944 in Genua, er war bei der "Resistenza." Dies ist aber eine andere, furchtbare Geschichte.
Geschrieben: Würzburg, den 21. April 2004 von Karl-Heinz Klaiber (Jahrgang 1923) Kopenhagener Straße 62 97084 Würzburg.
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Projektgruppe STOLPERSTEINE Gelsenkirchen. Februar 2010
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